Vier Monate lag Monica Lierhaus, Star der „Sportschau“, im künstlichen Koma. Doch mit eisernem Willen hat sie sich ins Leben zurückgekämpft. Und wird nun aus Brasilien von der WM berichten

Das kupferrote Haar, ihr Markenzeichen, leuchtet schon von Weitem. „Guten Tag, ich bin Monica Lierhaus“, sagt sie mit fester Stimme. Sie wirkt nur kleiner, zerbrechlicher, als man sie aus alten „Sportschau“-Tagen kennt. Etwas kritisch schaut sie hinab auf den Bootssteg am Isekai, wo der Fotograf schon alles aufgebaut hat. „Wenn es kein Geländer an der Treppe gibt, haben wir ein Problem“, sagt sie. Ein Geländer ist da, nur leider links – für sie auf der falschen Seite.

„Kriegen wir aber hin“, sagt sie dann entschlossen, drückt dem Reporter ihre Handtasche in die Hand und steigt vorsichtig, Stufe für Stufe, hinab. Ihr Gang ist unsicher, tapsig – und dennoch fast ein Wunder. Denn vor gut fünf Jahren, als sie aus dem Koma nach einer Hirnoperation erwachte, fürchteten die Ärzte, dass Monica Lierhaus, 44, ein Pflegefall bleiben würde. Gefesselt an den Rollstuhl, kaum in der Lage zu sprechen. Doch die Hamburgerin, die an einem Aneurysma, einer Ausstülpung einer Arterie im Gehirn, laborierte, hat sich in ihr Leben zurückgekämpft. Bei Spargel und Zanderfilet im Restaurant Noas redet sie nach den Fotoaufnahmen eine Stunde mit dem Abendblatt über ihre Krankheit, ihren eisernen Willen und ihr großes Comeback als Reporterin bei der WM in Brasilien in Diensten von Sky. Viele Worte sind dabei ihre Sache nicht. Monica Lierhaus antwortet klar, präzise und schnell.

Hamburger Abendblatt:

Die Frage, wie es denn so geht, ist unter Journalisten für den Start eines Interviews eigentlich verpönt. Zu banal. Angesichts Ihres Schicksals frage ich aber dennoch: Wie geht es Ihnen, Frau Lierhaus?

Monica Lierhaus:

Vielen Dank, mir geht es gut. Ich mache Fortschritte, zwar langsame, aber es wird jeden Tag besser.

Sie lagen nach Ihrer Hirn-OP fast vier Monate im künstlichen Koma. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?

Lierhaus:

Gar keine. Von Beginn der Operation bis zu meinem Erwachen aus dem Koma weiß ich nichts mehr. Ich glaube, dass sich der Körper auf diese Weise auch selbst schützt. Meine erste Erinnerung ist das Poster unserer Dalmatiner-Hündin Lucy, das mein Mann an die Wand im Krankenhaus gepinnt hatte. Lucy war auch mein erstes Wort. Da hat mich der Arzt ausgetrickst. Er hat mich gefragt: ,Wie heißt noch mal Ihr Hund?‘ Obwohl ich wegen einer Kanüle im Hals gar nicht sprechen wollte, im Hals tat alles weh, habe ich „Lucy“ gesagt.

Gemessen an den ersten Prognosen haben Sie unglaubliche Fortschritte gemacht.

Lierhaus:

In der Reha in Allensbach hat mir ein Arzt gesagt, dass ich mich möglicherweise auf ein Leben im Rollstuhl einstellen muss. Und es war sehr fraglich, wie weit sich mein Sprachzentrum regenerieren würde. Aber ich hatte meinem Mann gesagt, dass ich die Klinik ohne Hilfsmittel auf eigenen Beinen verlassen werde. Und das habe ich nach acht Monaten geschafft.

Ihr Sprachvermögen hat sich völlig wiederhergestellt. Oder fehlen Ihnen manchmal Worte?

Lierhaus:

Nein, das ist wieder völlig okay. Und zwei Namen werde ich nie vergessen. Thomas Tuchel. Pavel Pogrebnjak. Mit diesen Namen hat mein Mann immer Gedächtnisübungen gemacht. Wo arbeitet Tuchel, wo spielt Pogrebnjak? ,Trainer in Mainz, Profi in Stuttgart‘, musste ich immer antworten

Auch jetzt sind Sie noch jeden Tag in Therapien.

Lierhaus:

Ja, ich mache Osteopathie, Physiotherapie, Sprachtraining. Das sind täglich vier bis fünf Stunden.

Ein strammes Programm.

Lierhaus:

Ja, aber es lohnt sich. Und richtig Spaß macht mir das Reiten. Das mache ich dreimal in der Woche in Pinneberg. Auf dem Rücken eines Pferdes bin ich wirklich völlig schmerzfrei. Vielleicht durch die schaukelnde Bewegung, ich weiß es nicht.

Sonst haben Sie wirklich ständig Schmerzen?

Lierhaus:

Ja, etwas schon, vor allem im Rücken. Aber früher war es viel schlimmer. Jetzt ist es nur hart, wenn ich lange stehe oder sitze.

Gab es zwischendurch Gedanken aufzugeben? Vielleicht sogar freiwillig aus dem Leben zu scheiden?

Lierhaus:

Nein, nie. Aufgeben ist etwas für Feiglinge.

Waren Sie immer so preußisch hart?

Lierhaus:

Vielleicht kommt das ein Stück weit von meiner Urgroßmutter, an der ich sehr gehangen habe. Sie ist im Zweiten Weltkrieg aus Danzig geflohen, hat zwei Kinder und ein Enkelkind großgezogen. Nach ihr hatte ich auch meinen Rollstuhl benannt. Der hieß also Frau Meyer, mein Rollator war Usain, mein Trainingsfahrrad Lance.

Waren diese an den Weltrekord-Springer Usain Bolt und den ehemaligen Radsportstar Lance Armstrong angelehnten Namen auch ein Motivationsmittel?

Lierhaus:

Nein, die Namen haben keinen tieferen Sinn. Wirklich motiviert hat mich immer der Gedanke an Brasilien, an die WM 2014. Dass ich zu dieser WM als Journalistin will, habe ich schon Ende 2009 gesagt. Da haben mich die Ärzte und Therapeuten nur müde angelächelt.

Und jetzt haben Sie es geschafft.

Lierhaus:

Ja, ich werde für Sky in Brasilien Interviews führen. Für mich geht ein Traum in Erfüllung.

Näher gelegen hätte eigentlich ein Comeback für die ARD, für die Sie viele Jahre die „Sportschau“ moderiert haben.

Lierhaus:

Aber dort waren alle WM-Plätze schon vergeben. Außerdem kehre ich bei Sky zu meiner alten journalistischen Heimat zurück. Denn nach dem Beginn meiner Karriere bei Sat.1 habe ich für den Sky-Vorgänger Premiere gearbeitet.

Eine WM ist auch für gesunde Journalisten anstrengend, erst recht in Brasilien mit den enormen Reisestrapazen. Ist dieser Stress wirklich gut für Sie?

Lierhaus:

Ja, positiver Stress spornt mich an.

Sie haben ja schon erste Interviews für den Sender Sky mit Jürgen Klinsmann und Joachim Löw geführt. Begegnen Ihnen die beiden jetzt anders, vielleicht befangen?

Lierhaus:

Nein, das sind beide sehr nette Menschen, es war genau wie früher.

Haben Sie sich Videos Ihrer Interviews noch einmal angesehen?

Lierhaus:

Ja, beide Gespräche waren gut. Vielleicht hätte ich bei Klinsmann noch mehr nachhaken müssen, das war bei Löw dann schon besser.

Wie hat die schwere Krankheit Ihr Wesen verändert?

Lierhaus:

Vielleicht bin ich jetzt geduldiger geworden. Früher war ich schnell genervt, wenn bei einer Lichtprobe etwas nicht sofort klappte. Da konnte ich ganz furchtbar werden. Jetzt bin ich gnädiger.

Sie gelten in der Branche als absolute Perfektionistin. Zwei Tage vor Ihrer schweren OP haben Sie noch von der Vierschanzentournee für die ARD berichtet. Wussten Ihre Kolleginnen und Kollegen, was Ihnen bevorstand?

Lierhaus:

Nein, darüber hatte ich nur mit meiner Familie gesprochen. Ich habe auch nicht geglaubt, dass der Eingriff solche Folgen für mich haben würde.

Dennoch haben Sie zuvor zu Heiligabend Ihr Testament geschrieben.

Ja, so bin ich. Bei mir muss immer alles seine Ordnung haben.

Hegen Sie Groll gegenüber den Chirurgen?

Lierhaus:

Nein, was sollte das bringen? Hadern mit dem Schicksal führt mich nicht weiter. Ich schaue nur nach vorn.

Bereuen Sie denn, dass Sie den Eingriff überhaupt gemacht haben? Ihnen ging es doch bis auf das Pochen hinter dem Ohr ganz gut.

Lierhaus:

Wäre ich nicht operiert worden, wäre das Aneurysma wahrscheinlich irgendwann geplatzt, was meinen Tod hätte bedeuten können. Keine gute Alternative, oder?

Frau Lierhaus, Sie wirken so unglaublich diszipliniert und gefasst. Ist das jetzt auch ein Stück weit gespielt? Möchten Sie nicht manchmal Ihre ganze Wut und Ihre Trauer über Ihre Krankheit hinausschreien? Denken Sie nicht doch: warum gerade ich?

Lierhaus:

Nein, so ein Typ bin ich einfach nicht. Was sollte mir diese Wut wirklich bringen? Aber natürlich hätte ich es ohne meinen Mann nicht geschafft. Ohne meine Schwester, die im gleichen Haus wohnt. Und ohne meine Eltern. Mein Vater ist ja leider inzwischen gestorben. Ein ganz lieber Mensch.

Viele Menschen mit Behinderung sagen, dass sie nichts so sehr stört wie Mitleid. Ist das bei Ihnen auch so?

Lierhaus:

Dieses Angestarrt werden auf der Straße hat mich extrem gestört. Guck mal, da ist die Lierhaus, so schlecht geht es der jetzt. Das war hart. Deshalb war auch meine Entscheidung, 2011 zur Goldenen Kamera zu gehen, genau richtig. Das war wie eine Befreiung. Ich habe mich dort wieder in der großen Öffentlichkeit gezeigt und signalisiert: Nehmt mich so, wie ich jetzt bin. Oder lasst es eben.

Ihr Auftritt hat viele Menschen zu Tränen gerührt. Aber manche hat auch verstört, dass Sie auf der Bühne Ihrem Lebensgefährten Rolf Hellgardt überraschend einen Heiratsantrag gemacht haben. War er wirklich nicht eingeweiht?

Lierhaus:

Nein, er wusste von nichts. Ich hatte mir das vorher lange überlegt, ich wollte ihm damit zeigen, wie dankbar ich ihm bin für all das, was er für mich getan hat. Aber die Aktion war ein Fehler. Es war der falsche Moment. Und der falsche Ort. Er konnte ja gar nicht Nein sagen. Aber dennoch war der Auftritt bei der Goldenen Kamera genau richtig. Ich würde es immer wieder machen. Viele Menschen haben mir seitdem gesagt, dass es ihnen Mut macht, wie ich den Kampf um meine Gesundheit angenommen habe.

Sie nennen Ihren Lebensgefährten stets „meinen Mann“. Haben Sie doch inzwischen geheiratet?

Lierhaus:

Nein, aber gefühlt ist er nun mal mein Mann.

Hamburger Abendblatt: Frau Lierhaus, welche Träume, welche Hoffnungen hegen Sie für Ihr Leben?

Lierhaus:

Ich schaue nicht so weit nach vorn, freue mich erst einmal auf Brasilien. Dann hoffe ich natürlich, dass das Gehen noch besser wird, dafür arbeite ich hart. Und ich möchte wieder selbst Auto fahren, ich probiere es schon wieder auf Übungsplätzen, das Gefühl fürs Fahren ist noch da. Wir wollen uns auch wieder einen Hund zulegen. Unsere Lucy ist ja leider an Krebs gestorben.

Können Sie sich vorstellen, wieder eine wöchentliche Sportsendung zu machen?

Lierhaus:

Nein, so weit denke ich nicht. Aber Fernsehen und Sport ist doch das Einzige, was ich wirklich gut kann. Das würde ich schon sehr gern weitermachen.