Vier Wochen tourte die Hamburger Popband auf Einladung des Goethe-Instituts durch die USA und spielte als Sprachbotschafter an Highschools

Hamburg. Still zu sitzen und Vokabeln zu büffeln zählt für Schüler nicht unbedingt zu den Lieblingsbeschäftigungen. Dafür gibt es viel zu viel anderes zu lernen. Sich verlieben etwa. In den Jungen aus der letzten Reihe. In das Mädchen vom Schulhof. In diesen Song aus dem Internet. Ins Leben. Welch Glück also, wenn jede Menge von dem, was Teenagerträume ausmacht, auf einmal auf dem Lehrplan steht. Musik, eine Band, Schwärmen, Schreien.

Das Mädchen mit dem dicken schwarzen Zopf und dem leuchtend grünen Kermit-Frosch auf seinem Sweatshirt steht dicht gepresst an der Rampe der Bühne. Euphorisch trommelt es im Takt der Musik auf die Bretter, umarmt immer wieder seine Freundinnen, hüpft, strahlt, kichert, singt mit. Hinter ihm johlt ein Pulk Schüler. Ein Kessel Hormone, zum Brodeln gebracht durch die Hamburger Band Tonbandgerät. „Ich liebe dich! Ole“, steht neben sechs Herzen auf dem selbst gemalten Schild des Kermit-Mädchens. Doch nur für Sekunden traut es sich, seine Botschaft in die Höhe zu halten.

Ein überdimensionales Foto der Band prangt auf dem langen Tourbus

„Viele der Schüler leben wie in einer Blase. Für die sind Tonbandgerät Megastars“, sagt Philipp Huntenborg. Als Mädchen für alles gehört er zum Team um das Popquartett, das einen Monat lang auf Einladung des Goethe-Instituts durch die USA reist, um als Sprachbotschafter an Highschools zu spielen. Vor Teenagern, die Deutsch als Unterrichtsfach haben. Die Band, die in Deutschland gerade als Newcomer durchstartet und kurz vor der Aufnahme ihres zweiten Albums steht, wird im Land der unbegrenzten Möglichkeiten wie die ganz Großen chauffiert.

Ein überdimensionales Foto von Sänger Ole Specht, Gitarristin Sophia Poppensieker, ihrer Schwester Isa, die Bass spielt, sowie Schlagzeuger Jakob Sudau prangt auf dem langen schwarzen Tourbus, der mit Betten, Sofas, Fernseher und Kühlschrank ausgestattet ist. Vier Mal Lächeln auf rollenden Rädern. Das mobile Musikerquartier parkt an diesem sonnigen Tag vor der A.Philip Randolph Campus High School im New Yorker Stadtteil Harlem. Die Schule, die nach einem schwarzen Bürgerrechtler benannt ist, erinnert mit ihren Türmen aus grau-braunem Stein an ein altenglisches Schloss.

Vor Beginn des Konzerts koordiniert ein Polizist mit ernster Mine die Ankunft zahlreicher Schulbusse. Denn zu dem Auftritt von Tonbandgerät kommen nicht nur Deutschschüler aus New York. Hunderte Teenager aus benachbarten Bundesstaaten reisen extra für ihre neuen Favoriten in den Norden Manhattans. Sie kommen aus New Jersey, Connecticut, Pennsylvania. Stundenlange Fahrt für gelebtes Sprachtraining. Für Deutschpop zum Anfassen. Für ein Erlebnis, dass sie im Unterricht sorgsam vorbereitet haben.

„Wir haben uns Videos angeschaut und meine Schüler haben Lücken in den Songtexten mit deutschen Wörtern ergänzen müssen“, sagt Sara Wilder, seit zwölf Jahren Deutschlehrerin an der Brunswick High School in New Jersey. Eine Frau mit kurzem blonden Haar und patenter Ausstrahlung. Wilder hält Tonbandgerät bestens geeignet für ihren Unterricht: „Einige der Lieder sind leicht mitzusingen, zum Beispiel ,Raus hier‘. Das ist super für Anfänger.“

Für Deutschlehrer in den USA hat das Goethe-Institut zusätzlich Material zum Download angeboten. Das Arbeitsblatt „Wir sind Tonbandgerät“ etwa stellt Ole, Isa, Sophia und Jakob in Steckbriefen vor und fordert zu Frage-Antwort-Spielen rund um die Band auf. Auch zu den Songs sind online „Worksheets“ erhältlich. Zu der mitreißenden Popnummer „Irgendwie anders“ ist da zu lesen: „Die Band Tonbandgerät will mit ihren Liedern Emotionen und Momente konservieren.“ Und Erinnerungen, vielleicht nicht für die Ewigkeit, auf jeden Fall aber für die noch junge Chronik ihrer Karriere, für das eigene Herz und Hirn hat Tonbandgerät in vier USA-Wochen definitiv geschaffen.

„In Utah, das von den Mormonen religiös geprägt ist, haben uns die Lehrer vorab gebeten, die Schüler nicht zum Tanzen aufzufordern. Nach dem dritten Stück sind aber einige von selbst aufgesprungen. In kürzester Zeit sind dann alle völlig ausgerastet und haben sogar die Bühne geentert, um mit uns zu feiern. Ein Mädchen hat das ganze Konzert durch geweint“, erzählt Sänger Ole einen Tag vor dem Harlem-Auftritt. Das Goethe-Institut New York, das die deutsche Sprachpflege für ganz Nordamerika sowie Mexiko organisiert, hat in seinem Büro im Stadtteil SoHo zur Pressekonferenz geladen. Ein lichtdurchflutetes Loft, das eine Bibliothek mit deutschen Büchern und Magazinen von „Stern“ bis „Spex“ beherbergt. Und in dem die Goethe-Mitarbeiter von ihren Tischen aus über die Dächer New Yorks schauen können. Bei Croissants und Orangensaft erzählt die Band von ihrer Tour, die in Seattle an der Westküste begann und in Boston an der Ostküste endet, die durch die Weite des Landes führte und den eigenen Horizont erweiterte.

„Wir haben ungefähr 360 Angebote für Greencards und Hunderte Einladungen für Abschlussbälle“, sagt Ole, in dessen Stimme sehr viel mitschwingt. Verwunderung, Erschöpfung, vor allem aber große Begeisterung. Schließlich ist es für eine deutschsprachige Band, wenn sie nicht gerade teutonisch anmutende Alleinstellungsmerkmale wie Rammstein besitzt, keineswegs einfach, im Ausland Gehör zu finden. „Das ist toll, wie gut der Zugang zur Sprache über Musik funktioniert“, sagt Ole und fährt sich durch seine Locken. „Wir haben Liebesbriefe bekommen. Wahnsinn, was die für Vokabeln lernen mussten, um die zu schreiben“, sagt Sophia. Der Songschreiberin ist deutlich anzumerken, wie es in ihr arbeitet: All die Leidenschaft, die der Band in den USA entgegenschlägt, aber auch all die Ängste und Hoffnungen, von denen ihr die Highschool-Kids berichtet haben. Und dann erzählt Sophia noch, wie sich ihre Ankunft meist innerhalb weniger Minuten mit Hilfe der sozialen Netzwerke im Schulkosmos verbreitet hat.

Eine Aussage, die Christoph Veldhues freuen dürfte. Der Leiter des New Yorker Goethe-Instituts ist ein Mann mit Oberstudienrat-Charme. Schwarze Brille, Schnauzer, braunes Sakko. „Eine halbe Million Deutschlerner gibt es in den USA – noch!“, sagt er ernst und fügt hinzu: „Wir müssen Deutsch an den Schulen in den USA populärer machen.“ Sprich: Die Fremdsprache kann Werbung derzeit gut gebrauchen. Ein cooles, freundliches Image wie das von Tonbandgerät, das reichlich Identifikationsfläche bietet. Denn mit ihren Mitte 20 sind die Bandmitglieder noch nah genug an der Realität der Schüler. Und mit zwei Jungen und zwei Mädchen in der Band ist für jeden ein Vorbild respektive eine Anhimmel-Option dabei. „Die Tour von Tonbandgerät ist ein Großereignis, das USA-weit Wellen schlägt“, sagt Veldhues dann auch entsprechend stolz.

Einen Tag später, in Harlem, herrscht zunächst High Noon an der Highschool: Schüler schieben sich über den Linoleumflur unterm Neonlicht. Der Mittagshunger scheint greifbar. Viele tragen Sweatshirts ihres Sportteams, den Rucksack lässig geschultert. Wer hier Deutsch lernt, zählt eher zu den Nerds. Irgendwo zwischen Debattierclub und Physik-Streber. Am Ende eines langen Ganges liegt die Aula, eine mächtige Halle mit verzierten Säulen, Holzstreben und Kronleuchtern unter der Decke. Als sei die Halle aus Harry Potters Internat Hogwarts geradewegs nach Harlem gezaubert worden. Plakate mit einer Pop-Art-Frau im Dirndl werben für das Programm des Goethe-Instituts: „Just Add German“. Dicke blaue Vorhänge halten das Tageslicht fern. Immerhin soll am frühen Nachmittag so etwas wie Club-Atmosphäre entstehen. „Weißwurst, Weißwurst, Sauerkraut, Sauerkraut“, ruft Techniker Adam Basedow durchs Mikro. Ein wenig Spiel mit deutschen Klischees darf es beim Soundcheck schon sein.

Eine Stunde später strömen die Schüler in die Halle. Zum Einlass tönen Songs von Bosse, Niels Frevert und Casper aus den Boxen. Feiner DeutschpopUnterricht. Einige streifen sich direkt eines der Tonbandgerät-T-Shirts über, die das Goethe-Institut am Eingang verteilt. Andere belassen es lieber bei dem Outfit, das sie sich eigens für diesen Tag ausgesucht haben. So wie Phoebe, 16, und Dan, 17, aus Pennsylvania, die sich schwarz-rot-goldene Blumenketten umgehängt haben, ansonsten aber mit Hut und bunt gefärbtem Haar eher wie die Punks ihrer Klasse aussehen.

Der Vorhang öffnet sich und Jubel brandet auf, als die Band die Bühne betritt und ihren getragenen Bombast-Song „Wir bauen“ spielt. Pappschilder schnellen empor. „Tonbandgerät, Moin aus New York City“ ist auf einem zu lesen. „Ich liebe Jakob, den Schlagzeuger“ steht auf einem anderen. „Wir können Irgendwie anders für Euch sein“ erklärt eine Clique in Anlehnung an den Hit der Band. „Isa & Sophia, können wir ein Selfie knipsen“, fragt ein Mädchen mit bunt gemalten Buchstaben.

„Wir sind so aufgeregt, hier zu sein“, erklärt Ole auf Englisch. Allzu sehr möchte er die Deutschkenntnisse seiner jungen Zuhörer dann wohl doch nicht herausfordern. „Wir sind gestern wie die größten Touristen durch New York gelaufen. Mit den Köpfen im Nacken, um die Hochhäuser anzusehen“, erklärt er noch, bevor er sein Publikum auffordert: „Wir wollen eine Party feiern. Bewegt euch, wie immer ihr wollt.“ Gesagt, getan. Die Schüler verlassen ihre Sitze und rennen zur Bühne. Das Kermit-Mädchen mit seinem „Ich liebe dich“-Schild vorne weg. Das Security-Personal der Schule schaut streng, erkennt aber dann offenbar, dass vom Pop doch keine allzu große Gefahr ausgeht.

Die Schüler stürmen die Tische, an denen die Band Autogramme gibt

Isa und Sophia singen im Background über „fremde Städte, neue Träume“, was sofort mit extra Applaus quittiert wird. Später kündigt Ole an, dass die Schüler bei einem Videowettbewerb eine Reise zu Tonbandgerät nach Hamburg gewinnen können. Das Kermit-Mädchen quietscht vor Aufregung bei der Vorstellung, mit seinem Star durch die Stadt jenseits des Ozeans laufen zu dürfen. Zur Ballade „Hirngespenster“, die von der Zeit direkt nach der Schule erzählt, bittet Ole, das Licht im Saal zu löschen, damit alle ihre Handys leuchten lassen können. Konzertromantik der Generation iPhone. Lichter wippen, Endorphine tanzen. Nach einer Stunde verbeugt sich die Band. Arme recken sich ihr entgegen. Einige haben für eine bessere Sicht die Schultern ihrer Freunde geentert. Der Beifall vermischt sich mit Tosen, Toben und Trampeln.

Das Kermit-Mädchen weiß nicht, was es zuerst machen soll. Klatschen, fotografieren oder vielleicht doch noch mal das Schild hochhalten? Wie die meisten anderen Schüler stürmt es nach dem Konzert zu den Tischen, hinter denen die Band fast eine Stunde lang Autogramme gibt und für Gruppenfotos posiert. Es stellt sich als Flor vor. Die 15-Jährige geht in New York auf das City College für Mathematik, Naturwissenschaften und Technik. Seit zwei Jahren lernt sie Deutsch, weil sie eine Fremdsprache beherrschen möchte, für die sich nicht so viele entschieden haben. Lange lässt sich Flor allerdings nicht interviewen. Dafür ist sie viel zu aufgeregt, endlich ein Foto mit Ole machen zu können. Ihr neuer Star. Und in diesem Moment der denkbar beste Deutschlehrer.

Tonbandgerät live So 11.5., 19.00, Hafengeburtstag, NDR-Bühne; www.musikvomband.de

Abstimmung Video-Wettbewerb der US-Schüler www.goethe.de/ins/us/saf/prj/sig