Ärzte-Gitarrist Bela B. und sein Soloalbum „Bye“: Ein Gespräch über die Leidenschaft für Comics, scharfes Essen und die Beatles

Hamburg. Es gibt Künstler, die mehrere Leben mit ihrem Schaffen füllen könnten. Dirk Albert Felsenheimer, besser bekannt als Bela B., fällt definitiv in diese Kategorie. Als Schlagzeuger der Punkrock-Band Die Ärzte zählt der Wahl-Hamburger längst zur Popgeschichte des Landes. Und natürlich zu ihrer Gegenwart. Zudem trägt der 51-Jährige als Synchronsprecher, Schauspieler und Autor zum Kulturgeschehen bei. Und er ist bekannt für sein soziales Engagement, etwa für Viva con Agua, sowie für seine zahlreichen popkulturellen Interessen, darunter seine Liebe zu Comics und Horrorfilmen.

Bela B. selbst bezeichnet sich als „Fanboy“. Und als wäre das alles nicht bereits Beschäftigung genug, hat der Mann mit der markanten tiefschwarzen Haartolle nun mit „Bye“ auch noch sein drittes Soloalbum veröffentlicht. Eine wunderbar countryeske Platte, die aber nicht allzu puristisch auf Retro setzt. Gemeinsam mit der Hamburger Produzentin und Musikerin Peta Devlin sowie der fränkischen Combo Smokestack Lightnin’ hat Bela einen coolen Groove entwickelt, in den sich die deutschsprachigen Texte lässig einfügen. Die Songs handeln von Liebe, ungeniertem Leben und Dämonen, durchzogen mit viel Hintersinn. Für die Veröffentlichung hat Bela B. eigens das Label B-Sploitation gegründet. Woher stammt die Faszination für so viele unterschiedliche Dinge? Und wie lässt sich das alles vereinbaren? Das Abendblatt sprach mit Bela B. über das Thema Leidenschaften.

Hamburger Abendblatt:

In Ihrem aktuellen Song „Der Sünder“ singen Sie von der Verführung als Junge durch „Comics, Bier, Musik“. Sind Ihre Leidenschaften damit hinlänglich beschrieben?

Bela B.:

Ich lese immer noch gerne Comics. Für mich ist das eine sehr schöne Kunstform, für die ich nach wie vor jeden Monat Geld ausgebe. Ich habe mir früher meistens Comics wegen bestimmter Zeichner gekauft, aber heute greife ich eher bei Ausgaben zu, die von besonderen Autoren geschrieben wurden. Zum Beispiel von Alan Moore. Oder Garth Ennis, ein Wunderkind, das in den 2000ern auftauchte und alles auf den Kopf stellte. Ich wollte die Gunst des Liedes nutzen und dieser Leidenschaft Ausdruck verleihen. Mindestens mein Comic-Händler wird über die Textzeile lachen.

Was fasziniert Sie an dem Medium?

Bela B.:

Ich bin als Kind auf Comics gekommen. Das war einfach zu lesen. Und es gab die Bilder noch extra dazu. Wenn man selber Kinder hat, sollte man darauf achten, dass die rechtzeitig gute Comics bekommen und nicht den Abfall. Das Comic darf das Kind nicht unterfordern. „Tim und Struppi“, die alten „Asterix“-Sachen oder „Lucky Luke“ etwa, da gibt es so viele Querverweise auf historische Tatsachen, Wortwitz und Parodien. Mit 16, 17 habe ich dann so genannte Erwachsenencomics gelesen, Sex und Science-Fiction, bis ich reif genug war, mich wieder für den Kinderkram zu interessieren, für Superhelden und ihre Paralleluniversen, in denen andere Gesetzmäßigkeiten gelten, in denen Menschen zum Beispiel fliegen können. Sie werden im besten Fall genutzt, um sehr komplexe Geschichten zu erzählen. Wie beim „Watchmen“ und „The Dark Knight Returns“ oder der fantastischen Horrorserie „The Walking Dead“.

Gab es in Ihrer Kindheit jemanden, der Ihre kulturellen Leidenschaften befeuert hat?

Bela B.:

Mein Vater hat mein Elternhaus relativ früh verlassen. Ich bin in einem Frauenhaushalt aufgewachsen mit Großmutter, Mutter und Schwester. Meine Mutter musste arbeiten und hat mich deshalb nicht in irgendeine Richtung gedrängt. Sie hat sich natürlich gewünscht, dass ich mal ein Buch lese. Ich habe mir die Sachen selber gesucht. Meine Leidenschaft für Horrorfilme etwa entstand über „Sindbads siebente Reise“ aus dem Jahr 1958, ein Fantasyfilm, bei dem Ray Harryhausen die Monster gestaltet hatte. Einen Horrorfilm zu sehen ist für mich ein Stück weit Gemütlichkeit, nach Hause kommen. Oder scharfes Essen, das ist auch eine der Leidenschaften, die mich begleiten. Mit einer besonders scharfen Sauce macht man mir immer eine Freude.

Wann ist die Musik dazugekommen?

Bela B.:

Relativ spät. Meine Schwester und ich hatten einen Plattenspieler zusammen und haben als erste Platten jeweils eine Tony-Marshall-Single bekommen. Die habe ich sogar beide noch. Als ich sehr jung war, war ich auf einem ABBA-Konzert. Das hat mich noch nicht so inspiriert. Ich habe aber immerhin eine glamouröse Erinnerung daran, da die beiden Sängerinnen sich drei Mal umgezogen haben während der Show. Aber auch daran, dass man erst am Ende bei der Zugabe aufstehen durfte. Als ich in der Oberschule war, hatte meine Schwester Gitarrenunterricht. Das Instrument war also im Haus, aber ich konnte damit nicht so richtig etwas anfangen. Aber als sie 13 war, hatte sie einen 19-jährigen Freund, der in der Schulband spielte und einen Übungsraum in seinem Keller hatte. Ich bin da mal als Anstandswauwau mitgeschickt worden. Als die fummeln wollten, hat er mich in seinen Proberaum im Keller geschickt. Und da habe ich mir gleich zielstrebig das Schlagzeug ausgesucht. Er hat das durch die Wände gehört und meinte, ich hätte Talent. Ich hatte mal eine Stunde Unterricht, aber eigentlich habe ich sofort in Bands gespielt. In diesem ganzen Punk-Rausch galt eh: Jeder kann alles. Wir haben also die Instrumente gewechselt und so lernte ich halbwegs Gitarre spielen.

Also war die Gitarre Liebe auf den zweiten Blick?

Bela B.:

Ja. Und ich stand ziemlich sofort auf skurrile Gitarren. Als wir mit den Ärzten den Berliner Senatsrockwettbewerb und damit 10.000 D-Mark gewannen, hab ich mir von meinem Anteil eine Kiss-Gitarre in Axtform gekauft. Inzwischen habe ich eine Sammlung von 50, 60 Stück. Aber es sind nicht viele teure dabei. Ich habe ein Herz für Billiggitarren.

Gerade Menschen mit unterschiedlichen künstlerischen Leidenschaften tendieren ja dazu, immer mehr Kulturgüter anzuhäufen. Müssen Sie sich da bremsen?

Bela B.:

Das ist schon krass. Wenn ich von einem neuen Horrorfilm höre, bin ich sofort am Haken. Ein tolles Cover reicht oft schon und ich kaufe mir den Tonträger. Ein Roman, der alle schockt? Her damit. Aber die Berge von Ungesehenem und Ungelesenem wachsen. Deshalb habe ich meine Sammelleidenschaft zumindest bei den Comics eingedämmt. Ich schaffe das einfach nicht. Ich will ja auch noch Bücher lesen. Und nebenbei Musik machen.

Die Leidenschaft an sich hat ja auch ihre dunkle Seite. Nutzen Sie auch mal Streit und Wut als künstlerischen Motor?

Bela B.:

Bedingt. Mir macht es eher Spaß, mich kreativ aufzuregen. Etwa, wenn ich mit den Ärzten auf Tour bin. Dann ziehe ich leidenschaftlich gern über die Beatles her, weil die beiden anderen so Riesen-Fans sind. Mir wurden die Beatles immer von Älteren als das Maß aller Dinge vorgehalten. Das habe ich angezweifelt als Schüler. Und das hält bis heute an. Wenn die Beatles in einer Bar laufen, sage ich: Ach, wie herrlich könnte das von DJÖtzi klingen.

Einen Anti-Beatles-Song haben Sie aber noch nicht geschrieben?

Bela B.:

Bisher nicht. Aber gute Idee!

Eine Soloplatte, wie Sie sie jetzt mit „Bye“ gemacht haben, ist das für Sie auch eine Art Auslagerung von Leidenschaften?

Bela B.:

Natürlich. Wenn ich eine Soloplatte machen würde, die genau so klingt wie die Band, mit der ich berühmt geworden bin, dann scheint ja der einzige Beweggrund zu sein, dass ich diesmal das Geld nur für mich alleine haben will. Ich nutze das eher, um mich als Musiker auszuprobieren. An dieser Platte haben wir mit vielen Unterbrechungen seit 2010 gearbeitet. Als wir fast alles aufgenommen hatten, lernte ich Peta Devlin kennen. Diese Frau ist ein Geschenk an die Musik. Wenn du mit so einer Sängerin eine Platte aufnimmst, fängst du auf einmal an, an deiner eigenen Stimme zu zweifeln. Deshalb habe ich meinen Gesang zum Teil auch noch mal neu aufgenommen. Ich habe zudem wahnsinnigen Aufwand betrieben, Sängerinnen, die ich bewundere, dazu zu bewegen, meine Songs auf der Platte einzuzählen. Das war dann noch so ein Sport nebenbei. Rockabilly-Legende Wanda Jackson zum Beispiel hat das übers Telefon eingesprochen.

Welche künstlerischen Leidenschaften möchten Sie sich denn noch erfüllen?

Bela B.:

Ich arbeite mich gerne an meinen Träumen und Wünschen ab. Ich habe gerade ein Drehbuch zu Ende geschrieben. Gemeinsam mit dem österreichischen Regisseur Thomas Roth. Zu dem Inhalt möchte ich noch nichts sagen. Aber wenn alles klappt, dann drehen wir Ende des Jahres.

Bela B. & Smokestack Lightnin’ feat. Peta Devlin auf Tour: Fr 23.5., 20.00, St. Pauli Theater (ausverkauft!);So 25.5., 21.00, Fabrik; www.bela-b.de