Sie kommen aus der Sterne-Gastronomie oder sind Quereinsteiger: In der Küche des Verlagshauses Gruner + Jahr probieren sie jeden Tag neue Gerichte aus. Ein Ortstermin

Hamburg. Das Licht, das durch die Deckenfenster fällt, taucht die Arbeitsflächen in Honig, und selbst das Öl in den Flaschen beginnt zu leuchten. Der Raum ist voller Menschen. Links rotiert der Schlegel einer Küchenmaschine durch luftigen Teig, der nach Mehl duftet, Vanille und Milch. Ein Teller mit Zitronen und Limetten steht daneben. Die Menschen schauen kaum auf, als man den Raum betritt, sie lächeln kurz, aber dann sind sie auch schon wieder in Gedanken, schauen in ihre Töpfe und Pfannen, sie tragen weiße Schürzen und manche von ihnen Handschuhe.

Fast jeden Tag in der Woche geht es so zu in diesem Raum, elf Arbeitsplätze mit Herd und Ofen gibt es insgesamt, sie gehören zum Verlagshaus von Gruner + Jahr. Rund ein Dutzend festangestellte Köche arbeiten hier, sowohl Männer als auch Frauen. Sie entwickeln Rezepte für die verschiedenen Magazine, die sie Monat für Monat bestücken müssen, zum Beispiel für „Essen & Trinken“, „Brigitte“ und die neuen Foodzeitschriften „Chefkoch“ und „Deli“. Was steht heute auf dem Programm? Wurstsalat, Schichtsalat, alle möglichen Salate, „Heft 6“ ist jetzt in der Produktion, es wird im Juni erscheinen.

Und natürlich gibt es auch Kuchen. Plötzlich duftet es nach Zitronenschale, auf dem Teller neben der Küchenmaschine sind die Zitrusfrüchte inzwischen nackt: Die Schale ist abgerieben in den Teig gewandert.

Nicht alle Köche, die bei Gruner + Jahr arbeiten, haben eine Kochausbildung gemacht, wie immer im Journalismus gibt es auch hier Quereinsteiger. Marcel Stut zum Beispiel hat Wirtschafts- und Sozialwissenschaften studiert, bis zum Vordiplom, „meine Eltern haben ein Möbelgeschäft“, sagt er, wie zur Erklärung. Dann hat er ein Praktikum bei „Essen & Trinken“ gemacht – und ist „hängen geblieben“.

Oder Michael Wolken. Fast 14 Jahre ist er jetzt hier, er hatte eine Kochlehre absolviert und sich überlegt, ob er das wirklich möchte: sein Leben in der Gastronomie verbringen. Dann bewarb er sich bei Gruner + Jahr. Sein Vorstellungsgespräch: Ein Vier-Gänge-Weihnachtsmenü mit Suppe, Rehrücken, Lachs im Pfannkuchenmantel und Maronenmousse zum Dessert. Er schmunzelt bei der Frage, warum er das unbedingt wollte: als Koch bei einem Magazin arbeiten. „Die Freiheit beim Kochen“, sagt er, sehr schnell kommt diese Antwort. „Die Möglichkeiten in der Gastronomie sind oft sehr begrenzt. Man kocht die Klassiker, die die Gäste seit Jahren kennen, aber hier kann ich fast jeden Tag neue Vorschläge machen, und die Redaktion sucht sich das Beste raus. So zu arbeiten ist schon einmalig.“ Die Redaktion, das sind bei „Essen & Trinken“ nicht nur die Köche, es gibt auch Redakteure, Food-Stylisten und feste Fotografen.

Einen Weg zurück in die Gastronomie wird es auch für Michael Wolken kaum geben, er schüttelt den Kopf. „Man ist ja komplett raus aus dieser Welt“, sagt er. „Allein das À-la-carte-Geschäft, wenn plötzlich 40 Gäste ein Essen bestellen: Da ist man wahrscheinlich zu langsam für geworden.“ Ohne Training ist eben auch der beste Chefkoch nichts.

Heute kocht Michael Wolken Schweinefilet mit weißen Bohnen in Harissa, Avocado und Basilikum-Joghurt. Die Idee hatte er selbst, nun geht es um die exakten Mengen und die Garzeiten. In zwei Tagen wird das Gericht von einem Praktikanten nachgekocht, Gramm für Gramm, ob es auch wirklich stimmt. Die Lebensmittel besorgen die Köche selbst, auf Wochenmärkten wie dem Isemarkt, in Supermärkten und manchmal auch über das Internet. Jedes Essen wird dreimal gekocht, bevor es im Heft erscheint: erst vom Koch selbst, dann vom Praktikanten, schließlich ein drittes Mal für die Fotoproduktion. Zwei Studios gibt es dafür in der Redaktion. Einige Produktionen finden aber auch außerhalb statt. Für keines der Magazine werden die Lebensmittel künstlich lackiert oder sonst irgendwie verändert. So wie gekocht wurde, landet es auch vor der Linse. „Mag sein, dass unsere Fotos deshalb nicht aussehen wie Werbefotos, aber dafür sind sie eben authentisch“, sagt Elisabeth Herzel, Chefredakteurin von „Essen & Trinken“. „Der Leser merkt beim Selbstkochen ohnehin sofort, ob die Rezeptfotos lügen oder nicht.“

Kein Koch kann das übrigens aus dem Stegreif: selbst ein Rezept schreiben. Selbst Küchenchef Achim Ellmer musste es lernen, an diesem Mittag steht auch er wie honigübergossen in dem Raum mit den vielen Menschen. Ständig steht ein neues Gericht zum Probieren auf dem Tresen, erst Wurstsalat, dann French Toast mit Rhabarber-Kompott, später wird noch der Schichtsalat dazu kommen, der Speck dafür brutzelt schon in der Pfanne.

Achim Ellmer trägt die langen Haare sorgfältig im Zopf, er hat ein wenig Stress, drüben in der zweiten Küche läuft zeitgleich eine „Brigitte“-Produktion. Seit 18 Jahren ist er bei Gruner + Jahr, seit zwölf Jahren leitet er die Küche, die es gibt, seitdem „Essen & Trinken“ zum ersten Mal erschienen ist – also seit 1972. Er selbst hat bei Johann Lafer gelernt und anschließend einige Jahre in der Sterne-Gastronomie gearbeitet.

Er sieht zufrieden aus. Der Stress in einer Produktionsküche ist nicht geringer als der in einer Restaurantküche. Er ist nur anders. Kreativer – und umfassender. „Man trägt für alles Verantwortung, nicht nur für das Fleisch, das man gerade zubereitet, auch für die Soße, das Gemüse, die Pasta.“ Das ist der Anspruch. Der Leser hat schließlich auch niemanden zu Hause, der ihm mal kurz die fertige Soße vorbeibringt.