Die deutschsprachige Erstaufführung des Thrillers „Mitternachtsspitzen“ im Imperial Theater überzeugt mit stimmigem Gesamtbild

Hamburg. Das rote Telefon – es hat Symbolkraft. Im Kalten Krieg sollte es als heißer Draht zwischen den USA und der UdSSR einen möglichen Atomkrieg verhindern. Das rote Telefon, es kann aber auch Bedrohungspotenzial entwickeln. So hat es Janet Green schon Ende der 1950er-Jahre in ihrem Stück „Murder, My Sweet Matilda“ geschrieben. Und so erfährt es Lesley (Verena Peters), eine als Mädchen „Matilda“ genannte Amerikanerin aus gutem Hause, in ihrem Londoner Domizil am eigenen Leib. Ein anonymer Anrufer droht, sie bis Monatsende zu ermorden.

Den nach Janet Greens Vorlage als „Mitternachtsspitzen“ mit Doris Day bekannten Kinothriller hat das Imperial Theater in der Übersetzung Frank Thannhäusers als deutschsprachige Erstaufführung auf die Bühne gebracht. Bei der Premiere wurden Regisseur und Ensemble mit viel Beifall gefeiert. Etwa 20-mal hat das rote Telefon im himmelblauen Apartment bis dahin geklingelt. Mit dem Klischee, dass Frauen gern und lange in der Leitung hängen, wird Anruf für Anruf aufgeräumt. Da sorgen auch die Störungsstelle oder Vermittlung nur kurz für Entspannung. Bildet sich Lesley die Bedrohung etwa ein? Wer ist der Anrufer mit hoher verstellter Singsangstimme? Und wird er (oder sogar sie) die Drohung in die Tat umsetzten?

Das Vorleben des verhätschelten, die Lüge gewohnten Internatskindes Lesley spielt auch in der Beziehung mit seinem frisch angetrauten Ehemann Max (mal besorgt, dann herrisch: Roland Kieber) eine Rolle. Zumal der erfolgreiche Buchmacher die Hochzeitsreise nach Venedig verschieben will. Und sexuell läuft in London gar nichts. Verena Peters wandelt als blonde Gattin Lesley auf einem schmalen Grat beim Kampf um Aufmerksamkeit. Doch sie verleiht ihrer Figur nicht nur dank der zahlreichen Kleiderwechsel Konturen, ist mal mädchenhaft-naiv, dann ge- und verstört, angsterfüllt bis neurotisch, ohne ins Kitschige abzugleiten. Was Lesley von ihrem Max und ihrer befreundeten Nachbarin Peggy (Heidi Klein) zu halten hat, stellt sich spät heraus. Da weiß man bei Lesleys resoluter Tante Bee eher, woran man ist: Wenn Christine Wilhelmi mit roter Hutschachtel erscheint, sind trockene Kommentare zum Thema Annäherung mitsamt kühlen Drinks sowie einige Lacher garantiert: „Ich habe Lesley geschlagen“, gesteht ihr Max. „Das ist ein Anfang“, entgegnet darauf Tante Bee.

Auch wenn sich die Hauptfigur Lesley am Ende sehr rasant häutet: Im Krimitheater klärt sich der Fall diesmal auch ohne Scotland Yard, und die Leichenwahrscheinlichkeit tendiert gegen null. Umso mehr erzeugen Kulisse und Kostüme von Thannhäuser, Alexander Beutel und Martin Purvis ein stimmiges Gesamtbild. Es sind packende Thrilling Sixties in Hamburg.

„Mitternachtsspitzen“ bis Juli, jew. Do–Sa, Reeperbahn 5, Karten unter T. 31 31 14