Kultursenatorin Barbara Kisseler über den Umgang der Stadt mit den Lampedusa-Flüchtlingen und den Auftakt von Karin Beier am Schauspielhaus

Hamburg. Die Sonne scheint durch die hohen Fenster von Barbara Kisselers Büro. Dazu leuchten drei Thermoskannen auf dem Tisch um die Wette, in Orange, Gelb und Froschgrün. Keine Frage: In der Kulturbehörde ist der Frühling ausgebrochen. Trotzdem möchten wir gern noch einmal über den vergangenen Winter sprechen.

Hamburger Abendblatt:

Der Fußballverein FC St. Pauli stellt den sogenannten Lampedusa-Flüchtlingen für jedes Heimspiel 80 Tickets zu Verfügung. Würden Sie es begrüßen, wenn die Hamburger Museen und Theater diesem Beispiel folgen?

Barbara Kisseler:

Ich würde das nicht falsch finden. Die Frage, die man sich stellen muss, ist: Was bezwecke ich damit? Deshalb würde ich als Theater oder Museum auch immer vorher in Erfahrung bringen lassen, ob es für mein Angebot auch eine Nachfrage gibt. Ich finde nichts schlimmer als eine wohlfeile Geste, die aber außer der eigentlichen Gestik nichts beinhaltet.

Bei der Eröffnung der Lessingtage im Januar griff Thalia-Intendant Joachim Lux den Umgang des Senats mit den Flüchtlingen scharf an. Sie saßen in der ersten Reihe und waren seine erste Ansprechpartnerin. Wie war das für Sie?

Kisseler:

Man kann heute nicht im politischen Geschäft tätig sein ohne auch mal damit rechnen zu müssen, dass die Resonanz auf bestimmte politische Entscheidungen nicht nur positiv ist. Das finde ich bei dem Thema auch nicht überraschend. Es polarisiert, wenngleich ich auch glaube, dass inzwischen eine gewisse Gelassenheit eingekehrt ist. Mich hat das nicht unangenehm berührt. Das Thalia Theater hat sich immer auch als politischer Ort verstanden, vor allem in dem, was es über seinen Spielplan transportiert. Überhaupt ist das Theater ein Ort, an dem substanzielle Positionen konträr verhandelt werden können. Wo man als Zuschauer die Bereitschaft mitbringt, zuzuhören, auch wenn man anderer Meinung ist. Das tut man nicht an jedem Ort in der Gesellschaft.

Beim anschließenden Empfang übten auch Sie Kritik am Verhalten des Senats. Man habe sich in viele juristisch hochkomplexe Fragen eingearbeitet, den Menschen aber letztlich zu wenig Antworten gegeben.

Kisseler:

Ich habe die genaue Formulierung nicht mehr im Kopf, weil ich an dieser Stelle frei gesprochen habe, aber ich glaube in der Tat: Es war und ist ein unglaublich komplexes Thema, weil man als Gesellschaft eigentlich erst mal nur die Möglichkeiten hat, in den Grenzen des Rechtsstaates zu agieren. Aber man kann das sicherlich mit unterschiedlichen Sensibilitäten tun. Inzwischen, glaube ich, sind wir in der Stadt an einem Punkt angelangt, wo eigentlich alle sagen: Das Thema eignet sich nicht für politische Schlammschlachten und vorschnelle Positionszuweisungen.

Sondern?

Kisseler:

Es gibt hinter dem äußeren Anlass Lampedusa noch eine andere Herausforderung. Sie beinhaltet die Frage: Wie sieht die Gesellschaft aus, in der wir morgen leben wollen? Diese Frage stellt sich besonders für Metropolen wie Hamburg oder Berlin, die ja ein hohes Attraktivitätspotenzial für Flüchtlinge im weitesten Sinne darstellen, und Hamburg ist da vom Selbstverständnis her eher eine Stadt, die sagt: Wir sind tolerant, wir sind großzügig, wir sind offen. Ich glaube, wir werden uns in den nächsten zehn Jahren mit Sicherheit noch intensiver als bisher damit auseinandersetzen müssen, welche Antwort die europäische Stadt von heute auf die Frage hat, dass viele in diese Städte wollen. Da muss man pragmatisch mit umgehen, man muss aber auch bereit sein sich einzugestehen, dass viele da auch Angst empfinden – Angst vor dem, was da auf uns zukommt.

Als es im Senat im Winter beim Thema Flüchtlinge heiß herging, wie kann man sich das vorstellen: Haben Sie die Stimme der Hamburger Kultur eingebracht? Die hatte sich ja recht schnell recht eindeutig positioniert.

Kisseler:

Im Senat wird dem Kulturbereich durchaus zugebilligt, in allen Diskussionen auch noch mal eine ganz eigene Stimme zu haben. Die eben nicht in erster Linie von juristischen Erwägungen getragen ist, sondern von – wenn man so will – menschlichen. Es gab bei den Diskussionen eben diese andere Ebene, von der ich schon sprach, die auch immer mehr Raum braucht, weil es ja nicht bei Lampedusa bleiben wird. Ja, der Kulturbereich darf auch mal Dinge deutlich aussprechen, die ein Innen- oder Justizpolitiker vielleicht nicht sagen könnte. Das ist eine große Chance.

Wie haben Sie sich denn zu den Gefahrengebieten ausgesprochen?

Kisseler:

Ach, ich fand dieses Wort ehrlich gesagt ein bisschen schwierig. Gefahrengebiete – das kann so vieles sein, manche Gebiete am Amazonas, auch mein Badezimmer ist manchmal ein Gefahrengebiet. Das war ein Terminus technicus, bei dem man meiner Meinung nach schnell das Gefühl hatte, auch gerade als die bundesweite Berichterstattung einsetzte: Das wird dem, was gerade in der Stadt passiert, nicht gerecht. Auch wenn man das Gefühl der Bedrohung in der eigenen Stadt durchaus ernst nehmen muss. Nur manchmal ist es eben einfach die Wortwahl, die Irritationen entstehen lässt – im schlimmsten Fall aber auch ein Reizklima.

Das ist eigentlich ein ganz schönes Stichwort für unsere nächste Frage. Wir würden gern mit Ihnen über den Spielzeitauftakt am Schauspielhaus sprechen, die ersten Wochen von Intendantin Karin Beier. Wie bewerten Sie die?

Kisseler:

Karin Beier hat sich vor dem Antritt ihrer Intendanz einem unheimlichen Erfolgsdruck ausgesetzt gesehen, der im Übrigen nicht kleiner dadurch geworden ist, dass der eiserne Vorhang auf die Bühne krachte. Auch für uns nicht. Man dachte wirklich, man fällt jetzt von einer Ohnmacht in die nächste. Nach der Premiere der „Rasenden“ ist dann ein Aufatmen durch weite theatergewogene Kreise der Stadt gegangen. Derart, dass man gesagt hat: Die Zeit der Dürre ist vorbei, endlich haben wir unser Deutsches Schauspielhaus wieder. Dieses Gefühl hat sich nicht in jeder Inszenierung bewahrheitet, auch in meiner persönlichen Wahrnehmung nicht. Aber niemand konnte davon ausgehen, dass eine total gelungene Premiere nach der anderen stattfindet. Trotzdem glaube ich, dass Karin Beier es geschafft hat, die Aufmerksamkeit wieder auf dieses Haus zu lenken. Besonders dadurch, dass sie so viele tolle Schauspieler mitgebracht hat. Da geht es sicher nicht nur mir so, dass man mal während einer nicht so gelungenen Inszenierung denkt: Aber die Schauspieler sind wenigstens toll. Das honoriert Hamburg, das merke ich immer wieder. Im Vergleich zu Berlin hat Hamburg im Übrigen ein sehr konstruktives Theaterpublikum.

Wie händeln Sie das als Kultursenatorin, wenn Sie irgendwo im Publikum sitzen und schon während der Aufführung denken: Oh, mein Gott... Sie können ja nicht einfach aufstehen und gehen.

Kisseler:

Ach wissen Sie, mir ist das zu anstrengend, mit meiner Meinung hinterm Berg zu halten. Dann muss ich mir ja immer merken, wie differenziert abgewogen ich denn gerade gesagt habe, dass ich es ganz furchtbar fand – oder aber umgekehrt. Wichtig ist, dass man nicht verletzend wird. Und manchmal reicht es auch, so eine Formulierung zu finden wie: Es hat mich nicht erreicht... Dann liegt’s ja im Zweifel an mir.

Stört es Sie, dass in diesem Jahr keine Hamburger Inszenierung zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde?

Kisseler:

Nein. Das Berliner Theatertreffen ist nach meinem Dafürhalten eine zwar sehr traditionelle aber auch immer gern überschätzte Angelegenheit. Schön, wenn wir vorkommen. Aber wenn das der einzige Gradmesser wäre für die Theaterstadt Hamburg, hätten wir etwas falsch gemacht.

Die Lessingtage am Thalia waren ein Erfolg, auch über das Schauspielhaus redet man wieder. Spricht man genug über die kleinen Theater in Hamburg?

Kisseler: In Hamburg gibt es eine Übereinkunft darüber, dass die Privattheater eine wichtige Klangfarbe innerhalb der städtischen Theaterlandschaft sind. Wer es wiederum ganz schwer hat, wahrgenommen zu werden, sind die freien Theater. Das hat einfach mit der puren Größe zu tun. Ich persönlich stelle übrigens immer wieder fest, dass in Hamburg das Kinder- und Jugendtheater sehr gut wahrgenommen wird, allerdings nicht immer, erlauben Sie mir das, in Ihrem verehrten Blatt.

Gehen Sie denn oft ins Kindertheater?

Kisseler:

Ich gehe häufig einfach mal so in ein Stück, gerade war ich auf „Einladung“ einer Siebenjährigen im „Gummitarzan“ im Lichthoftheater. Neben mir besagte siebenjährige Marlene. Ich war leider wahnsinnig erkältet und habe richtig gezittert. Da sagte Marlene auf einmal zu mir: Du musst keine Angst haben, das ist ein tolles Stück. (Lacht.) Wenn man es geschafft hat, die Kinder zu packen, dann hat man wirklich etwas fürs Leben erreicht. Hamburg hat dafür ein paar großartige Bühnen. Und die brauchen unsere Hilfe. Auch wenn der kommende Haushalt ganz schwierig wird, wir müssen uns etwas einfallen lassen. Da ist auch in Zusammenarbeit mit anderen Behörden noch Luft nach oben.

Apropos Zusammenarbeit: Den Weggang von Staatsrat Nikolas Hill hat die Kulturbehörde nicht ersetzt bekommen. Horst-Michael Pelikahn betreut jetzt als Staatsrat der Wissenschaftsbehörde die Belange der Kultur mit – eine Schwächung der Kulturbehörde?

Kisseler:

Ehrlich gesagt: So leicht bin ich nicht zu schwächen. Bloß weil ich ein halbes Jahr lang mal nur einen halben Staatsrat habe. Der Bürgermeister und ich sind uns darin einig, dass die jetzige Lage der Gesamtsituation geschuldet ist. Für diesen kurzen Zeitraum lohnt es einfach nicht, jemand Neues einzustellen. Nach den Wahlen wird es wieder eine Vollzeitkraft geben.

Sie befürchten nicht, dass das nur der Anfang war und irgendwann zwei Behörden zusammengelegt werden?

Kisseler:

Das Selbstverständnis Hamburgs im kulturellen Bereich ist inzwischen so stabil, dass man damit eine eigenständige Behörde mit einem Senator und einem Staatsrat verbindet. Ich glaube dezidiert nicht, dass es Hamburg gut tun würde, das anders zu machen.

Und Sie empfinden es so, dass der Erste Bürgermeister das auch so sieht?

Kisseler:

Das empfinde ich ganz deutlich so, ja.