In diesem Jahr wurden vor allem ernste Filme mit Preisen belohnt. Und trotzdem ließen die Mitglieder der Academy Überragendes leer ausgehen

Berlin. Die „27 besten Oscar-Momente 2014“ – siebenundzwanzig! Um auf diese erstaunliche Zahl zu kommen, mussten sich die Redakteure der brutal erfolgreichen Webseite Buzzfeed ganz schön anstrengen. Deshalb waren allein drei „beste Momente“ der Oscar-Verleihung laut Buzzfeed dem Musiker Pharrell Williams zu verdanken, weil der bei der Darbietung seines Welthits „Happy“ nacheinander die Schauspielerinnen Lupita Nyong’o, Amy Adams und Meryl Streep kurz zum Tanzen brachte. Wie unaufregend die Academy Awards diesmal tatsächlich waren, zeigte sich später. Dass nicht „Happy“ den Oscar für den besten Filmsong bekam, sondern die Heulballade „Let It Go“ aus Disneys „Die Eiskönigin“, war schon die größte Fehlentscheidung des Abends.

Ansonsten gab es keine Überraschungen, weder böse noch erfreuliche. Was für die bald ins Gähnen verfallende Simultanberichterstattung der Onlinemedien ein erheblich größeres Problem darstellte als für die Oscar-Verleihung selbst, als Institution. Denn die 86. Ausgabe des noch immer bedeutendsten Filmpreises der Welt war in vielerlei Hinsicht eine Reaktion auf die letztjährige Veranstaltung. Die hatte der Comedian Seth Farlane in Grund und Boden moderiert, und sie war im Vorfeld überschattet gewesen von der Kontroverse um Kathryn Bigelows „Zero Dark Thirty“, der die Tötung von Osama Bin Laden filmisch grandios nachzeichnete, aber absurderweise nicht für den Regie-Oscar nominiert war.

Vergleichbare Peinlichkeiten waren in diesem Jahr von vorneherein ausgeschlossen. Dass mit „All Is Lost“, „Inside Llewyn Davis“ und „Saving Mr. Banks“ bei den Nominierungen drei gute, aber letztlich nicht restlos überzeugende Filme fast gänzlich übergangen worden waren, war bloß schade. So wurden die schauspielerisch herausragenden Leistungen von Robert Redford und Emma Thompson überhaupt nicht gewürdigt, Ähnliches gilt für die von Daniel Brühl in „Rush“.

Das alles aber taugte nicht zum Skandal. Der hätte nur gedroht, wäre am Ende des Abends das Sklavereidrama „Twelve Years A Slave“ nicht mit dem Preis für den besten Film ausgezeichnet worden. Zuvor waren ihm bereits zwei Oscars zuerkannt worden, für Lupita Nyong’o als beste Nebendarstellerin und John Ridley (beste Drehbuchadaption). Total richtig, total vorhersehbar. Erwartbar auch waren die Oscars in den technischen Kategorien für das Weltraumkammerspiel „Gravity“, dessen Schöpfer Alfonso Cuarón zudem den Regie-Oscar gewann. Nachvollziehbar auch das: Hat Cuarón doch gezeigt, dass die 3-D-Technik nicht bloß für stumpfe Blockbuster taugt, sondern eine simple Geschichte vom Überleben im All in ein berauschendes Kunstwerk verwandeln kann.

Sieben Oscars also für „Gravity“, drei für „Twelve Years A Slave“: Der große Verlierer des Abends war David O. Russell mit seinem für zehn Oscars nominierten „American Hustle“, der etwas kleinere große Verlierer war Martin Scorsese mit „Wolf Of Wall Street“. Dass beide Filme völlig leer ausgingen, wäre in einem schwächeren Oscar-Jahrgang eine Schande gewesen. Doch in fast jeder Kategorie gab es mindestens einen Kandidaten, den man für besser halten konnte.

Bradley Cooper war in dem sensationellen Schauspielerensemble von „American Hustle“ der einzig Mittelmäßige, und dass statt ihm Jared Leto für die Rolle als Transsexueller in „Dallas Buyers Club“ den Oscar als bester Nebendarsteller bekam, war angemessen und schön (Leto hielt dann auch eine der wenigen erinnerungswürdigen Dankesreden der Verleihung). Und dass Leonardo DiCaprio mal wieder keinen Oscar als bester Hauptdarsteller gewann, sondern diesmal Matthew McConaughey für „Dallas Buyers Club“ – das ist nicht deshalb schon richtig, weil McConaughey sich so spektakulär in seine Rolle als homophober Aids-Kranker hineingehungert hat. McConaugheys Figur war einfach die interessantere, komplexere, vielschichtigere.

Wirklich hart hingegen war die Entscheidung gegen Amy Adams und für Cate Blanchett in der Kategorie beste Hauptdarstellerin. Nicht dass Blanchett in Woody Allens „Blue Jasmine“ nicht großartig gewesen wäre. Aber sie spielte in einem bloß mittelmäßigen Film. Wie viel toller war Amy Adams im Zusammenspiel mit Christian Bale und Jennifer Lawrence in „American Hustle“! Doch für Ensembleleistungen gibt es keinen Oscar, ewiger Konstruktionsfehler der Academy Awards. Immerhin war „Blue Jasmine“ einer der wenigen Filme des diesjährigen Oscar-Jahrgangs, der sich überhaupt ansatzweise mit unserer Zeit beschäftigte. Das preiswürdige Gegenwartskino Hollywoods kommt gerade relativ gut ohne die Gegenwart aus. „American Hustle“, „Dallas Buyers Club“, „The Wolf Of Wall Street“, „Twelve Years A Slave“, „Philomena“, „Captain Phillips“: Sechs der neun Filme, die als bester nominiert waren, behandeln historische Stoffe, auch wenn die wahren Begebenheiten mitunter erst ein paar Jahre her sind. Zeitdiagnostische Erkenntnisse für 2014 sind da eher zufällig als gewollt.

Mit „Her“ wagt wenigstens ein Film einen Blick in die Zukunft, während er die gegenwärtigen Beziehungen zwischen Mensch und Technik eigentlich nur weiterdenkt. Spike Jonze gewann für das Drehbuch zu „Her“ einen Oscar, und das war vielleicht die erfreulichste Überraschung. Noch schöner wäre es gewesen, wenn Jonzes Sieg nicht auch eine weitere Niederlage für „American Hustle“ bedeutet hätte. Womöglich wird man sich in ein paar Jahren nur deswegen an diesen sonst so unspektakulären Oscar 2014 erinnern, weil man sich fragen wird: Wie konnte es sich die Academy leisten, einen derart guten Film ohne einen einzigen Preis nach Hause zu schicken? Die Antwort wird wie stets lauten: Weil sie die Wahl hatte.