Sol Gabetta ist neben Felix Mendelssohn der Star der ersten Ausgabe des SHMF unter der Intendanz von Christian Kuhnt

Neumünster. Manchmal passt zusammen, was nicht zusammen gehört. Ausgerechnet eine Cellistin zur Botschafterin des Werks von Felix Mendelssohn zu erklären, wie es das Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF) in seiner diesjährigen Ausgabe tut, der ersten unter der Intendanz von Christian Kuhnt, das erscheint auf den ersten Blick geradezu abwegig. Denn Mendelssohn hat kaum für das Instrument komponiert. Zwei Sonaten, ein Lied ohne Worte, kein Solokonzert: Darin – und natürlich in den Cello-Partien der Streichquartette und einiger Kammermusik mit Klavier – erschöpft sich die cellistische Ausbeute im großen Oeuvre des 1809 in Hamburg geborenen Wunderkinds.

Und doch: Sol Gabetta, deren Name auf dem Programmheft doppelt so groß geschrieben steht wie der Mendelssohns, passt, wenn schon nicht als Interpretin, so als Person und Künstlerin verblüffend gut zu gerade diesem Komponisten. Über die Wunderkind-Verwandtschaft der beiden hinaus eint sie die Gabe, Musik auch als unwiderstehliches Medium der Verständigung, ja, Versöhnung zwischen einander sonst womöglich sehr fernstehenden Menschen zu begreifen und einzusetzen.

„Sonne & Glück“, auf diese Marketing-Summe kommt Kuhnt bei der Addition der beiden Namen. Bei der Vorstellung des SHMF-Programms am gestrigen Dienstag im sogenannten Auktionsring der Holstenhallen Neumünster, in dem sonst Rinder versteigert werden und in dem es entsprechend ländlich roch, dessen mit Holzdielen ausgeschlagene Mitte sich jedoch auch hervorragend als Bühne eignet (und dafür in diesem Jahr auch erstmals genutzt werden soll), lagen auf den Stühlen der Pressevertreter kleine braune Papiertütchen mit dem aufgestempelten Motto „Sonne & Glück“. Es sollte schon mit dem Teufel zugehen, wenn die darin enthaltene Saat nicht eines baldigen Tages auf Balkon, Terrasse oder im Garten der Empfänger als Sonnenblumen aufgeht.

Sol, muss man es extra erwähnen, heißt schließlich Sonne auf Spanisch, und die argentinischen Eltern Gabetta erwiesen sich bei der Namenswahl ihrer Tochter als treffsichere Propheten. Sonniger als Sol Gabetta – kornfeldblond, honigbraunäugig, mit einem strahlenden Lächeln gesegnet und mit einem äußerst warmen Ton auf ihrem Instrument – ist auf Gottes weitem Erdenrund derzeit keine zweite Instrumentalsolistin. 17 Konzerte wird sie beim SHMF geben, acht verschiedene Programme hat sie dafür ersonnen. Und jedes davon hat mit ihr zu tun, mit ihren Vorlieben, die einen weiten musikalischen Horizont von Barock bis zur zeitgenössischen Musik zeigen, mit ihrer Geschichte. Und auf die eine oder andere Art auch mit Mendelssohn.

Sonne Gabetta, in der Musik eine Meisterin auch der Phrasierung, in der rasant gesprochenen Rede auch der ihr ursprünglich fremden deutschen Sprache jedoch keine Freundin nennenswerter Interpunktion, es sei denn, es handelt sich um stimmlich artikulierte Ausrufezeichen, strahlte beim Neumünsteraner Pressetermin vom Fleck weg derart gleißend, dass Kuhnt selbst erst nach einer knappen halben Stunde ausführlicher das Wort ergreifen mochte. „Irre aufgeregt“ sei er, hatte er gleich zu Beginn bekannt, doch schon da überwog eindeutig die Freude über den Neuanfang, den er mit dem Festival in der 29. Saison nun macht.

Kein Wunder: Kuhnt konnte nach dem Abgang seines Vorgängers Rolf Beck alle Hauptsponsoren – darunter E.on Hanse und die Sparkassengruppe, Audi, Provinzial und Lotto – halten. Und energetisch wagt er nach vielen Jahren programmatischer Internationalität durch die Länderschwerpunkte die Rückbesinnung des SHMF auf die heimische Scholle im Land zwischen den Meeren. Neben Mendelssohn und Gabetta nämlich prägt das Programm ein Verb: lustern. Das ist Plattdeutsch und steht für lauschen. Plattdeutsch gelauscht wird beim SHMF 2014 überall da, wo nicht Gabetta, Mendelssohn oder Klassik im Allgemeinen draufsteht, sondern Norddeutschland (Axel Prahl, Bodo Wartke, Anna Depenbusch, Ina Müller) oder Crossover (La Brass Banda, Max Raabe, Elton John).

164 Konzerte, fünf Musikfeste und zwei Kindermusikfeste an 59 Orten in 84 Spielstätten haben Kuhnt und sein Team zwischen 5. Juli und 31. August programmiert. Hamburg rangiert da mit seinen zwölf Konzerten im einstelligen Prozentbereich, womit sich der „Spielraum Hamburg“, die metropolitane Caprice, die das SHMF einst ausrief und sich gern leistete, erledigt haben dürfte (Programm siehe Kasten). Der Gesamtetat liegt laut Verwaltungsdirektor Burkhard Stein bei 9,1 Millionen Euro. Der Zuschuss des Landes betrage unverändert 1.228.300 Euro, woraus Stein einen Eigenfinanzierungsanteil von 87 Prozent errechnete. Etwa fünf Millionen Euro sollen durch den Kartenverkauf hereinkommen, den Rest tragen Sponsoren, Stiftungen und Spender.

Die Orchesterakademie wird unter den Dirigenten Pedro Halffter, Michael Sanderling und Christoph Eschenbach arbeiten. Die von Rolf Beck gegründete Chorakademie geht beim SHMF im einmaligen musikalischen Breitensportereignis des Oratoriums „Elias“ auf, das Thomas Hengelbrock zum Finale in der Sparkassen-Arena Kiel dirigieren wird. 120 Laiensänger aus dem Norden treffen dann auf 100 Laiensänger aus Birmingham, dem Uraufführungsort des „Elias“.

Auch wenn Kuhnt „nicht enzyklopädisch“ den Werkkatalog Mendelssohns aufführen lassen will, bietet das SHMF mit 28 individuell Mendelssohn gewidmeten Programmpunkten eine bemerkenswerte Retrospektive auf sein Schaffen. In Recitals und Kammermusikkonzerten, bei Orgel- und Liederabenden, in Solokonzerten und Aufführungen der fünf Sinfonien, bei Chorkonzerten und dem Oratoriumsfinale hat der Norden nun ausgiebig Gelegenheit, den gegenüber Johannes Brahms hinsichtlich Aufmerksamkeit und Identifikation immer benachteiligten Felix Mendelssohn vielleicht doch noch lieben zu lernen, 166 Jahre nach seinem Tod.

Und falls das zu viel verlangt sein sollte: Gründlich kennenlernen jedenfalls kann man ihn jetzt. Endlich.