Ob auf der Bühne oder im Kino, als Drehbuchautor, als Regisseur oder Dokumentarist: Maximilian Schell war ein Ausnahmekünstler. Aber einer mit der Aura des Einzelgängers.

Maximilian Schell schreibt in seinen 2012 erschienenen Lebenserinnerungen: „Ich fuhr mit einem sehr hübschen Mädchen den Sunset Boulevard zum Strand hinunter. Unterwegs fragte sie mich, wer mein Lieblingskomponist sei. Ich antwortete: ‚Mozart.‘ Nach einem Augenblick fragte sie mich: ‚Wie buchstabiert man das?‘ Das war für mich der Anfang vom Ende meiner Liaison mit Hollywood. Wenn in einem Land auch nur einer Mozart nicht kennt oder nicht weiß, wie sein Name buchstabiert wird, ist das kein Land für mich.“

In dieser kurzen Passage spiegelt sich sehr vieles wieder, das im Leben des Schauspielers Maximilian Schell Bedeutung hatte. Seine Affären mit schönen Frauen (das Mädchen im Auto war Judy Garland); seine Karriere, die ihm als einem von nur zwei deutschen Schauspielern, die diese Auszeichnung jemals bekamen, 1962 einen Oscar für die beste männliche Hauptrolle in „Das Urteil von Nürnberg“ eingebracht hatte (der andere war Emil Jannings, der 1929 den ersten Oscar überhaupt bekommen hatte, damals noch für einen Stummfilm). Seine Herkunft aus der Kultur, aus einem kulturell geprägten Elternhaus: Sein Vater war der Schweizer Schriftsteller Hermann Ferdinand Schell, der als Dramatiker, Lyriker, Romancier und Essayist Erfolge feierte, die Mutter war die Wiener Schauspielerin Margarethe Noé von Nordberg. Und schließlich ein ganz und gar durch Kunst geprägtes Leben. Maximilian Schell war ein Schauspieler, der Klavier studiert hatte, er spielte beim Theater ebenso wie beim Film, er führte in Spiel- und bei Dokumentarfilmen Regie; privat hat er im Laufe seines Lebens eine bedeutende Kunstsammlung erworben mit Werken von Rouault, Lichtenstein, Rothko, Picasso, Gris, Klee und vielen mehr.

Schell war ein außergewöhnlicher Künstler, ein Mann, den man in den letzten Jahren immer als das Klischee eines Künstlers mit sonorer, gutturaler Stimme und locker um den Hals geworfenem Schal wahrnahm. In dieser Zeit wirkte er als geschichtskundiger Erzähler und Gelehrter an der TV-Dokumentationsreihe „Terra X“ mit, spielte in „Der Fürst und das Mädchen“ (natürlich den Fürsten, als greisen Gatten einer schönen, jungen Frau); und privat heiratete er 2013, ganz ähnlich wie im Fernsehen, die 47 Jahre jüngere Opernsängerin Iva Mihanovic. Gebraucht hätte er die Attitüde des Künstlerdarstellers nicht, denn Maximilian Schell hat als Schauspieler und als Regisseur ganz ungewöhnliche, herausragende Kunst erschaffen. Allem voraus seine Dokumentation, die er 1983 über Marlene Dietrich drehte, „Marlene“.

Er besuchte die Dietrich, die sich damals schon seit Jahren in ihre Pariser Wohnung zurückgezogen hatte, und drehte mit ihr eine später auf knapp zwei Stunden zusammengeschnittene Dokumentation aus Gesprächen, Dokumentar- und Filmmaterial, bei der man die Diva nie sieht, sondern nur ihre Stimme hört. Entstanden ist eine aufregende, bewegende Geschichte über Wahrheit und Fiktion, über das Leben selbst. Dick Cavett, ein berühmter amerikanischer Talkshow-Master, schrieb damals in der New York Times: „Wenn Sie nicht den Himmel in Bewegung setzen können, setzen Sie die Hölle in Bewegung, um diesen Film zu sehen.“

Maximilian Schell, 1930 geboren und Bruder der ebenfalls Schauspieler gewordenen Geschwister Maria, Carl und Immy Schell, hatte keine besonders schöne Kindheit. Er war ein schlechter Schüler, die Mutter war unfähig, Gefühle zu zeigen, und betete viel. Doch die Geschwister blieben lebenslang eng verbunden. Als Maria, die noch vor Maximilian in Deutschland und auch in Hollywood Karriere gemacht hatte und in deren Schatten er lange stand, im Alter verschuldet war und an Demenz erkrankte, sorgte ihr Bruder Maximilian dafür, dass die Schulden bezahlt und Maria versorgt wurde. Maria, die auch ein Auge für attraktive Männer hatte, war zeitlebens sehr stolz auf ihren sehr gut aussehenden Bruder gewesen. Maximilian war ein Womanizer, ein Ladies’ Man, ein attraktiver Kerl, der sicher nicht unkompliziert war, der aber durch eine schöne Frau an seiner Seite noch an Attraktivität dazugewann. Seine berühmteste Eroberung ist sicher Soraya gewesen, die ehemalige Frau des Schahs von Persien. Sie war zu ihrer Zeit so bekannt wie später Jackie Kennedy-Onassis oder Madonna. Oder wie Angelina Jolie, deren Patenonkel wiederum Schell war. Aus der Ehe mit der sehr viel jüngeren russischen Schauspielerin Natalja Andreitschenko hatte er eine Tochter, Nastassja.

Nach einem Studium der Philosophie, Archäologie und Kunstgeschichte in Zürich hatte Maximilian Schell im Alter von Anfang 20 am Theater Basel als Schauspieler begonnen. Seine Familie war 1938, als Maximilian acht Jahre alt war, nach dem Anschluss Österreichs ans nationalsozialistische Deutschland von Wien in die Schweiz emigriert. Sein erstes ganzjähriges Engagement bekam er dann 1955 am Theater Essen, als „jugendlicher Liebhaber“, denn damals wurden Theaterschauspieler noch nach Fächern besetzt. Es gab allerdings auch das Fach „jugendlicher Held“, da sah sich Schell viel eher. Er wollte Romeo spielen, Hamlet und Don Carlos – und keinen jungen Mann, über den man lachen kann.

Schell zog weiter, an die Theater von Lübeck und Bonn und schließlich nach München, an die Münchner Kammerspiele. Dort sah ihn ein Hollywoodagent in Thomas Wolfes „Herrenhaus“ (ja, Hollywoodagenten suchten damals noch Schauspieler an deutschen Theatern!) und lud ihn zu einem Treffen mit Marlon Brando ein.

Doch vor der Hollywoodkarriere kam noch der ganz große Durchbruch am deutschsprachigen Theater. Schell spielte alle glanz- und bedeutungsvoll ausgestatteten Männer der dramatischen Bühnenliteratur, den Prinzen von Hamburg, Schillers Don Carlos und schließlich Hamlet. Für die Rolle hatte ihn Gustaf Gründgens ans Deutsche Schauspielhaus nach Hamburg verpflichtet. Er hatte den jungen Schell als frischen, atemlosen Heißspund bei den Salzburger Festspielen gesehen und vom Fleck weg engagiert. 1965 gastierte Schell dann auch am Londoner Royal Court Theatre – da hatte er, der sich in der Schulzeit „leider“ für Griechisch statt Englisch entschieden hatte – dann auch längst Englisch gelernt.

1961 erreichte er Weltruhm. In Stanley Kramers Hollywoodfilm über einen Prozess gegen vier Nazi-Juristen, „Das Urteil von Nürnberg“, spielte Schell an der Seite von Marlene Dietrich und Spencer Tracy einen deutschen Verteidiger und wurde für die Rolle mit dem Oscar ausgezeichnet – als erster Deutscher nach dem Krieg. In Folge drehte er mit vielen bedeutenden Regisseuren: mit Vittorio de Sica „Die Eingeschlossenen“ (nach Sartre), mit Sidney Lumet „Anruf für einen Toten“, mit Jules Dassin „Topkapi“ (nach Eric Ambler), mit Sam Peckinpah „Steiner“, mit Richard Attenborough „Die Brücke von Arnheim“, mit Fred Zinnemann „Julia“, für den er wiederum eine Oscar-Nominierung bekam. „Neben Maurice Chevalier und Marcello Mastroianni ist Maximilian Schell zweifellos der erfolgreichste, nicht englischsprachige Schauspieler in der Geschichte des amerikanischen Kinos“, schreibt die internationale Filmdatenbank IMDB.

Seit 1970 arbeitete er auch als Regisseur und schrieb Drehbücher. 1974 erhielt der von ihm geschriebene und gedrehte Film „Der Fußgänger“ eine Nominierung für einen Oscar und einen Golden Globe. Schell verlegte seinen Wohnsitz dann doch noch nach Los Angeles. Dort inszenierte er auch Opern, unter anderem mit Placido Domingo als Sänger und Kent Nagano als Dirigenten. Schell war ein Mann für die große Idee. Darin war er leidenschaftlich, getrieben und allzeit bereit, etwas Neues anzufangen.

Schell war elegant, ein Gentleman. Profane Dinge wie das Textlernen waren da eher weniger interessant.

Rastlos und stürmisch wie in seinen jungen Schauspieljahren arbeitete Schell an vielen Orten der Welt. „Ich habe eigentlich gar keinen Beruf, ich wandere durchs Leben“, hatte er einmal gesagt. Und irgendwie hatte er auch immer, trotz seiner vielen Affären oder Freundschaften zu Menschen wie Marlon Brando, Friedrich Dürrenmatt oder seiner lebenslangen Managerin Erna Baumbauer, die Aura eines Einzelgängers. In London präsentierte der längst polyglotte Künstler den Briten den ersten Ödön von Horváth und inszenierte „Geschichten aus dem Wiener Wald“. In Moskau inszenierte er Horváths „Glaube, Liebe, Hoffnung“. Von 1978 bis 1982 war er der Jedermann bei den Salzburger Festspielen.

Am 1. Februar starb Maximilian Schell in einer Innsbrucker Klinik an den Folgen einer plötzlichen und schweren Erkrankung.