Elisabeth Kulman, die neue Staatsopern-“Carmen“, engagiert sich gegen die schlechte Bezahlung von Künstlern. Am Sonntag singt sie in Hamburg.

Hamburg. Mit guten Kritiken kann man Klempner-Rechnungen nicht bezahlen, denn für Handwerker ist nur Bares Wahres. So einfach ist das Problem für Sänger, Schauspieler und viele andere Künstler, und so riesig. „Wir haben alle aus dem letztem Loch gepfiffen“, erinnert sich die Mezzosopranistin Elisabeth Kulman an ihren letzten Sommer bei den Salzburger Festspielen. „Falstaff“ stand auf dem Spielplan, sie war als Mrs. Quickly mit dabei beim berühmtesten Klassik-Festival der Welt. Höchstpreise für die begehrten Karten, internationales Publikum, die Wiener Philharmoniker im Graben, Zubin Mehta dirigierte. Alles vom Feinsten, theoretisch. Doch die Sänger waren bei diesem Verdi-Spektakel im Haus für Mozart auf der Felge, weil Intendant Alexander Pereira vier Vorstellungen in fünf Tagen angesetzt hatte. Und für ihre wochenlange Probenzeit sollte es wegen der angeblich so üppigen Abendgagen keine Pauschalen mehr geben. „Wenn nicht mal Pereira, der sich selbst als ,Diener seiner Künstler‘ rühmt, das versteht und sagt, na bitte, geht doch, dann ist das zynisch.“

„Geht doch auch so“ geht eben nicht.

Unterhält man sich mit Kulman über solche Missstände im überhitzten, überfüllten und unterbezahlten Kulturbetrieb, wird einem schnell ganz anders vor zumeist fassungsloser, ohnmächtiger Wut. Pereira hat 2012 übrigens ein Jahresgehalt von 304.000 Euro in Salzburg erhalten – und damit als bestbezahlter Kulturmanager des Landes mehr bekommen als der Bundeskanzler. Und vor einigen Monaten berichtete die „New York Times“, dass die vier obersten Bühnenarbeiter an der Met, gewerkschaftlich allerbestens organisiert, mehr als eine halbe Million Dollar jährlich verdienen. Kulman kennt einen Top-Sänger, der nach einem Hauptrollen-Engagement an diesem Haus mit einem Minus wieder abreiste, weil seine Nebenkosten – Unterbringung, Flüge usw. – so hoch waren.

Extremfälle, klar, aber typisch für ein Metier, in dem es vor Ungerechtigkeiten und Absurditäten nur so wimmelt. Es gibt einige wenige Spitzenverdiener (die Sopranistin Renée Fleming soll bei 10.000 Pfund pro Abend liegen), der große Rest spielt und singt sich, oft mehr schlecht als recht, so durch. „Man wird ständig im Preis gedrückt. Offensichtlich gehört das dazu. Aber was wir tun, ist etwas wert. Deswegen muss es auch etwas kosten.“

Dennoch findet viel zu oft eine entwürdigende Mischung aus Selbstausbeutung und Notwehr statt, je kleiner die Bühnen (oder je größer die Konkurrenz), desto schlimmer. Das romantische Klischee der seligen Selbstausbeutung fürs Gute, Schöne, Wahre produziert vor allem: prekäre Zustände. Hochzeitstorten dürfen Unsummen kosten, die Band für den Familienschwof wird dafür im Preis gedrückt, bis es quietscht. „Beim Klempner diskutiert niemand“, sagt Kulman erbost. „Der kostet seinen Stundensatz.“

Zum Gespräch kam die Sängerin leicht verspätet, weil noch eine Kostümprobe eingeschoben werden musste. Unbezahlt würde ein Klempner so etwas als interessanten Vorschlag ignorieren. Seine Arbeit ist Arbeit. Aber Kunst wird, wenn es ums Bezahlen geht, oft als Leidenschaft behandelt, die sich bitte schön selbst genug Lohn sein soll.

„Hinter vorgehaltener Hand hat man immer darüber gesprochen, und jeder hat sich aufgeregt, aber in der Öffentlichkeit ist das nicht passiert. Und die braucht man, um zu erkennen, dass diese Missstände sich durch die ganze Künstlerwelt ziehen“, erklärt Kulman. „Im Opernbusiness könnte man das noch als Jammern auf relativ hohem Niveau bezeichnen, aber was in anderen Sparten passiert – da sind wir weit unter den 8,50 Euro Mindestlohn, sogar oft bei gratis.“ Der miese Preis des Ruhms. „Es gibt Gewerkschaften und andere Strukturen, die für so etwas zuständig sind. Wir versuchen Bewusstsein für das Thema zu schaffen und denen ein wenig in den Hintern zu treten.“

Kulman ist klar, dass sie in der Oberliga mitsingt und -spielt, sie ist international gut gebucht. An diesem Sonntag ist „Carmen“-Premiere in Hamburg, danach hat sie Mozart-Termine mit Harnoncourt, Wagner in Japan und an der Wiener Staatsoper im Kalender. Die Österreicherin kann also nicht klagen und tut es trotzdem, denn als Stellvertreterin für viele ist sie zum Gesicht der Initiative „Art but Fair“ geworden, die sich zu Wort meldet, wenn sie von Dumpingzwängen oder üblen Kostenstreichungen erfährt.

So fing sich auch der Musical-Konzern Stage Entertainment im November eine Protestnote ein, als für das Hamburger Comeback vom „Phantom der Oper“ viele Musiker durch günstigere Instrumentenklänge von der Festplatte ersetzt wurden. Inzwischen wurden Fairness-Regeln aufgestellt, zu denen sich Bühnen selbst verpflichten könnten. Bislang hat sich nur das kleine Schauspielhaus in Salzburg getraut.

Der Widerstand begann vor knapp einem Jahr, als ein Musical-Produzent die schlimmsten Gagen-Zumutungen auf einer Facebook-Seite anprangerte. Aus dieser Klagemauer wurde schnell ein großes Problem für die Machthaber der Branche, in der es passwortgeschützte Gagenlisten gibt, auf die nur Opernhaus-Chefs Zugriff haben.

„Solche Listen brechen die Verschwiegenheitspflicht, die in jedem Vertrag steht“, sagt Kulman, „ich darf über meine Gage nicht sprechen, die Intendanten untereinander tun es aber. Das ist ein kollektiver Rechtsbruch. Und ich habe Informationen, dass es bei den Intendantentreffen zugeht wie auf dem Viehmarkt, wenn es um Sängergagen geht. Jeder hat seinen Marktwert, aber als Mensch will man nicht wie eine Ware behandelt werden. Nach meinem Rechtsempfinden erscheint mir diese Liste nicht koscher.“ Das ist wohl noch vorsichtig ausgedrückt. Diese dubiose Liste hatte Pereira für Kulman ausgedruckt, weil er damit seine Behauptung belegen wollte, dass sie in Salzburg eindeutig besser als woanders verdiene. Was sie eindeutig anders sieht und er seitdem nicht mehr behauptet.

Angst vor Repressalien hat Kulman nicht, dafür ist es zu spät, ihre neue Bekanntheit als Revolutionärin sorgt für einen gewissen Schutz. „Was soll mir passieren? Solange ich gut bin, wird man mich an Orten engagieren, wo man mich haben will. Wo man mich nicht haben will, muss es auch nicht sein.“

Nach mehr als einer halben Stunde kommen wir dann doch noch auf die „Carmen“ zu sprechen. Aber auch da treffen sich Bühne und Wirklichkeit schnell wieder. Ihr Rollenverständnis für die oft so klischeeverkleisterte Spanierin fasst Kulman direkt zusammen: „Frei sein, wissen, wer man ist und was man will, das Leben nehmen, wie es kommt. Dass sie stirbt, gehört zum Leben dazu. Ins Risiko gehen, das ist Carmens Lebensansatz. Sie will leben. Sie will was erleben. Sie ist furchtlos – und das verbindet sie vielleicht mit mir.“

Weitere Informationen: www.artbutfair.org