Wilfried Erdmann hat seine Memoiren geschrieben. Demnächst will die Segellegende wieder los

Er ist mit dem Fahrrad nach Indien gefahren, hat als erster Deutscher einhand die Welt umsegelt und ist in den vergangenen 50 Jahren auf allen Ozeanen zu Hause gewesen. Gleichzeitig liebt er den Blick auf die grüne Wiese hinter seinem Haus an der Schlei, hackt gerne Holz und züchtet Tomaten: Wilfried Erdmann ist ein ruhiger und bescheidener Norddeutscher mit einem übergroßen Hang zum Wasser. Jetzt hat Deutschlands erfahrendster Weltumsegler seine Memoiren verfasst – ein Leben voller Abenteuer und Familiensinn mit einer tiefen Liebe zu Booten und zum Meer sowie großem Respekt vor der Natur.

„Mir selbst war es zuerst eigentlich kein Bedürfnis, denn ich habe ja schon viel aus meinem Segelleben mitgeteilt“, sagt der 73-Jährige im Gespräch mit dem Abendblatt. Doch der Verlag habe nicht lockergelassen. Und in seinem Arbeitszimmer am Schreibtisch sei auch der Spaß an der Tätigkeit gekommen. „Als ich dann dabei war, habe ich schon sehr gerne geschrieben, mich erinnert und mit meinem Leben auseinandergesetzt. In meine Jugend zurückzukehren und das Geschehen wieder aufleben zu lassen, das war sehr reizvoll.“ Jetzt findet Erdmann es schön, etwas in der Hand zu haben. „Mehr als 600 Seiten, ein richtiger Ziegelstein.“

In einer Metallkiste liegt Erdmanns Schatz: Logbücher und Listen, Tagebücher und Notizen, Zeichnungen, Skizzen und Fotos. Aus diesem Fundus und aus Erinnerungen hat er seine Lebensbilanz sehr offen zusammengeschrieben. „Mir war wenig peinlich. Ich habe Fehler und Pleiten frei von der Leber weg notiert.“

Im neuen Buch spielt auch Erdmanns Leben an Land eine große Rolle. Seine pommersche Herkunft und die Flucht nach Mecklenburg, sein Faible für Radrennen und sein Drang, die DDR zu verlassen. Und vor allem 1958/59 sein erstes Solo-Abenteuer: mit dem Fahrrad nach Indien. „Das war in jeder Hinsicht etwas ganz Besonderes – für die Zeit und für mich. Ich war jung und wollte einfach nur weg, auch wenn ich nichts von der Welt wusste. Es war zwar wahnsinnig anstrengend, aber ich habe die Ruhe behalten und zehre noch heute von den Erinnerungen.“

Vor allem infizierte sich der gelernte Tischler auf dem Subkontinent mit dem Segel-Virus: „Im Mai 1959 nahmen mich zwei indische Schwestern an der Malabarküste zwischen Calicut und Mangalore mit zum Segeln. Zum ersten Mal betrat ich ein Boot.“ Die „Dorothee“ war ein Fischerkahn aus Holz mit einem Segel an einer Stange und zwei Paddeln. Der damals 19-Jährige hatte Blut geleckt. „Nach jenem ersten Bootsausflug habe ich mein Leben und die Welt aus einer neuen, frischen Perspektive betrachtet“, schreibt Erdmann. „Ich wollte die Länder vom Meer aus erreichen und erleben. Ein eigenes Segelboot als Reiseuntersatz war auf einmal das Nonplusultra.“ Dass er mehrfach um die Welt segeln und Deutschlands bekanntester Meer-Mann werden sollte, daran verschwendete Erdmann damals keinen einzigen Gedanken. „Ich war jung und wusste ja überhaupt nichts übers Segeln.“

Wilfried Erdmann arbeitete hart für ein eigenes Boot, fuhr auf verschiedenen skandinavischen Frachtern zur See, heuerte an auf der Deutschen Werft auf Finkenwerder und bei einer Hamburger Baufirma, die das damalige Unileverhaus am Valentinskamp errichtete. Die Zeit in der Hansestadt war seiner Erinnerung nach nicht die beste: „Der Lohn reichte hinten und vorne nicht, ich ernährte mich schlecht und fuhr als Radrennfahrer hinterher, meine Familie war im Osten, und ich hatte niemanden Vertrautes in der Nähe.“ Mittlerweile hat Erdmann mit Hamburg seinen Frieden gemacht. „Jetzt besuche ich die Stadt gern. Außerdem war die Begrüßung in Hamburg nach meiner ersten langen Reise sensationell. Sie dauerte mehrere Tage.“

1965 endlich reichte das Geld für die „Kathena“, ein 7,60 Meter langes, in England gebautes Holzboot. Damit ging es um die Welt. Die Grundlagen der Navigation, Segelführung, Karten- und Wetterkunde brachte Erdmann sich unterwegs selbst bei. Als er im Mai 1968 auf Helgoland ankam und dem Hafenmeister bei der Anmeldung als letzten Hafen Kapstadt nannte, glaubte die Fachwelt dem Segler nicht, dass er innerhalb von drei Jahren allein und auf eigenem Kiel ferne Welten erreicht hatte. Erdmanns vermeintlicher Fehler: Er war kein Vereinsmitglied und hatte sich bei niemandem zur Weltumseglung abgemeldet.

Es folgten weitere große Reisen mit Familie und allein, mit nassen Tagen im Sturm und traumhaften Momenten bei Sonnenschein und ruhiger See. Erdmanns Erkenntnis nach Tausenden von Seemeilen auf eigenem Kiel: „Ankommen ist immer das Schönste. Deshalb fährt man ja weg, auch wenn Abschied wehtun kann. Wenn man unterwegs Schwierigkeiten zu bewältigen hatte und ein bisschen gelitten hat, dann ist eine glückliche Ankunft noch viel mehr wert.“

Besonders wenn die Familie im Hafen wartet. Ehefrau Astrid, 69, ist seit 1969 Gefährtin an Land und auf See, hat die Einhand-Reisen ihres Mannes unterstützt und während des letzten Törns 2000/2001 ein neues Haus im Heimatdorf Goltoft an der Schlei gebaut. Seinen Sohn Kym, 41, bezeichnet der Vater im Buch als „großartigen Gefährten bei vielen Abenteuern“. „Astrid steht hinter mir“, sagt Erdmann. „Wenn das Schreiben des neuen Buches zäh wurde, hat sie mich wieder in die Spur gebracht und mir ins Gewissen geredet. Was man anfängt, muss man auch zu Ende bringen.“

Apropos Anfang: Wer von einer Auszeit unter Segeln träumt, dem wünscht Erdmann, dass er oder sie diesen Traum auch verwirklicht. „Es muss ja nicht gleich um die Welt und mit einem großen Boot sein“, sagt der Experte. „Ein langer Ostseetörn auf einem kleineren Schiff kann auch erfüllend sein. Umsetzen, was machbar ist. Und nicht immer aufschieben. Denn je älter man wird, desto schwieriger wird es. So eine Fahrt nimmt man schließlich mit ins Leben.“

Alle Erdmann-Boote heißen „Kathena“, und die meisten hat der Segler nach den Törns zügig verkauft, um mit dem Erlös etwas Neues zu beginnen oder sich auch von Ballast zu befreien. Die „Kathena Nui“ (nui ist polynesisch für groß, stark, unerschrocken) steht allerdings seit mehr als zehn Jahren gut verpackt auf dem Trailer auf der Wiese hinter dem Haus. Die 10,6 Meter lange und 3,25 Meter breite Yacht wurde 1984 bei Dübbel & Jesse auf Norderney für die erste Nonstop-Weltumseglung gebaut. Jetzt soll das Schiff mal wieder schwimmen.

„Sie kommt vom Hof“, sagt der Segler, „wahrscheinlich auf einen Liegeplatz am Missunder Fährhaus. Und dann wollen wir noch mal los, eine möglichst einfache Reise ohne Verpflichtungen.“ Wohin Erdmann segeln will, darüber schweigt er sich aus. „Wenn ich nichts groß ankündige, muss ich mich hinterher auch nicht rechtfertigen.“ Ehefrau Astrid wird ihn wohl nicht begleiten. „Sie hat nach meiner Rückkehr 2001 gesagt, dass sie nur auf der ‚Kathena Nui‘ mitsegelt, wenn das Boot einen Motor und eine Bord-Toilette hat. Aber diese Einbauten hat das Schiff nicht bekommen.“