Ingo Zamperoni wechselt nach Washington. Am Wochenende moderiert er zum letzten Mal die „Tagesthemen“

Hamburg. Die Umzugskisten sind gepackt, eine neue Bleibe in Washington ist gefunden. Jetzt heißt es Abschied nehmen. Von Hamburg und den Fernsehzuschauern. Halt, das ist so natürlich nicht ganz richtig. Ingo Zamperoni ist schließlich nicht aus der Welt, wird weder frühverrentet noch malt er künftig Aquarelllandschaften. Doch man wird ihn vermissen auf dem Bildschirm, wenn er am 12. Januar zum letzten Mal die „Tagesthemen“ moderiert und sich anschließend neuen Aufgaben widmet, wie es in Karrieredeutsch so schön heißt.

„Ich liebe Abwechslung“, sagt Zamperoni, der nun als Korrespondent ins ARD-Studio nach Washington wechselt. „Ich habe nicht mit den Füßen gescharrt und nach einer neuen Aufgabe gelechzt. Aber nach sieben Jahren beim ‚Nachtmagazin‘ gefällt mir die Vorstellung, dass jetzt etwas komplett Neues auf mich wartet.“ In Washington kümmert er sich als dritter Mann im Studio vor allem um ausführliche Reportagen, arbeitet weniger aktuell, dafür mehr hintergründiger. Menschen statt Schlagzeilen.

Es ist für ihn eine Art Heimkehr. Zamperoni hat in Boston studiert, im ARD-Studio in Washington einst ein Praktikum gemacht. Der Türcode übrigens ist heute derselbe wie damals; so viel öffentlich-rechtlicher Konservatismus muss sein. Ingo Zamperoni gehört zu der beneidenswerten Sorte Mensch, die keine Angst vor Veränderungen zu kennen scheinen, nur Chancen, neue Herausforderungen sieht. Statt der Frage „Kann ich das?“ interessiert ihn: „Hab ich Lust dazu?“

Vielleicht gehört der 39 Jahre alte Journalist, der seit mehr als zehn Jahren in Hamburg lebt, auch deshalb zu den beliebtesten Moderatoren hierzulande, weil er diese Freude am Job auf den Bildschirm transportiert. Er leiert bei den „Tagesthemen“, die er seit 2012 in unregelmäßigen Abständen moderiert, weder mit hängenden Mundwinkeln die Lage der Welt herunter, noch wirkt er ernster als sein Krawattenknoten. Er habe einfach „Spaß an der Sprache“, schreibt seine Moderationen ausnahmslos selbst. Billigen Wortwitz wird man bei ihm nicht finden, dauerhüpfende Augenbrauen, die allerlei Subtext transportieren, ebenfalls nicht.

Ingo Zamperoni ist der Sonnyboy des deutschen Nachrichtenfernsehens. Dabei seriös und auch ein bisschen ehrfürchtig vor dem wirkungsmächtigen Dunstkreis der Infosendungen des Ersten. „Ein Aha-Erlebnis war die Erkenntnis, dass wir mit unseren Sendungen Menschen informieren, ihnen helfen, sich eine Meinung zu gewissen Themen zu bilden“, sagt er. Kurze Pause. „Das klang jetzt furchtbar pathetisch, oder?“ Das Schöne an einem Gespräch mit Ingo Zamperoni ist, dass er keine Angst hat vor den eigenen Worten. Sich nicht ständig verbessert, Aussagen zurückholt, sich rückversichert, dass er bitteschön korrekt verstanden wurde. Er plaudert beim Treffen auf dem NDR-Gelände in Lokstedt so gut gelaunt drauflos, dass man ihm gern ein Bier in die Hand drücken würde – einfach, damit er so schnell nicht aufhört mit seinen Einschätzungen von Hamburger Mietpreisen, Ernie und Bert, Marietta Slomkas Interview mit SPD-Chef Siegmar Gabriel.

Das Gespräch findet im Büro von „Tagesthemen“-Kollegin Caren Miosga statt. Zamperoni hat nämlich kein eigenes. Starallüren: null Komma null. Er braucht lediglich ein paar Sekunden, um sich aus der schlafsackgroßen Daunenjacke zu befreien und die langen, schlaksigen Beine unter dem Schreibtisch zu verknoten. Ein Schluck Kaffee mit einem Spritzer Milch, und die Welt ist vorerst in Ordnung.

Wie groß die öffentliche Aufmerksamkeit ist, wenn es um die heilige Nachrichten-Kuh „Tagesthemen“ geht, hat Zamperoni zuletzt einige Male erlebt. Als er bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2012 in der Halbzeit das Spiel Deutschland – Italien mit dem Satz kommentierte „Möge der Bessere gewinnen“ (beim Spielstand 2:0 für Italien), hagelte es säckeweise Beschwerdebriefe, die NDR-Telefonleitungen waren dem Zusammenbruch nahe. Zamperoni war plötzlich der freche Deutsch-Italiener, der nicht nur aufgebrachte Fußballgemüter beschwichtigen, sondern zu Migrations- und Integrationsdebatten Stellung nehmen musste. Die Freiheit des Moderators, sie endet gelegentlich schon vor der nächsten Straßenecke.

Die Heftigkeit der Zuschauerempörung hat Zamperoni überrascht, eingeschüchtert hat sie ihn nicht. Kein Wunder, schließlich stammt von ihm auch der Ausspruch „It’s just TV“ („Es ist nur TV“). Was natürlich nicht abfällig gemeint ist. Aber wer auf einem Posten wie diesem nicht völlig durchdrehen will, tut vielleicht gut daran, die eigene Wichtigkeit immer wieder mit der Wirklichkeit abzugleichen. Und sie gegebenenfalls zu relativieren. „Mein Bruder ist Arzt. Wenn der einen Fehler macht, steht ein Menschenleben auf dem Spiel. Wenn ich einen Fehler mache, muss ich anschließend Zuschauerpost beantworten“, sagt Zamperoni.

Auch der Bart, den er kurzzeitig trug, rettete die deutsche Medienlandschaft über ein paar maue Wochen, in denen das Für und Wider der zotteligen Gesichtsbehaarung diskutiert wurde. Der Bart ist längst ab, Zamperonis Lausbubengrinsen und die Grübchen wieder in aller Deutlichkeit erkennbar. Ja, die Kamera mag sein Gesicht. Auch weil er zu den Menschen gehört, deren Augen definitiv mitlächeln. Deshalb muss man vielleicht von glücklicher Fügung sprechen, wenn Zamperoni sagt: „Ich hatte nie das Ziel, Moderator zu werden. Lange habe ich mir eingeredet, ich sei ein Reporter, der nebenbei moderiert.“

In Zeiten, in denen der Begriff Moderator merkwürdig an Breite gewonnen hat, ist man umso dankbarer für einen wie ihn, der anstandslos seinen Job erledigt. Der die unübersichtliche Nachrichtenlage auf den Punkt zu bringen versucht, so dass jeder sie versteht, die Oma auf dem Biedermeier-Blümchensofa genauso wie der Mittzwanziger mit Hauptschulabschluss. Er sei ein „News-Junkie“, sagt Zamperoni. Wenn er nach einer Spätschicht beim „Nachtmagazin“ mit dem Fahrrad die Strecke nach Hause radelt, in die Eimsbüttler Wohnung, findet er meist die Zeitungen vom nächsten Tag vor der Haustür. Dann gibt es eine Stulle und die Nachrichten von morgen. Es hört ja nie auf. Zum Glück, findet Zamperoni.

Zuviel mit der Arbeit wird es ihm selten. Einmal hat er in einer Woche Peer Steinbrück, den Bundesbankpräsidenten Jens Weidmann, Wolfgang Schäuble und noch Kardinal Lehmann interviewt. Die Abwechslung ist immer gegeben, im Zweifel sorgt Zamperoni selbst dafür. Im Dezember moderierte er in Hamburg die Lesung des Thrillergiganten Stephen King. Perfekt Englisch spricht der Moderator ohnehin, den Rest überließ er seinem Talent für Smalltalk und Zuschauerbindung. „Let’s go out and have some fun“, hatte Stephen King vor Beginn der Lesung zu ihm gesagt. Das war dann ganz nach Ingo Zamperonis Geschmack.

Die Vita des Moderators liest sich, als sei es in seiner Karriere immer nur bergauf gegangen. Das mag stimmen, trotzdem werteten viele es als Rückschlag, dass man in der ARD zuletzt dem altbewährten Journalisten Thomas Roth den Vorzug bei der Wahl des Tom-Buhrow-Nachfolgers gab. Zamperoni nahm es sportlich. Wer bereits so viele Chancen im Job bekommen hat, der kann der Zukunft gelassen ins Auge blicken. Alles Talent? Vielleicht, sagt Zamperoni. Aber bestimmt auch Glück: „Die Tür muss man selbst aufstoßen. Aber man muss das Glück haben, dass sie einen Spalt weit offensteht.“

Nun stößt er wieder eine neue Tür auf, viele Tausende Kilometer von seinem bisherigen Hamburger Arbeitsplatz entfernt. „Es ist wie ein Traum, von dem ich gar nicht wusste, dass ich ihn träume“, beschreibt er das neue Leben, das auf ihn, seine amerikanische Frau und die drei kleinen Kinder wartet. Er müsse sich noch überlegen, mit welchen Worten er sich von den Zuschauern verabschieden wolle, sagt Zamperoni. Es soll nicht zu eitel wirken, das mit der medial verbreiteten Selbstüberschätzung nimmt er ernst. Fest steht, dass ein kleiner Abschiedsschmerz in diesen letzten Nachrichtensekunden mitschwingen wird. Sicher, „Tagesthemen“ und „Nachtmagazin“ bleiben auch ohne Ingo Zamperoni bestehen. Aber es sind nicht mehr dieselben Sendungen.