Philipp Stölzl konnte endlich einen Film mit Reitern in Rüstungen drehen. Schwierig waren die Wüstenszenen, denn es regnete

Philipp Stölzl ist ein vielseitiger Regisseur. Er hat Werbeclips gedreht und Musikvideos mit Madonna, Rammstein und Luciano Pavarotti, auch mehrere Opern auf die Bühne gebracht unter anderem mit Placido Domingo und Anna Netrebko. Im Kino waren bisher seine Regiearbeiten „Nordwand“ und „Goethe!“ zu sehen. Sein Hollywood-Debüt drehte er mit „Die Logan Verschwörung“. „Der Medicus“ ist sein bislang aufwendigster Film

Hamburger Abendblatt:

Warum wollten Sie diesen Roman verfilmen?

Philipp Stölzl:

Der „Medicus“ entrollt ein großartiges, detailreich ausgemaltes Panorama mittelalterlicher Lebenswelten. Das will man, glaube ich, sehr gern im Kino sehen. Das Buch hat allerdings fast 900 Seiten, ein Wälzer, im wahrsten Sinne episch. Daraus das Konzentrat für einen Film rauszuholen, war eine knifflige Angelegenheit.

Man wundert sich darüber, dass nicht längst jemand versucht hat, den Weg für eine Kinoversion zu finden.

Stölzl:

Seit sich das Buch in den 80ern so gut verkauft hat, haben verschiedene Produzenten versucht es zu verfilmen und hatten alle kein Glück damit. Zu Anfang hatte sich interessanterweise der Arzt Dietrich Grönemeyer die Filmrechte besorgt, dann sind die Rechte irgendwann wieder zurückgegangen, und Bernd Eichinger hat sich überlegt, ob er es machen soll. Danach war es eine zeitlang bei Senator mit Uli Edel als Regisseur, und jetzt am Ende haben es dann Wolf Bauer und Nico Hofmann mit der UFA Cinema endlich hinbekommen. In der ganzen Zeit haben viele Autoren viele Drehbücher geschrieben, aber keines hat so richtig gefallen. Als ich vor knapp drei Jahren an Bord kam, hatte ich den Vorteil, dass ich mit völlig frischem Blick da draufgucken konnte. Wir sind dann noch mal neu rangegangen und haben uns entschieden, mit der Romanvorlage viel freier umzugehen als unsere Vorgänger.

Warum haben Sie auf Jan Berger als Drehbuchautor gesetzt?

Stölzl:

Jan kennt sich mit islamischen Themen sehr gut aus, er ist mit der türkischstämmigen Regisseurin Buket Alakus verheiratet. Außerdem ist er ein totales Arbeitstier, er liest mal eben in ein, zwei Wochen die Geschichte der Medizin, Ibn Sinas Schriften, den Koran und noch die Geschichte des Mittealters in England. Ich glaube auch, dass das thematisch Schwergewichtige ihm einfach liegt.

Sie hatten ein stolzes Budget von 26 Millionen Dollar. Sitzt einem da bei den Dreharbeiten nicht auch manchmal die Angst im Nacken?

Stölzl:

Das klingt nach viel Geld, ist aber für so einen Film tatsächlich eher knapp. Wir haben nur 65 Tage gedreht, mussten aber viele Orte und Massenszenen in diesem Zeitraum unterbringen. Man hat natürlich Sorgen, dass irgendetwas aus dem Ruder läuft. Man kann schlecht sagen: Die Szene mit den 300 Komparsen haben wir leider nicht ganz geschafft. Bestellt doch dieselben Leute morgen noch mal hierher.

Besonders schön sind die Wüstenszenen geworden. Waren sie schwierig?

Stölzl:

Es war furchtbar. Ob man es glaubt oder nicht: Es hat drei Tage lang geregnet, am Rand der Sahara! Man denkt, das kann jetzt echt nicht wahr sein. Die tollen Dünen sahen aus wie ein Sandkasten im Herbst in Deutschland. Man kann aber eigentlich nur die ersten beiden Stunden nach Sonnenaufgang und vor Sonnenuntergang drehen. Wenn die Sonne hoch steht, verlieren die Dünen jede Kontur. Und dann will man ja auch die Wüste immer total unberührt sehen. Wenn ein Beleuchter aus Versehen mit dem Jeep durchs Motiv fährt, ist alles kaputt und man muss drei Kilometer weiterwandern.

Der Roman quillt geradezu über vor Themen. Welche waren Ihnen besonders wichtig?

Stölzl:

Der Roman ist eine Reise durch die Religionen im Mittelalter, Christentum, Judentum, Islam. Da finden wir überall einerseits Gewaltbereitschaft und Fanatismus, anderseits Toleranz und die Idee, dass alle eigentlich den gleichen Gott anbeten. Diesen Kerngedanken haben wir versucht, im Film einzufangen. Und dann handelt die Geschichte von einem jungen Mann auf der Suche nach Erkenntnis und medizinischem Fortschritt – und wie er damit in einen tödlichen Konflikt mit der Kirche gerät. In einem der Höhepunkte überschreitet der Protagonist Rob jede moralische Grenze seiner Zeit und schneidet heimlich eine Leiche auf, er will einfach wissen, wie es in uns aussieht, um besser heilen zu können. Da wächst er fast zu einer Art Christoph Kolumbus der Medizin.

In Deutschland boomen Bücher über das Mittelalter, in anderen Ländern findet man das gar nicht. Welche Erklärung haben Sie dafür?

Stölzl:

Letztlich geht es darum, sich in eine wilde, gefährliche Welt entführen zu lassen, in der es noch keine Autobahnen gibt, die Leute aber noch an Geister glauben. Die Konflikte sind überschaubarer als heute, Gut und Böse klar verortbar, vielleicht ist auch das attraktiv in einer modernen Welt, die so unüberschaubar geworden ist.

Wie steht es mit Ihrer eigenen Mittelalter-Begeisterung?

Stölzl:

Im bin Sohn eines Historikers, ich bin mit Geschichte aufgewachsen. Als Kind bin ich mit ihm zu den Kaltenberger Ritterturnieren gegangen und hab leidenschaftlich Schwerter gesammelt. Auf eine Art ist für mich beim „Medicus“ ein Jugendtraum in Erfüllung gegangen: Endlich einen Film mit Reitern in Rüstungen drehen zu dürfen!

Sie sind nicht nur Filmemacher, sondern auch Opernregisseur ...

Stölzl:

Einen Film zu machen dauert ja mehrere Jahre, ich mach da öfters zwischendrin sechs Wochen „Urlaub“ in der Oper. Das ist so eine komplett andere Welt, ich komm danach dann völlig erfrischt zum Film zurück.