Schauspieler Daniel Lommatzsch konnte seine Kollegen vom Thalia-Ensemble sowie Ausstatter und Assistenten für sein Regieprojekt gewinnen

Hamburg. Daniel Lommatzsch redet doppelt so schnell wie andere Menschen. Zumindest wenn er von seinem Herzensprojekt erzählt. Und da er zum einen Schauspieler ist und zum anderen voller Leidenschaft hinter seiner Sache steht, ist sein Schnellsprechen keineswegs anstrengend, sondern artikuliert, mitreißend. Der Zuhörer fühlt sich wie an eine Steckdose angeschlossen. Eine Energie, die gewiss erheblich dazu beigetragen hat, dass Lommatzsch in den vergangenen zwei Jahren das gesamte Thalia Theater für ein äußerst unkonventionelles Vorhaben gewinnen, ja euphorisieren konnte.

Lommatzsch, selbst Schauspieler im Ensemble am Alstertor, hat mit „Am Ende ist man tot“ gerade einen Film abgedreht, in dem nicht nur die meisten seiner Thalia-Kollegen vor der Kamera mitwirken, sondern auch zahlreiche Assistenten, Ausstatter, Techniker, Masken- und Kostümbildnerinnen des Hauses. Intendant Joachim Lux gab seinen Segen für diese etwas andere Produktion. Solange der Proben- und Vorstellungsbetrieb nicht gestört wurde.

Entstanden ist ein Film, für den keine Gagen gezahlt wurden. Und der – so schön kann die Paradoxie sein – davon erzählt, wie Geld unsere Beziehungen prägt. Auch wenn das Werk noch nicht fertig ist, sondern noch geschnitten werden muss, steht eines bereits fest: Es ist ein Glanzstück des Netzwerkens, der Koordination. Vor allem aber ist der Film eine große Liebeserklärung an die Menschen des Thalia Theaters.

„Ursprünglich war es mein Wunsch, mich noch einmal mit einer Regiearbeit für ein Filmstudium zu bewerben. Und mir war klar: Wenn ich das mache, dann nur mit diesem Ensemble. Denn ich weiß, wie jeder Einzelne arbeitet, wie die klingen“, erzählt Lommatzsch im Café Mehl direkt neben der Gaußstraßenbühne des Thalia. Der Schauspieler, 1977 in Hamburg geboren, ist keiner, der durch extravagantes Äußeres auffällt. Er trägt hellblaues Hemd zur beigen Stoffhose. Das braune Haar ist locker gescheitelt. Dazu ein Dreitagebart. Viel von seiner Persönlichkeit liegt in den Augen. Reichlich Schalk im Blick, aber auch ein gewisser Ehrgeiz. Und eine Ernsthaftigkeit. Viel Wärme schwingt wiederum in seiner Stimme mit, wenn er über seine Kollegen am Thalia spricht, mit denen er derzeit in Inszenierungen wie „Dantons Tod“ oder „Moby Dick“ zu sehen ist.

„Die Leute sind wahnsinnig neugierig aufeinander“, sagt er. Deshalb habe er für „Am Ende ist man tot“ auch kein Drehbuch aus der Schublade gezogen, sondern eigens „für diese Persönlichkeiten“ geschrieben.

Das darstellerische Kernteam bestand zunächst aus Bruno Cathomas, André Szymanski sowie Alice Dwyer, die Lommatzsch jenseits des Thalia-Ensembles für sein Unterfangen begeistern konnte. Ein Gangstertrio, dessen Anführer (Cathomas) den Glauben an das Geld verloren hat. Von dieser Grundkonstellation aus schrieb Lommatzsch los. Der Betrachter sieht, wie 100-Euro-Scheine die Besitzer wechseln, und folgt so dem mitunter absurden Weg des Geldes. Zudem wird da eine Entführung inszeniert, die womöglich gar keine ist. Aber nicht nur inhaltlich wollte Lommatzsch Erwartungen brechen, sondern auch in Sachen Besetzung. „Julian Greis etwa. Der ist ganz zart. Wie so ein träumender Junge. Und ich habe mich gefragt, was passiert, wenn der mal so’n richtiges Arschloch spielt. Jetzt ist er der unangenehmste Typ im ganzen Film. So ein richtiger Chauvi. Da hatte der auch Bock drauf“, erzählt der Quereinstiegsregisseur und trommelt freudig auf den Cafétisch.

„Anfangs hatte ich kurz Angst, ob die mich ernst nehmen“, erzählt Lommatzsch. „Ich kenne als Schauspieler ja die andere Seite, wenn das Vertrauen zu einem Regisseur mal nicht da ist.“ Doch da er sich nicht als Diktatortyp sehe, habe sich das alles sehr produktiv angefühlt, sagt er und schiebt die Hände vor und zurück, als wolle er alle, aber auch wirklich alle Seiten berücksichtigen.

Je mehr Lommatzsch von dem kreativen Prozess erzählt, desto deutlicher wird, wie sehr die Inspiration durch seine Kollegen in der DNA dieses Films steckt. „Ich habe nach und nach alle einzeln angesprochen, wenn ich eine Idee für eine Rolle hatte. Dann habe ich mich mit den Schauspielern zusammengesetzt, und wir haben uns der Figur gemeinsam weiter angenähert“, sagt Lommatzsch. So ist der Stoff gewachsen. Jörg Pohl, Mirco Kreibich und Anne Schäfer, derzeit am Theater Heidelberg, sind da als adelige Geschwister zu erleben. Thomas Niehaus wiederum gibt die triste Gestalt des Hauke, der von zu Hause aus ein Online-Business für Fitnesspräparate betreibt.

„Für die Szene mit Hauke haben wir lange einen Drehort gesucht“, erinnert sich Lommatzsch. Letztlich quartierte sich das Team schlichtweg bei ihm zu Hause ein. Die Ausstattungscrew strich die Wände olivgrün. Auf den Boden kam ein grauer Teppich. Die Requisite baute eine Hantelbank ein und hing Familienfotos der Figur auf. „Das war, als ob ein Ufo in meiner Wohnung gelandet ist“, sagt Lommatzsch. Vom Flugplatz in Uelzen bis zu einem Bungalow in Quickborn reichen die Schauplätze. Somit ist „Am Ende ist man tot“ auch ein durch und durch norddeutscher Film geworden. Die Thalia-Kollegen wiederum halfen nicht nur mit ihrem Können, sondern ebenfalls mit Staffage aus. Einige Szenen wurden zum Beispiel im Mercedes von Matthias Leja gefilmt.

„Dispositorisch war das ein Monster“, erzählt Lommatzsch und sucht auf seinem Laptop nach Tabellen, mit denen die Drehtage organisiert wurden. „Ich habe da auch schon mal ein Handy zerbissen, weil eine spontan angesetzte Probe die Drehplanung von fünf Wochen zunichtegemacht hat.“ Er selbst verbrachte allein drei Wochen seiner Sommerferien damit, Töne für den Film anzulegen. Eine technische, eine unglamouröse Tätigkeit. Eine, die zeigt: Da will jemand etwas unbedingt, bis ins kleinste Detail. Auf seinem Rechner kleben Sticker, die den Film bewerben. Ein Spruch lautet: „Für wie viel Geld würdest du deine Freunde bestehlen?“

Bestohlen hat Lommatzsch seine Kollegen nicht wirklich, höchstens um ihre freie Zeit. Vor allem an den Sonntagen, an denen „Am Ende ist man tot“ hauptsächlich entstand. „Es ist schon eine komische Diskrepanz“, sagt er und guckt ganz nachdenklich. „Im Film hinterfrage ich unsere Beziehung zum Geld sehr kritisch. Und im Laufe der Dreharbeiten habe ich immer mehr gedacht: Wie geil wäre es, wenn ich alle Mitwirkenden richtig bezahlen könnte.“

Geklappt hat sein Vorhaben bisher auch in der Low-Budget-Variante. Dank einer Anschubfinanzierung von 8000Euro von der Hamburgischen Kulturstiftung sowie einer weiteren Institution, die ungenannt bleiben möchte. Und vor allem dank der Tatsache, dass sich das Projekt irgendwann verselbstständigt hat. Vielleicht ein wenig so wie bei einer coolen Party, zu der jeder eingeladen sein möchte. „Es war bald ein Sport, möglichst jeden im Haus zu fragen“, erläutert Lommatzsch. Und sei es, dass Jens Harzer oder Barbara Nüsse für drei Sätze dabei sind. Bei den zwei, drei Kollegen, die er nicht angesprochen hat, sei das „kein böser Wille“ gewesen. Es habe sich einfach nicht ergeben. „Und einige fallen vielleicht auch noch dem Schnitt zum Opfer.“

Das Thema Postproduktion brennt ihm besonders unter den Nägeln. Denn da das Thalia nun mal ein Theater ist, gibt es dort keine Cutter. Deshalb hat Lommatzsch nun eine Crowdfunding-Aktion auf der Plattform Startnext.de gestartet. 10.000 Euro möchte er online sammeln, gut die Hälfte des Geldes wurde bereits gespendet. Bisher, so konstatiert Lommatzsch ganz unironisch, konnte er lediglich mit seiner Liebe zahlen. Und mit seiner Energie.

Thalia-Butterfahrt (Daniel Lommatzsch stellt „Am Ende ist man tot“ vor): 8.12., Nachtasyl, Alstertor; Info: www.startnext.de/am-ende-ist-man-tot