Ein dreitägiges Festival in der Neustadt feiert Charles Valentin Alkan zu seinem 200. Geburtstag

Englische Kirche. Spötter buchen das langsam zu Ende gehende Jahr unter dem Rubrum „VW-Jahr“. Das soll an Autos aus Wolfsburg denken lassen, ist aber natürlich auf Verdi und Wagner gemünzt, deren 200. Geburtstage sich 2013 jährten. Der englische Komponist Benjamin Britten musste mit seinem Hundertsten in weniger Briten-affinen deutschen Städten als Hamburg schon am Katzentisch der Jubeljahr-Festlichkeiten Platz nehmen. Für den Franzosen Charles Valentin Alkan dagegen war selbst dort nicht einmal ein Hocker reserviert. Alkan? Kennt keiner, fast keiner. Der klavierbesessenen Hamburgerin Gudrun Parsons und ihrem Verein Pro Piano Hamburg ist es zu verdanken, dass zumindest in unserer Stadt der sich am 30. November jährende 200. Geburtstag dieses absoluten Solitärs der Klaviermusik der Romantik nicht so schmählich ungehört vorübergeht, wie dies sonst der Fall gewesen wäre.

Es spricht gleichermaßen für Parsons Alkan-Verehrung wie für ihren Humor, dass sie dem dreitägigen Festival zu Ehren Alkans und seiner Freunde den Untertitel „Six petits concerts“ gab. Denn Alkan selbst lud zwischen den Jahren 1873 und 1880 in der Salle Érard in Paris zu von ihm sogenannten petits concerts, bei denen es dem höllisch fingerfertigen Pianisten und Komponisten beliebte, ausgerechnet vorzugsweise Musik von deutschen Komponisten zu spielen. Kurz nach dem Ende des deutsch-französischen Krieges streifte diese Repertoirewahl der Hautgoût des Vaterlandsverrats.

Alkan, Zweitgeborener und ältester von fünf Brüdern eines Musikervaters, der in Paris ein Pensionat für Musikschüler betrieb, kam im selben Jahr wie Verdi und Wagner zur Welt. Nach Chopins frühem Tod pilgerten manche seiner Klavierschüler zu Alkan, um sich von diesem exorbitant virtuosen Musiker in der Kunst des Klavierspiels unterweisen zu lassen. Eine offenbar höchst sparsame Lebensweise und fleißiges Unterrichten machten ihn zu einem vermögenden Mann. Alkan, ein frommer Jude mit einer gewissen Neigung zum Katholizismus, hinterließ 1888 bei seinem Tod 115.000 Francs in Gold, die nach seinem letzten (missachteten) Willen für zwei nach ihm benannte Wettbewerbe verwendet werden sollten: einer für Kantatenkomposition, bei der ausschließlich die Vertonung von Bibeltexten gestattet gewesen wäre, der andere für Pedalklavierspiel.

Alkan schrieb Werke für Orgel und Pedalklavier, hauptsächlich aber Klaviermusik, die, und das erklärt weitgehend seinen begrenzten Ruhm, aberwitzige technische Anforderungen an den Interpreten stellt. Eine frühe Symphonie wurde niemals aufgeführt und ist verschollen. Eine andere blieb erhalten, doch handelt es sich dabei um die „Symphonie pour piano seul“. Auch in seinem Klavierkonzert sparte sich Charles Valentin Alkan die Mühen des Partiturschreibens für andere Instrumente – die Orchesterbegleitung muss der ausführende Pianist sich selber liefern. Die Notenblätter sind ja mit dem genialischen Auf und Ab rasender schwarzer Notenköpfe und -hälse dicht genug beschrieben. Die Franzosen nennen Alkan den „Berlioz des Klaviers“, was insofern zutrifft, als er mit derselben Intensität und Maßlosigkeit die Grenzen des spieltechnisch Möglichen auf dem Klavier erweiterte, wie Berlioz dies auf dem Feld der Orchestermusik tat.

Anders als Alkan in seinen „petits concerts“ spielen die Pianisten auf dem Hamburger Alkan-Festival natürlich vor allem Alkan und, neben Werken von Bach, Beethoven, Mozart, Mendelssohn und Schubert, Musik anderer (Wahl-)Franzosen, hauptsächlich Chopin. Der italienische Klaviergroßmeister Francesco Libetta, den Pro Piano Hamburg vor anderthalb Jahren in einem eminent beeindruckenden Recital präsentierte, musste seine Teilnahme krankheitsbedingt absagen. Der Brite Mark Viner aber wird ebenso spielen wie Alexander Paley und die Koroliov-Schülerin Natalia Ehwald. Alexandra Ismer begleitet anstelle von Libetta den Cellisten Konstantin Bruns bei Chopins selten aufgeführter Cello-Sonate. Bruns gehörte zu den Teilnehmern des vorigen Tonali-Wettbewerbs in Hamburg.

Wer auf der Suche ist nach neuen Kicks im Pianistischen, dürfte bei Alkan fündig werden. Dieser Freund Chopins und Liszts, der schon früh gegenüber dem Status als reisender Superstar des Klaviers, der für ihn leicht zu haben gewesen wäre, den gründlichen Rückzug vor allem Weltlichen den Vorzug gab, bietet einen bis ins Verschrobene eigenen Kosmos der Musik. Er ist es auch 200 Jahre nach seiner Geburt noch dringend wert, entdeckt zu werden.

Alkan & Friends Fr, 8.11., 19.00/20.30 (Eröffnung; weitere Konzerte am Sa, 9.11., 19.00/20.30 und So, 10.11., 18.00/19.30) Englische Kirche, Zeughausmarkt 22 (Busse 6, 36, 37, 112). Karten (Festivalpass 75,-, Einzelkonzerte 17,-, Doppelkonzerte 30,-) unter T. 453326, Programminfo unter www.propiano-hamburg.de