Bei seinem neuen Projekt bringt der Verein RockCity etablierte Produzenten mit Hamburger Bands zusammen. So arbeitet Produzent Simon Nordberg nun mit der Hamburger Band Engel + Post zusammen.

Hamburg. Mitunter, da bedarf es einfach eines Menschen, der gut zuhören kann. Der sorgsam Zwischentöne wahrnimmt. Details, die jenen, die sich da lautstark mitteilen, gar nicht mehr auffallen. Simon Nordberg ist solch ein Typ. Ein drahtiger Kerl mit kahlem Schädel und freundlichem Blick. Entspannt sitzt er in Batman-Shirt, Jeans und Kapuzenpulli auf einer Box und lauscht, leicht nickend. Zuvor hat er noch Kabel verstöpselt, die nun Muster auf das Laminat malen. Ein Chaos, das einer eigenen Logik folgt. Um Musikproduzent Nordberg herum im Studio spielen die vier Musiker der Hamburger Band Engel + Post.

Diffus fällt Tageslicht durch Glasbausteine. Sänger und Gitarrist Tomas Engel schickt seine Stimme mit dunkler Drastik durchs Mikrofon. Bassist Thomas Prisching gibt in ruhiger Konzentration seine Impulse. Hinter ihm wacht eine Marienstatue auf einem Verstärker über die Szenerie. Der Sound, intensiviert durch Janosch Pangritz am Schlagzeug und Moritz von Metzler am Keyboard, brodelt und driftet. Er entfaltet einen hypnotischen Sog und eröffnet zugleich klangliche Panoramen.

„Mir hat an der Band gefallen, dass ihre Songs Persönlichkeit haben“, erzählt Nordberg später bei Schorle, Kaffee, Obst und Keksen in einer Sofaecke im Zwischengeschoss, einem Musikkomplex mit Studios und Büros in Altona. Für das Poplabor, ein neues Projekt des Hamburger Musikervereins RockCity, hat er Engel + Post vorab unter 15 Vorschlägen ausgesucht. Der Schwede, der bereits mit so unterschiedlichen Stars wie Heather Nova, Britney Spears, Eskobar, Anna Ternheim und Theophilus London gearbeitet hat, ist einer von drei renommierten internationalen Produzenten, mit denen drei Hamburger Newcomer für vier Tage in dem Haus am Eschelsweg arbeiten und aufnehmen können.

Die Elektropopper Pool etwa holen sich Tipps von Pelle Gunnerfeldt, der bereits mit den Indierockern The Hives im Studio war. Und die stilistisch vielfältige Band Memoriez, die zwischen Rock, Soul, Pop, Blues und Swing zu Hause ist, erhält Ideen und Inspiration von Robot Koch, der als Produzent und Komponist für Acts wie Max Mutzke, Marteria und Jahcoozi aktiv war.

„Qualität, Originalität, sich selbst ausdrücken, eine musikalische Identität finden – das ist das, was wir hier stiften wollen“, sagt Andrea Rothaug. Die Geschäftsführerin von RockCity hat das Poplabor zwei Jahre lang mit ihrem Team vorbereitet und konnte letztlich die Haspa Musikstiftung und die Hamburger Plattenfirma Edel für die Finanzierung gewinnen. Bis zu 500 Beratungsgespräche führt Rothaug im Jahr, bei denen sie Musiker in organisatorischen Dingen wie Steuerrecht, Selbstvermarktung, Rechteverwertung und Promotion fit macht. In diesen Sitzungen habe sie gemerkt, dass gerade bei Newcomern aber auch eine künstlerische Unterstützung erwünscht sei, weshalb sie dieses neue Format erschaffen hat. Der experimentelle Charakter des Poplabors steht für Rothaug definitiv im Vordergrund. Zugleich aber sollen die Bands einen kreativen Schubs erhalten, „authentische Musik zu entwickeln, die es über die Rampe schafft.“

Im Fall von Engel + Post ist da mit Simon Nordberg ein Produzent ins Spiel gebracht worden, der der Gruppe ein neues künstlerisches Spannungsfeld eröffnet. Denn er bewegt sich normaler Weise in einem anderen Genre als die Hamburger. „Simon kommt als Produzent aus dem Popbereich, unsere Musik enthält hingegen viel freie Improvisation, Soli und Jazz-Elemente“, sagt Sänger Tomas Engel. Und er erläutert, wie das Poplabor seine Kunst voranbringen kann: „Es ist toll, dass sich jemand unsere Songs anhört und sie an den Stellen aufräumt, an denen wir zu kompliziert gedacht haben, sodass wir eventuell ein größeres Publikum erreichen können.“ Drummer Pangritz schiebt jedoch flugs hinterher: „Was nicht heißt, dass wir unseren eigenen Geist aufgeben.“

Wie für viele Bands ist es auch für Engel + Post ein komplexer Prozess, die eigene klangliche Handschrift so zu gestalten, dass sie sich selbst treu bleiben und zugleich eine wachsende Hörerschaft finden. Allerdings ist Nordberg auch keiner, der einen Künstler verbiegen möchte. Der die Avantgarde brachial auf Massentauglichkeit trimmen will.

Zu Beginn des Poplabors hat er die Band erst einmal anderthalb Stunden ein Konzert-Set spielen lassen, um sie kennenzulernen. Und bei den drei Stücken, an denen sie dann in Hamburg gemeinsam werkeln, sagt er eher „Versuch die Passage doch mal anders!“ statt ganz konkrete Anforderungen zu stellen.

Der Bassist betont, wie wichtig die Helikopterperspektive Nordbergs ist

„Manchmal, da hilft es auch, nur einen kleinen Hinweis zu geben und dann einfach mal raus zu gehen, damit die Band die Anregung für sich weiterspinnen kann. Wenn ich zurückkomme, ist dann häufig schon sehr viel geschehen“, sagt Nordberg mit nahezu zen-meisterlicher Gelassenheit. Letztlich, da sei er so etwas wie ein Therapeut, so wie es ihn beispielsweise für Paare gebe.

„Mann und Frau können ja auch zu Hause miteinander reden. Aber mitunter, vor allem wenn es hakt, braucht es eben diese dritte Person, die zuhört, damit die Kommunikation wieder richtig in Gang kommt“, erläutert der Produzent. Auch Bassist Prisching betont, wie wichtig diese „Helikopterperspektive“ sei, mit der Nordberg unvoreingenommen auf die Musik schaut. Ein Blick- und vor allem Hörwinkel, der als Band alleine im Proberaum nicht herzustellen sei. „Viele der Grundsätze sind uns zwar bekannt, werden aber von Simon noch mal auf den Punkt gebracht“, sagt Keyboarder von Metzler dankbar.

Zurück im Studio setzt sich Nordberg an sein Regiepult, zieht sich die Kopfhörer über und lauscht, während die Band einen neuen Song intoniert. Er dreht an Knöpfen, blickt zum Rechner, dann zu den Musikern, dreht wieder, schaut erneut auf, lauscht. Ein professioneller Zuhörer. Und ein guter.