Die Geschichten im Film „Finsterworld“ haben Regisseurin Frauke Finsterwalder und ihr Mann, der Autor Christian Kracht, zusammen erdacht

Hamburg. Das Spielfilmdebüt von Frauke Finsterwalder hat es in sich. In „Finsterworld“ erzählt sie episodenhaft fünf Geschichten aus einem merkwürdig zeitlosen und menschenarmen Deutschland, die irgendwie alle etwas miteinander zu tun haben. Böse geht es dabei oft zu, manchmal aber auch lustig. Die aus Hamburg stammende, 1975 geborene Regisseurin hat das Drehbuch gemeinsam mit ihrem Ehemann geschrieben, dem Autor Christian Kracht. Vorher hat sie mehrere Kurz- und Dokumentarfilme gedreht. Corinna Harfouch, Sandra Hüller, Ronald Zehrfeld, Margit Carstensen, Michael Maertens, Carla Juri und Christoph Bach spielen in dem abgründigen Film, der in Köln und Zürich schon mehrere Preise gewonnen hat und am Donnerstag in die Kinos kommt. Die wetterfühlige Filmemacherin mag die Hansestadt, aber nicht ihr Klima. Wir sprechen per Skype miteinander. Sie sitzt in Florenz, wo es gerade regnet. In Hamburg scheint die Sonne.

Hamburger Abendblatt:

Im ersten Film, sagt man, verarbeiten Autorenfilmer oft Autobiografisches. Hier gibt es etwa die frustrierte Dokumentarfilmerin Franziska. Was hat sie mit Ihnen zu tun?

Frauke Finsterwalder:

Ich kenne ihr Problem: Protagonisten tun im Dokumentarfilm nie das, was sie eigentlich tun sollten. Der Film, der am Ende dabei herauskommt, ist ein völlig anderer als der, den man machen wollte. Wenn man sehr ungeduldig ist, wird man schnell frustriert. Aber ich habe auch schon erlebt, dass man bei der Arbeit beschenkt wird. Insofern hat sie etwas mit mir zu tun. Für alle anderen Protagonisten gilt das aber auch. Ich habe dieses Drehbuch ja mit meinem Mann Christian Kracht zusammen geschrieben. Franziska hat eigentlich mehr von ihm.

Ist es nicht schwierig, wenn aus der Lebens- eine Arbeitsgemeinschaft wird?

Finsterwalder:

Ich fand es einfach. Wir haben uns vorher darauf geeinigt, was wir machen wollen, und dann aus dem Bauch heraus gearbeitet. Wir haben viel gelacht, uns aber auch zusammen gegruselt. Es war toll, etwas zusammen zu erschaffen, was gar nichts mit unserer Beziehung zu tun hat.

Ihr Mann ist Romanautor, schreibt normalerweise keine Drehbücher. Konnte er das einfach so?

Finsterwalder:

Christian musste sich völlig neu orientieren, weil man im Drehbuch keine inneren Zustände beschreiben kann. Aber er hat vor vielen Jahren einmal Film studiert und ich finde, dass seine Bücher auch ziemlich filmisch und visuell geschrieben sind.

Wie haben Sie die Umstellung vom Inszenieren eines Dokumentarfilms zum Spielfilm bewältigt? Sie mussten jetzt zum Beispiel Schauspieler führen.

Finsterwalder:

Ich fand es positiv, mit einem großen Team zu arbeiten. Man ist mit vielen Menschen im Austausch über die eigene Vision. Manchmal tragen sie die Idee, die man hatte, weiter als man selbst. Die Arbeit mit den Schauspielern war wundervoll und viel direkter. Wenn man den Leuten in einem Dokumentarfilm Regieanweisungen gibt, sind sie unentspannt oder haben keine Lust mehr. Es hat mir viel Spaß gemacht mit den Schauspielern zusammen an den Protagonisten zu feilen.

Wollten Sie der Gesellschaft in Deutschland einen Spiegel vorhalten?

Finsterwalder:

Das wäre vielleicht etwas zu hochgegriffen. Eher mir selbst. Aber es geht natürlich auch stark um das deutsche Bildungsbürgertum. Als Filmemacher hat man viel mit ihnen zu tun, denn viele, die darüber entscheiden, welche Filme gemacht werden, kommen aus diesem Umfeld. Es geht eher, wie der Titel schon sagt, um meinen eigenen Gefühlsraum. Man soll als Zuschauer entscheiden, wie viel davon man allgemeingültig findet. Das Thema deutsche Gesellschaft und die Kritik daran bewegt junge Filmemacher zurzeit sehr stark.

Der Titel des Films leitet sich von Ihrem Nachnamen ab. Wie lange gibt es das Wort „Finsterworld“ schon?

Finsterwalder:

Seit meiner Kindheit in Hamburg. Ich war allein zu Hause, und meine Eltern hatten mir eingeschärft, ich dürfe die Tür nicht aufmachen. Dann klingelte es. Man hatte Angst vor bösen Menschen, die vielleicht sogar Kinder klauen würden. Ich konnte es aber nicht lassen, machte auf, und da stand ein Postbote vor mir. Er trug eine Uniform, und ich habe mich sehr erschrocken, denn ich hatte ihn vorher noch nie gesehen. Er sagte mit einer sehr bösen Stimme: „Ach, Sie sind also das Mädchen aus dem finsteren Walde.“ Das ist mir so in die Glieder gefahren, dass ich die Tür sofort wieder zugeschlagen habe. Seitdem hatte ich die Idee, mit meinem Namen etwas zu machen.

In einer der entfallenen Szenen heißt es, dieses Land sei „wohlstandsverwahrlost“. Wie meinen Sie das?

Finsterwalder:

Diese Szene existiert nur im Buch zum Film, aus dem Film haben wir sie herausgeschnitten. Trotzdem: Nur weil es Deutschland besser geht als den meisten anderen Ländern in Europa heißt das ja nicht, dass man keine Probleme hat. Ich war gerade mit dem Film in Argentinien. Als ich zurückkam, war hier Wahlkampf. Ich hatte den Eindruck, dass selbst die Politik die Wahlen nicht mehr ernst nimmt. Das kommt einem schon sehr zynisch vor.

Wie haben Sie es geschafft, für einen Debütfilm so einen hochkarätigen Cast zusammenzubekommen?

Finsterwalder:

Die Rollen der Franziska und der Inga habe ich explizit für Sandra Hüller und Corinna Harfouch geschrieben. Nachdem die beiden zugesagt hatten, war es eigentlich ganz leicht, weil viele Schauspieler Lust hatten in so einem Ensemble mitzuspielen. Aber ohne meine Casterin Simone Bär hätte ich das nie geschafft, einige Schauspieler kannte ich vorher gar nicht.

Sie haben Hamburg nach dem Abitur verlassen und auch längere Zeit im Ausland gelebt. Welches Verhältnis haben Sie angesichts Ihres kritischen Deutschlandbilds zu Ihrer Heimatstadt?

Finsterwalder:

Es ist eine tolle Stadt, vor allem eine, aus der ein guter Humor kommt. Ich hoffe, das habe ich mitgenommen, denn mein Film ist ja auch zum Teil sehr lustig. Das Wetter in Hamburg ist mir ein bisschen zu schlecht. Als ich noch in Hamburg lebte, hätte ich nie gedacht, dass ich jemals einen Film machen würde, den man im Abaton zeigt. Es ist mein absolutes Lieblingskino in der Stadt, vielleicht sogar Deutschlands.

Eine Kritik zum Film „Finsterworld“ lesen Sie heute im LIVE-Magazin