Beim Lesen, Rechnen und im Umgang mit dem Computer liegen deutsche Erwachsene im internationalen Vergleich nur im Mittelfeld.
Berlin. Lesen, rechnen, einen Computer bedienen – diese Kompetenzen sollte man als Erwachsender in Deutschland beherrschen. Die Realität sieht jedoch anders aus: Erschreckend viele Erwachsene hierzulande rechnen und lesen auf dem Niveau von Grundschülern, und nur ein Drittel der Erwachsenen kann sich sicher im Internet bewegen. Das sind Ergebnisse einer großen Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), einem Forum vorwiegend wohlhabender Industriestaaten. Deutschland landete in dieser Untersuchung nur im Mittelfeld, Spitzenergebnisse erzielten Japan und Finnland.
In der Untersuchung, für die Forscher weltweit rund 166.000 Teilnehmer zu Hause besuchten, wurden in erster Linie Alltagsfertigkeiten abgefragt. Etwa, wenn es darum geht, Texte zu lesen, zu verstehen und zu interpretieren. Das Ergebnis: Gut jeder sechste Erwachsene in Deutschland (17,5 Prozent) kommt nicht über das Niveau eines Zehnjährigen hinaus – und kann maximal kurze Texte mit einfachen Wörtern lesen und aus diesem Text zentrale Informationen herauslesen. Zu den Aufgaben gehörte es beispielsweise, den stark verkürzten Beipackzettel eines fiktiven Medikaments zu lesen und anzugeben, ob es für Jugendliche geeignet ist. Das Ergebnis für die deutschen Teilnehmer liegt leicht unter dem Durchschnitt aller teilnehmenden OECD-Länder – Deutschland liegt also im unteren Mittelfeld. Am besten in diesem Teilgebiet schnitten die Teilnehmer in Japan und Finnland ab.
Wie bei der PISA-Studie unter Schülern entscheidet auch in der PIAAC-Studie (Programme for the International Assessment of Adult Competencies) der soziale Hintergrund stark über das Abschneiden: In kaum einem anderen Land hängt die Lesekompetenz so sehr vom Elternhaus ab wie in Deutschland. Nur in den USA ist der Abstand zwischen Testpersonen mit Akademiker-Eltern und Teilnehmern, deren Eltern weder Abitur noch Berufsausbildung haben, höher.
Mathematikaufgaben aus dem Alltag lösen Erwachsene in Deutschland im Schnitt besser als die internationale Vergleichsgruppe. Auch hier erzielten Japan und Finnland wieder Spitzenergebnisse, aber der Abstand zu Deutschland ist weit geringer als beim Verständnis von Texten. Allerdings rechnet knapp jeder fünfte Erwachsene in Deutschland (18,5 Prozent) auf dem Niveau eines Grundschülers oder sogar noch schlechter. Im Durchschnitt aller teilnehmenden Länder ist der Wert noch leicht höher.
Über alle Länder hinweg schneiden jüngere Erwachsene gegenüber den ältesten Testteilnehmern ihres Landes besser ab. Die besten Leistungen verzeichneten hierzulande, wie fast überall, die 25- bis 34-Jährigen. Das gilt ganz besonders für den dritten Teil der Untersuchung, in dem Testpersonen Computeraufgaben lösen mussten. Zu den einfachen Aufgaben gehörte beispielsweise, eine Excel-Tabelle zu öffnen oder E-Mails in bereits angelegte Ordner zu sortieren. Diese Komponente des Tests stellte die Teilnehmer in allen Ländern vor die größten Herausforderungen. In Deutschland haben knapp 13 Prozent der Erwachsenen im berufsfähigen Alter keinerlei Erfahrung mit Computern oder scheitern an grundlegenden Techniken wie etwa der Bedienung einer Maus. „In der Gesamtstudie konnten weniger als 50 Prozent der erwachsenen Bevölkerung einen Link anklicken“, sagt OECD-Bildungsforscher Andreas Schleicher.
Aber auch in Deutschland liegt einiges im Argen: Nur ein gutes Drittel der Erwachsenen ist in der Lage, sicher über Webseiten zu navigieren oder online komplexere Aufgaben in mehreren Schritten zu lösen. Zu den schwierigeren Aufgaben gehörte es, unter mehreren Job-Portalen im simulierten Internet diejenigen als Lesezeichen zu speichern, die kostenlos genutzt werden können. Allerdings schneiden die deutschen Teilnehmer hier besser ab als der Durchschnitt der OECD.
Die Ergebnisse sagen viel darüber aus, wie fit der Einzelne für den Arbeitsmarkt ist. „Die Schlüsselkompetenzen sind ein entscheidender Faktor für Erfolg am Arbeitsmarkt und im sozialen Leben“, sagt Bildungsexperte Andreas Schleicher. „Viele Menschen in der OECD haben große Schwierigkeiten, mit komplexen Informationen umzugehen, doch gerade in diesen Bereichen wächst die Nachfrage nach Arbeitskräften besonders stark.“
Tatsächlich haben die Forscher – wenig überraschend – festgestellt, dass die Gehälter von Testteilnehmern, die beim Lesetest besonders gut abschneiden, im OECD-Schnitt 60 Prozent höher sind als von Teilnehmern, die nur die unterste Kompetenzstufe erreichen. In Deutschland ist der Unterschied sogar noch weitaus stärker ausgeprägt.
2,2 Millionen Deutsche zwischen 20 und 35 Jahren haben keine Ausbildung
Auch in vielerlei anderer Hinsicht geht es Erwachsenen mit gering ausgeprägten Kompetenzen schlechter: Sie sind weit häufiger arbeitslos, in der Regel weniger gesund, engagieren sich seltener ehrenamtlich und sind häufiger misstrauisch gegenüber ihren Mitmenschen. Allerdings ist es schwierig, einen Kausalzusammenhang zwischen der Bildung und diesen Beobachtungen festzustellen. OECD-Bildungsdirektorin Barbara Ischinger warnt: „Es ist im ureigensten Interesse der Regierungen, dafür zu sorgen, dass die Menschen in ihrem Land Kompetenzen erwerben und erhalten können. Das gelingt am besten, wenn die Chancen auf Bildung gerecht verteilt sind – und zwar nicht nur in Schule und Uni, sondern auch am Arbeitsplatz.“
Die Staatssekretäre aus dem Bildungs- und Arbeitsministerium, Cornelia Quennet-Thielen und Gerd Hoofe, kündigten Hilfen für die Nachqualifizierung von Erwachsenen ohne Berufsabschluss an. In Deutschland haben 2,2 Millionen Menschen zwischen 20 und 35 Jahren keine Berufsausbildung und sind auch nicht mehr in Fortbildung. Laut Studie werden Weiterbildungsangebote vor allem von denjenigen genutzt, die ohnehin bereits über eine gute Ausbildung verfügen.
Die Organisation hat in der aufwendigen Studie rund 166.000 Erwachsene im Alter zwischen 16 und 65 Jahren auf verschiedene Alltagskompetenzen getestet. Die Tests wurden in 24 Industrieländern durchgeführt.
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