Warum man die PISA-Studie für Erwachsene nicht überschätzen darf

„Deutschland nur im Mittelfeld“ – das ist stets ein Alarmruf, wenn es um internationale Bildungsvergleiche geht. Denn anders als viele unserer großen Konkurrenten, voran die USA, China oder Russland, verfügt unser Land nicht über riesige Vorkommen an Bodenschätzen, die uns auch ohne große Anstrengungen ein erträgliches Einkommen sichern könnten. Deutschland ist auf die Leistungskraft seiner Menschen angewiesen – und dies bei einer schrumpfenden, alternden Bevölkerung. Bildung ist der Goldstandard. Dass dies hierzulande noch nicht zur Gänze begriffen wurde, zeigen unterfinanzierte Schulen mit überfüllten Klassen.

Wenn die Deutschen nun in der PIAAC-Untersuchung in 24 Ländern – einer Art PISA-Studie für Erwachsene – gerade einmal im Mittelmaß landen und bei einigen Kompetenzen sogar nur unterdurchschnittlich abschneiden, dann können wir uns das einfach nicht leisten. Die ebenso erschütternden wie umstrittenen Ergebnisse der PISA-Studien für Schüler ab dem Jahre 2000 waren in Deutschland als „Bildungskatastrophe“ etikettiert worden. In den folgenden Jahren führte dies zu bildungspolitischen Reformen – und ersten Erfolgen: So waren die Lesekompetenzen deutscher Schüler in der PISA-Studie 2009/10 bereits wesentlich besser. Deutschland landete auf Rang 16 von 74 Staaten. Dennoch ist da noch reichlich Luft nach oben. Auch die Ergebnisse der neuen PIAAC-Studie sollten bildungspolitische Konsequenzen nach sich ziehen. Dass rund ein Sechstel der Deutschen Probleme mit dem Verstehen selbst einfacher Texte hat, ist nicht hinnehmbar. Ein für Deutschland generelles, sehr schwierig zu kurierendes Problem ist, dass der Bildungsstand der Eltern noch immer in vielen Fällen prägend für die Bildungsnähe auch der Kindergeneration ist. Kompetenzen wie Defizite werden gewissermaßen vererbt. Schulen können Defizite aber nur bedingt ausgleichen; Bildung ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das im Elternhaus wurzelt. Dem Land der Dichter und Denker ist zudem eine Technik-Trägheit zu eigen, die sich in einer zunehmend technologisierten Welt langfristig fatal auswirken könnte.

Japan und Finnland als Spitzennationen in derartigen Tests können für Deutschland allerdings nur bedingt als Vorbild dienen. Die gerade einmal 5,4 Millionen Finnen sind ein homogenes Volk ohne nennenswerte Einwanderung, mit alter Lesetradition, unsynchronisierten Kinofilmen – was das Lernen fremder Sprachen fördert – und finanziell hervorragend ausgestatteten Schulen. Die 127 Millionen Japaner sind einer eisernen Lerndisziplin und gnadenloser Auslese bereits vom Kindesalter an unterworfen, die man sich nicht wünschen sollte.

Die PIAAC-Studie kann zum Nachdenken und zu Reformen anstoßen. Man darf allerdings nicht vergessen, dass sie von der wirtschaftsbasierten OECD veranstaltet wird. Im Kern geht es, wie es im Begleittext heißt, darum, „ein umfassendes Bild des Humankapitals zu liefern, auf welches die Länder im globalen Wettbewerb zurückgreifen können“. Es geht also nicht um Allgemeinbildung, um Goethe und Shakespeare, oder um soziale Kompetenzen. Das Wort „Humankapital“ war 2004 „Unwort des Jahres“, weil es nach Ansicht seiner Kritiker die Menschen zu nur noch ökonomisch relevanten Größen reduziert. „Erwachsen“ heißt bei diesem Test vor allem „erwerbsfähig“.

Die PIAAC-Studie mag für Wirtschaft und Politik einige wertvolle Einsichten bereithalten. Überschätzen sollte man sie deswegen nicht. Ein wirkliches Abbild unserer Gesellschaft mit ihren Werten und Stärken leistet sie nicht. Die Fertigkeit etwa, E-Mails hurtig in diverse Ordner ablegen oder den Beipackzettel eines Medikaments zutreffend analysieren zu können, sagt im Grunde sehr wenig über die Fähigkeiten eines Menschen aus.