Mit Meisterwerken aus der Sammlung Hirschsprung zeigt die Kunsthalle die Entwicklung unseres Nachbarn im Norden im 19. Jahrhundert

Hamburg. Es ist eine Idylle in gepflegtem Ambiente. Die Familie eines steinreichen dänischen Tabakfabrikanten hat sich auf der Terrasse des Sommerhauses um den Kaffeetisch versammelt. Heinrich Hirschsprung, der Hausherr, steht an der Balustrade und studiert das Skizzenbuch des Maler Peder Severin Krøyer, der dieses Familienbild 1881 geschaffen hat. Die vier Söhne sind ausnahmslos dunkel gekleidet, die Mutter sitzt rechts im Sessel und beschäftigt sich mit einer Handarbeit. Die Tochter, die gleichfalls strickt, lächelt den Betrachter an und durchbricht damit den sonst so privaten Rahmen dieser Szene.

Krøyers berühmtes Familienbild, das normalerweise in der Sammlung Hirschsprung in Kopenhagen hängt, ist jetzt in in der Hamburger Kunsthalle zu sehen, als eines der zentralen Werke der Ausstellung „Dänemarks Aufbruch in die Moderne“. Dass jetzt fast 80 Werke aus dem 1911 eröffneten Kopenhagener Museum in der Hamburger Kunsthalle einen guten Einblick in die dänische Kunstentwicklung im 19. Jahrhundert bieten, wurde dank einer bislang beispiellosen Kooperation möglich. Denn im Gegenzug hat die Kunsthalle mehr als 60 Werke von Caspar David Friedrich, Philipp Otto Runge bis Max Liebermann, Wilhelm Leibl und Max Klinger nach Kopenhagen verliehen, wo am kommenden Dienstag die Ausstellung „Leihgaben. Die Hamburger Kunsthalle zu Gast bei Hirschsprung“ eröffnet wird.

Jenns Howoldt, der ein Vierteljahrhundert lang die Sammlung des 19. Jahrhunderts in der Kunsthalle betreut hat und sich nun verabschiedet, und seine Kopenhagener Kollegin Mariannne Saaby, die Direktorin der Sammlung Hirschsprung, knüpfen mit dieser Gemeinschaftsausstellung an die traditionell enge kulturelle Verbindung zwischen Hamburg und Kopenhagen im Allgemeinen an und darüber hinaus auch an eine enge Beziehung zwischen den beiden Museen, deren Gründungsdirektoren Alfred Lichtwark und Emil Hannover sogar persönlich befreundet waren. Da Hamburg über keine eigene Kunstakademie verfügte, ließen sich viele norddeutsche Maler wie Caspar David Friedrich oder Philipp Otto Runge in Kopenhagen ausbilden. Andererseits war Hamburg für dänische Künstler im 19. Jahrhundert oft die erste Anlaufstation auf ihrem Weg in die europäischen Kunstzentren.

Dem Aufbruch der dänischen Künstler war freilich ein Fiasko vorausgegangen: Auf der Pariser Weltausstellung 1878 fiel die dort ausgestellte dänische Kunst bei der Kritik glatt durch, sie galt als rückwärtsgewandt, selbstbezogen und provinziell. Doch dadurch wurden jene Künstler und Kritiker bestärkt, denen es in den 1880er-Jahren um eine Erneuerung der bis dahin weitgehend unangefochtenen Historien- und Genremalerei ging. Die Porträts dieser Protagonisten sind im ersten Ausstellungsteil zu sehen, darunter ein Bildnis von Krøyer, das den Schiftsteller und Kritiker Georg Brandes zeigt, der den Begriff „moderner Durchbruch“ für die dänische Kunst geprägt hat.

Doch die Ausstellung setzt bereits im frühen 19. Jahrhundert mit Bildern und Zeichnungen aus dem sogenannten Goldenen Zeitalter der dänischen Kunst ein, in dem sich die Maler auf die eigenen Traditionen und Landschaften besannen und national geprägte Kunst schufen. Maler wie Christoffer W. Eckersberg (1783–1853), Christian Købke (1810–1848) oder Johann Th. Lundbye (1818–1848) schufen Bilder, in denen sie die erhabene Schönheit der dänische Landschaften mit Bilder von großer Klarheit und gemäßigter, oft kühler Farbigkeit wiedergeben. Doch dieser nationale Bezug erwies sich spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts als anachronistisch, das historische Pathos wirkte hohl, die Genreszenen des ländlichen Lebens erschienen merkwürdig formelhaft und erstarrt. Dagegen setzten Maler wie Michael und Anna Ancher in der Künstlerkolonie Skagen ganz andere Akzente mit impressionistischen Landschaftsdarstellungen. Oder mit Motiven, die bisher gar nicht für bildwürdig gehalten wurden. So malt Anna Ancher 1883 „Zwei Alte, die Möwen rupfen“, ein Bild, das an Liebermanns „Gänserupferinnen“ von 1872 erinnert. Und Severin Krøyer schuf nach einem Frankreichbesuch Bilder aus der Arbeitswelt, deren harter Realismus gar mit Gustave Courbets „Steinklopfern“ vergleichbar ist. Der Symbolist Villem Hammershøi begann dagegen, seine kargen, farbreduzierten Interieurs zu malen, deren Melancholie und Stille enorme Wirkung zu entfalten vermochte.

Ähnlich wie bei Liebermann gibt es auch hier Freizeitszenen am Strand

Ähnlich wie bei den etwa zur selben Zeit entstandenen Bildern von Max Liebermann steht bei vielen dieser Bilder das Freizeitleben im Mittelpunkt, etwa bei Peder Severin Krøyers 1884 entstandenen „Sommertag am Südstrand von Skagen“ oder seinem 15 Jahre später gemaltem wunderbaren „Sommerabend am Strand von Skagen“, das den Künstler und seine Frau in Begleitung ihres Hundes zeigt. Doch dieses Bild, das zu den Ikonen der dänischen Kunst zählt, stellt schon keine unbeschwerte Strandszene mehr dar, sondern wird von einer tiefen Melancholie überlagert.

Heinrich Hirschsprung hat viele der Künstler persönlich gekannt und gefördert. Sonst wäre es ihm auch kaum möglich gewesen, eine Sammlung aufzubauen, die die Kunstentwicklung seines Landes anhand von herausragenden Werken so exemplarisch dokumentiert. Das Kopenhagener Museum wirkt mit seinem Interieur und der dichten Hängung wie ein Gesamtkunstwerk des späten 19. Jahrhunderts, in dem das private Lebensumfeld des Sammlers atmosphärisch zu erspüren ist. In Hamburg ergibt sich dagegen ein völlig anderes Erlebnis.

In der Galerie der Gegenwart, wo die dänischen Gemälde in thematischen Zusammenhängen präsentiert werden und auf dezent farbigen Wänden eher luftig gehängt sind, können sie ihre Wirkung ganz anders entfalten. Selbst Vertrautes erscheint hier mitunter neu, unerwartete Verwandtschaften werden sichtbar und die Besucher haben die wunderbare Chance, von Raum zu Raum zu wandern und dabei durch ein ganzes Jahrhundert der dänischen Kunstgeschichte zu flanieren.

Dänemarks Aufbruch in die Moderne. Die Sammlung Hirschsprung von Eckersberg bis Hammershøi. Hamburger Kunsthalle. Galerie der Gegenwart, Sockelgeschoss. Bis 12. Januar 2014. Di–So 10.00–18.00, Do bis 21.00 geöffnet. Ausstellungskatalog (176 Seiten, 140 Farbabbildungen) ist bei Dölling und Galitz erschienen und kostet 24,90. Infos www.hamburger-kunsthalle.de