Hamburgs Kultursenatorin Barbara Kisseler spach mit dem Hamburger Abendblatt über ihren Wechsel nach Hamburg, John Neumeier und den kulturpolitischen Zweck einer Nusstorte.

Hamburg. In der Kulturbehörde spielt Kunst nicht nur eine theoretische Rolle: Den Vorraum der Senatorin zum Beispiel zieren Werke aus der Sammlung F. C. Gundlach, sie werden regelmäßig von ihm selbst gehängt. Im Gespräch antwortet Barbara Kisseler gewohnt präzise und garniert ihre Sätze – insbesondere auch das nicht Gesagte – gern mit hintergründigem Lächeln.

Hamburger Abendblatt: Ein Mäzen spendiert 15 Millionen, die Stadt legt vier dazu, nicht mal die Elbphilharmonie macht Ärger. Vermutlich eine ganz gute Woche im Leben einer Kultursenatorin, oder?
Barbara Kisseler: So ist es. Und bei der Kunsthalle bekomme ich noch die Unterstützung meines Kollegen Frank Horch, der für die Optimierung der Außenanlagen der Kunsthalle und der Verkehrsführung noch etwas dazugibt.

Die dann gelöste Depot-Situation ist in der Tat ein Segen für die Kunsthalle. Waren die 15 Millionen Euro von Alexander Otto entscheidend, dass dafür auch vier Millionen Euro von der öffentlichen Hand lockergemacht wurden?
Kisseler: Ja. Wir haben uns klargemacht, dass wir nicht die Millionen-Unterstützung annehmen können und uns hinterher hinstellen und sagen: Sieht alles gut aus, aber gehen Sie bitte nicht in den Keller. Die Depot-Sanierung ist eine ureigene städtische Aufgabe.

Wann dürfen denn dann die übrigen Museen damit rechnen? Die Situation ist ja nicht nur an der Kunsthalle desolat…
Kisseler: Im Museum für Kunst und Gewerbe sind wir dabei, die Situation mit Bordmitteln zu verbessern. Es gibt verstärkt Stimmen für eine dezentrale Lösung. Denkt man an einen Brand oder Ähnliches, ist man auch sicherer als bei einem zentralen Kulturspeicher.

Ist der damit vom Tisch?
Kisseler: Nein. Nur waren alle Lösungen, die wir bisher eruiert haben, einfach zu teuer oder nicht praktikabel.

Der Abschied von Kunsthallen-Direktor Hubertus Gaßner fällt ungefähr mit der Neueröffnung seines Hauses zusammen. Strecken Sie schon Ihre Fühler nach einem Nachfolger aus?
Kisseler: Der Vertrag von Hubertus Gaßner endet 2016. Bevor ich öffentlich darüber rede, wie es dann weitergeht, rede ich erst mal mit Herrn Gaßner selbst, der ja gerade wieder bewiesen hat, dass er viel für die Kunsthalle erreicht. Man muss generell darauf achten, die Balance zwischen der Aufmerksamkeit für die Sammlung und klugen, zeitgenössischen Sonderausstellungen hinzubekommen.

Das strukturelle Defizit der Museen ist gelindert, aber nicht behoben. Wie realistisch ist es, dass sich da etwas ändert?
Kisseler: Wir leben unter schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Die Häuser müssen den Grad der Eigenerwirtschaftung immer im Blick halten. Das strukturelle Defizit muss man sich in seiner Intensität angucken und sukzessive abbauen. Nur mit einem Haus, das vernünftige Arbeitsbedingungen hat, kann man sich auf dem nationalen und internationalen Markt bewegen. Da sind wir noch nicht so ganz.

Das Programm Kunst im öffentlichen Raum wurde nach und nach kaputtgespart auf jetzt 250.000 Euro, von denen ein großer Teil für Instandsetzung ausgegeben wird. Was versprechen Sie sich von der Idee einer Stadtkuratorin? Stimmt es, dass ihr für zweieinhalb Jahre nur 200.000 Euro zur Verfügung stehen?
Kisseler: Der Etat für Kunst im öffentlichen Raum ist in der Tat schon 2003 gekürzt worden. Ich glaube, dass Hamburg da früher mal sehr viel aufgeschlossener war. Man muss erst wieder eine Sensibilität für die Notwendigkeit von qualitativ überzeugender Kunst im öffentlichen Raum herstellen. Nicht jedes Aufhübschen von Verkehrskreiseln ist Kunst und macht Sinn. Es geht nicht um Stadtraum-Möblierung. Sondern darum, sich mit den positiven Reizungen oder Verstörungen von Kunst im öffentlichen Raum auseinanderzusetzen.

Seit Kurzem ist der Kunstbeutelträger in der Stadt unterwegs, der Geld aus Ihrem Topf nach Gutdünken und anonym an die freie Kunstszene verteilen darf. Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen? Es heißt, es sei Rotwein im Spiel gewesen...
Kisseler: (lächelt) Wir hatten in diversen Gesprächen festgestellt, dass die bildenden Künstler sich – vielleicht zu Recht – ein bisschen vernachlässigt fühlten, dass sie die Sorge hatten, in einen Topf geworfen zu werden mit den sogenannten „Kreativschaffenden“. Es wirkte immer ein wenig, als habe bildende Kunst in Hamburg ihre beste Zeit hinter sich. Da wollten wir ansetzen. Es ist immer sinnvoll, mit denen zu reden, die auf diesem Feld agieren. Deren Haltung, deren Wahrnehmung und deren Bedürfnisse zu erfahren.

Und da kam der Rotwein ins Spiel.
Kisseler: Erst Kaffee und Tee, weil wir uns in der Behörde getroffen haben. Alkohol ist im öffentlichen Dienst ja tagsüber verboten. Als wir festgestellt haben, man braucht viel mehr Zeit, lud einer der Anwesenden zu sich in das Atelier, da gab es dann nicht nur Wein, sondern auch eine kulinarische Grundlage. Das war eine große Gemeinschaftsleistung, inklusive der Senatorin: Ich habe eine überzeugende Engadiner Nusstorte gebacken. Im Ernst: Wir haben in mehreren Sitzungen festgestellt, dass unsere Instrumentarien – also: Stipendien, Ausstellungshilfen, Projektförderung – alle an sich sinnvoll sind, aber man muss einmal das System als Ganzes hinterfragen. So entstand die Idee.

Ein Spiel.
Kisseler: Ein Spiel. Wir fanden es alle gut, nicht auf diese altbekannten Strukturen zurückzugreifen. Also: Man entwickelt ein Konzept, das geht durch eine Jury und so weiter. Wir wollten ein Risiko eingehen – mit der Möglichkeit des Scheiterns. Auch Scheitern kann ja eine Glückserfahrung sein.

Wie haben Ihre Senatskollegen darauf reagiert, dass Sie auf diese unkonventionelle Art öffentliche Gelder verteilen…?
Kisseler: Es hat keiner gefragt.

Bis zum Jahresende läuft das Projekt – wissen Sie schon, ob Sie es fortführen?
Kisseler: Das haben wir bewusst offen gelassen. Wir sind ja immer noch eine Kaufmannsstadt, das Risiko soll überschaubar bleiben. Wir beschäftigen uns hinterher mit dem Ergebnis. Dann kann es auch sein, dass sich herausstellt, es ist ganz gut so, wie es ist. Auch wenn man vielleicht mehr Möglichkeiten bräuchte, spontan etwas zu bewilligen, ohne diese hierarchisierten Bewilligungsstufen zu durchlaufen.

Bei der Sommerfestival-Eröffnung haben Sie sich explizit über zwei Tanz-Inszenierungen gefreut, die man „endlich mal“ in Hamburg sehen könne. Das bringt uns auf die Frage: Wie laufen denn die Vertragsverhandlungen mit John Neumeier?
Kisseler: Gut. Wir haben mit ihm ein in der Stadt und international hochgeschätztes choreografisches Angebot. John Neumeier hat eine einzigartige Karriere aufzuweisen, der wir auch Rechnung tragen wollen. Wir müssen uns aber auch überlegen, wie es nach einer möglichen weiteren Vertragsverlängerung mit dem Ballett weitergeht, mit der bemerkenswerten Sammlung, mit der Stiftung. Und wir sind dabei, auch das Bundesjugendballett für Hamburg zu sichern. Da bin ich zuversichtlich. Diesen Standortfaktor „Neumeier“, und das ist es ja inzwischen, den möchte ich für Hamburg bewahren. Man muss aber beides zusammendenken, die Verdienste von John Neumeier und den zeitgenössischen Tanz.

Es wird ja immer wieder gemunkelt, dass Sie Sasha Waltz gern holen würden.
Kisseler: Es hat kein einziges Gespräch in diese Richtung gegeben und es ist auch keines geplant.

Welche Vorstellungen haben Sie denn vom Hamburg Ballett der Zukunft?
Kisseler: Das sage ich Ihnen zum gegebenen Zeitpunkt der Verhandlungen. Wir sind so eng in Gesprächen, dass ich das jetzt nicht gefährden möchte.

Sie haben ja mit John Neumeier eine sehr spezielle Situation. Die Vorstellungen des Vorgängers über seinen eigenen Nachfolger spielen nirgends sonst eine Rolle. Dadurch, dass Herrn Neumeier die Rechte an seinen Choreografien gehören, hat er ein starkes Pfund in der Hand.
Kisseler: Natürlich, diese Frage müssen wir mit ihm erörtern. Es ist ja im Interesse aller Beteiligten, dass dieser Bestand in Hamburg bleibt. Und dass die Choreografien dann adäquat genutzt und gepflegt werden, das muss man ganz genau festlegen. Wir sprechen mit Herrn Neumeier über alle Aspekte, nicht nur über eine einfache Vertragsverlängerung. Und es kommt hinzu, dass das Ballett – schon rein wirtschaftlich betrachtet – ein absolut erfolgreicher Leistungsträger der Staatsoper ist. Das muss man bei einer Nachfolge mitberücksichtigen.

Thema Jazz: Das Elbjazz Festival möchte, obwohl es diesmal unter dem schlechten Wetter leiden und mit einem Defizit leben musste, weitermachen. Erst einmal eine gute Nachricht. Aber das Birdland hat geschlossen. Wie bewerten Sie die hiesige Jazzszene? Dem Jazz-Echo haben sie eine hohe Summe spendiert...
Kisseler: … zusätzlich ...

Wäre es nicht entscheidender, die Szene selbst zu stärken?
Kisseler: Zunächst einmal ist der Jazz ein Genre, das ein sehr spezielles Publikum hat – nicht in erster Linie ein junges. Und die Stadt wird sicher nicht als Clubbetreiber auftreten. Für kleinere Jazzreihen haben wir aber noch einmal 8000 Euro, also insgesamt 23.000 Euro, zur Verfügung gestellt. Und ich glaube, es ist wichtig, dass man neue interessierte Spielstätten unterstützt, wie den Nochtspeicher zum Beispiel, dessen Betreiber dort gern Jazz zeigen möchten.

Ist Hamburg denn die richtige Stadt dafür? Oder muss man sich irgendwann in die Augen sehen und sagen: Es gibt hier womöglich gar nicht genug Publikum, also können wir auch nicht jedes Genre pushen, das wir uns wünschen würden?
Kisseler: Die Entscheidung, den Echo-Jazz für drei Jahre herzuholen, wird sicher auch noch einmal dazu beitragen, den Jazz anders wahrnehmbar zu machen. Aber es ist auch richtig, dass wir insgesamt – Stichwort Schuldenbremse, angespannte Finanzlage – gucken müssen, wo wir stehen. Ist es zwingend, alles auf dem selben niedrigen Niveau zu halten? Oder sollte man sich an die alte Weisheit „Stärken stärken“ halten? Trotzdem bin ich überzeugt, dass der Jazz in Hamburg eine Zukunft hat. Man darf aber nicht die Erwartung haben, dass das ein Massenpublikum zieht. Kulturpolitisch sind wir auch für eine musikalische Weiterentwicklung da.

Insbesondere, wenn man ernsthaft Musikstadt sein möchte...
Kisseler: Eben. Also, so früh werfen wir die Flinte nicht ins Korn. Im Gegenteil.

Bald steht das Filmfest wieder an, hier gab es zuletzt einiges Durcheinander um zu- und wieder aberkannte Förderung. Erst 20.000 Euro mehr für das Kinderfilmfest, dann 30.000 Euro weniger, als Ihre Behörde den Produzentenpreis strich. Nun soll es nach Protesten doch wieder einen Preis geben – wie hoch dotiert eigentlich? So ein Hin und Her hätte man sich ja eigentlich ersparen können.
Kisseler: Das ist nicht optimal gelaufen. Ich hätte mir gewünscht, die Kommunikation wäre auf allen Seiten etwas reibungsloser gewesen. Wir sind aber jetzt mit der Produzentenallianz in guten Gesprächen, die Dotierung des Preises wird sich keinesfalls nach unten bewegen. Die Überlegung ist, den Preis sowohl für Kino- als auch für TV-Produktionen auszuloben, das täte dem Filmfest sicher gut.

2015 könnte ein interessantes Jahr werden. Nagano kommt, die Kunsthalle wird in neuem Glanz wiedereröffnet. Und: Es ist Bürgerschaftswahl. Wir erinnern, dass Sie anfangs gern kokettierten, eine Amtszeit reiche Ihnen. Gilt das noch?
Kisseler: Das entscheide ich getreu meinem Spruch: Wir lösen die Probleme in der Reihenfolge ihres Auftretens.

Dann fragen wir mal anders: War es eine gute Entscheidung, diesen Posten übernommen zu haben?
Kisseler: Ja, das war es. Ich finde, auch für Hamburg. Ernsthaft: Ich bereue es nicht.

Das klingt nach: zweite Amtszeit nicht mehr ausgeschlossen.
Kisseler: Das ist ja nicht nur von mir abhängig, da müssen auch andere ein Wort mitreden.