Kochblogs liegen im Trend; es gibt immer mehr, sie werden immer professioneller. Auch zahlreiche Hamburger bloggen über ihre Essvorlieben

Himbeeren kullern in ein vanillefarbenes Cremebett. Die Quiche wölbt sich unter einem Belag aus Möhren, Schmand und Kräuterhäubchen. Einen Klick weiter wird auf den Punkt gegarter Seesaibling serviert. „Hauchfein die Raucharomen des Saiblings – und dass die mit den fruchtigen Holunderperlen zusammengehen, gerahmt von einem perfekten Zusammenspiel von Süße und Säure, salzigem Queller und scharfer Kresse, das ist großes Kino“, beschreibt der Hamburger Foodblogger Stevan Paul das Geschmackserlebnis auf „Nutriculinary“.

Kochblogs liegen im Trend. Google spuckt zum Thema knapp sechs Millionen Treffer aus. Was von Nichtkennern als Hobby belächelt wird, knapp gefolgt vom Designen flotter Ohranhänger, professionalisiert sich in Wahrheit zunehmend, wird auch von der gehobenen Esskultur nicht länger ignoriert. Foodblogs sind weniger ein ins Web verlagertes Küchenpoesiealbum als teils rentable Kleinunternehmen mit enormer Reichweite. Auch in Hamburg entstehen zahlreiche Kochblogs, die mehr Essverrückte anziehen als so manche gedruckte Rezeptfibel. Das ist auch in die PR-Agenturen und Marketingabteilungen durchgesickert. Sie werben – mit Pürierstäben, Kaffeekapseln und kulinarischen Erlebnistouren — heftig um die individuellen Küchenplauderer, die bei der Namensfindung ähnlich kreativ sind wie beim Austüfteln eines Bratwurststrudels. Sie heißen „Rock the Kitchen“, „New Kitch on the Blog“ und „Tastesheriff“. Wer kein Blog nach seinem Geschmack findet, hat nicht richtig hingeguckt.

„Lykkelig“ hat Ulrike Dittloff ihren Blog genannt, das seit knapp zwei Jahren an Tisch und Herd in Winterhude entsteht. Lykkelig ist dänisch für „glücklich“. Hier finden sich haufenweise kaloriensatte Glücksmacher: Scones mit warmem Beerenkompott, Cheesecake mit Roter Grütze, aber auch eine handfeste Avocado-Stulle mit Mozzarella. Auf den ersten Blick nette Augengimmicks, mehr nicht. Doch wer „Lykkelig“ liest, fühlt sich schnell als Teil eines virtuellen Heile-Welt-Picknicks. Viel schöner als das Kühlschrankangebot, ach was, als die Welt da draußen ist das Dargebotene. Das Prinzip: Unkomplizierte Küchenklassiker aus Omas Rezeptbuch werden neu interpretiert und mit einer locker-fröhlichen Schreibe versehen. Immer her mit dem schönen Leben, lautet das Motto, dem sich mehrere Tausend Leser täglich anschließen. Dittloffs Erfolgsrezept? „Ich finde es wichtig, seinen eigenen Stil zu finden und umzusetzen. Ich schreibe am allerliebsten über das, was mir selber richtig gut gefällt. Und freue mich immer wie Bolle, dass das auch so vielen anderen Menschen gefällt“.

Es ist auch dieses Frei-nach-Schnauze-Kochen, dass den Charme vieler Blogs ausmacht. Hauptsache lecker. Authentizität ist für Foodblogger oberste Küchenchronistenpflicht. Wer nichts von seinen Vorlieben preisgibt, lockt auch keine Leser. „Blogs bieten einen Soap-Effekt: Man erhält kleine Einblicke in das Leben der Blogger und teilt Emotionen und Leidenschaften“, sagt Melanie Buml. Die Hamburgerin betreibt das lebenspraktische Blog „GourmetGuerilla“, das rund 80.000 Visits im Monat verbucht. „Einfach besser essen“ heißt das Motto, „der Spaßfaktor steht im Vordergrund“, sagt die Macherin. Und spricht damit Leute an, die gutes Essen mögen, es aber nicht so schrecklich wichtig nehmen. „Ich bezeichne ‚GourmetGuerilla‘ manchmal als mein Jodeldiplom; der Blog ist meine eigene Spielwiese“, sagt Buml. Ingwer-Streichhölzer, Teufelsböller mit Bohnenmus und Frühstücks-Bananen-Split heißen die Ergebnisse.

Wenn man sich der DNS der Back- und Brutzelblogs nähert, fällt auf: Nach Haute Cuisine streben die wenigsten Schreiber. Sie sind der gute Freund, dem man über die Schulter schaut, wenn er den Pizzateig knetet. Der Improvisationskünstler, der aus den Zutaten im Vorratsschrank eine vorzeigbare Nudelsoße zusammenrührt. Auch als Identitätsstifter eignen sich die Blogs hervorragend: Was verbindet mehr als eine geteilte Mahlzeit, ein gemeinsamer Lieblingsapfelkuchen? Auch deshalb gehört die Kommentarfunktion zu den wichtigsten Werkzeugen der Kochblogs. Der Eisdielentest mag aufs Vorjahr datiert sein; pünktlich mit den ersten Sonnenstrahlen verkünden Leser Lieblingssorten und Bällchengröße. Auch die sozialen Netzwerke verhelfen den Kochblogs zu ihrem wachsenden Leserstamm. „Facebook ist das Schild an der Straße, mein Blog ist das Restaurant.“ So erklärt es der gelernte Koch und Schriftsteller Stevan Paul. Seine Intention fürs Bloggen kommt in doppeltem Wortsinn aus dem Bauch heraus: „Mir geht es darum, dass wir über das Essen reden.“

„Nutriculinary“ gehört zu den erfolgreichsten deutschen Kochblogs; kommt immer dann ins Spiel, wenn es um die Beweisführung geht, dass man intelligent und unterhaltsam übers Essen schreiben kann. „Nutriculinary“ ging 2008 an den Start, heute lesen rund 30.000 Foodverrückte, Gourmets und Gastronomen das Blog, in dem sich kulinarische Gedichte, Kochbuchkritiken sowie die Historie von Pasta aus feuergeröstetem Weizen finden. „Mich interessieren Produkte, die eine tolle Geschichte erzählen“, sagt Paul. Rezepte stellt er bewusst nur vereinzelt ein. Und bedauert, dass esspolitische Themen (Ist Bio wirklich besser?) nur selten gelesen werden.

Kochblogs sind die Visitenkarte der (größtenteils weiblichen) Blogger. Unentbehrlicher Teil eines essfixierten Gesamtkunstwerks. „Nutriculinary“-Macher Paul generiert über das Blog seine Aufträge; Anzeigenkunden wollen hier ihre Werbung schalten. Paul hat sich für einen einzigen Werbebutton auf der Seite entschieden. Mit den Einnahmen deckt er seine Serverkosten. Auch Bloggerin Dittloff hat ihren Job bei einer PR-Agentur aufgegeben und sich selbstständig gemacht. Sie kreiert Rezepte für einen Mehlhersteller, textet für das Kundenmagazin einer großen Supermarktkette und gründet gerade ihre eigene Agentur. Rund sieben Stunden pro Rezepte-Eintrag kostet darüber hinaus das Blog. Was hinterher hübsch aussieht, macht im Vorfeld viel Arbeit.

„Immer wieder bin ich aufgefordert zu erklären, was genau eigentlich Foodblogger sind. Ich antworte dann stets wahrheitsgemäß: keine Ahnung! Je länger ich selbst dabei bin, umso mehr verschwimmt das Bild, Foodblogger sind längst keine fassbare Einheit mehr und waren nie ein homogenes Grüppchen – Foodblogger eint ihr Thema: die Freude am Kochen, die Freude am Genuss“, schreibt Stevan Paul. Wegzudenken sind sie jedenfalls nicht mehr.