Harburg, Phoenix, Hochzeitsgesellschaften und Pubertätsprobleme. Heinz Strunks Buch avancierte wegen seiner schonungslosen Liebe zum Detail zum Kultroman - mit Film, Musical und Grillschürze. Birgit Reuther über “Fleisch ist mein Gemüse“.

Als menschliche Variante eines ausgestopften Hirschkopfs hängt Heinz Strunk in der Verfilmung seines Bestsellers "Fleisch ist mein Gemüse" an der Wand. Und wie der Autor da von der Brust an aufwärts aus der Tapete ragt und mit fisteliger Stimme sein fiktional überhöhtes Leben auf der Leinwand kommentiert, das komprimiert bereits aufs Feinste die großartige Hanswurstigkeit dieses Stoffes, dieser "Landjugend mit Musik".

Tristesse und Absurdität des Anti-Helden Heinz, seines Zeichens Saxofonist der Tanzkapelle Tiffanys, verzahnen sich zwischen Schützenfesten und Star-Sehnsüchten, Party und Pathologischem, Not der Pubertät und Krankheit der Mutter - und das alles zwischen 1985 und 1997. Dass der Protagonist ausgerechnet in den ritualgeschwängerten Soziotopen der Dorffeste und Hochzeitsfeiern in Moorwerder, Klein Eilstorf und Brunsbüttel eine Flucht aus der Enge seiner Reihenhaussiedlung sucht, ist nicht das einzige pointierte Paradoxon des Romans. Strunk erfreut sich an der Heimeligkeit von Klischees und entlarvt sie zugleich. Doch nicht nur für ehemals Pubertätsgeplagte, die die 80er-Jahre auf dem Land er- und durchlebt haben, ist "Fleisch ist mein Gemüse" ein Lesevergnügen. Denn der Roman erzählt von universellen Themen wie Erwachsenwerden, Einsamkeit und dem Ringen um Liebe. Und wie alle Bücher, die das Menschliche auch über den Ekel zeigen (vergleiche Charlotte Roches "Feuchtgebiete"), ist die Geschichte letztlich eine tieftraurige. Aber: "Ich wollte das Depressive nicht eins zu eins abbilden - weder so Judith-Hermann-mäßig, im Geiste deutscher Gegenwartsliteratur, noch im Sinne eines Pop-Romans", erzählte Strunk 2004, als der Roman erschien, dem Hamburger Abendblatt.

Sein größtes Verdienst ist es daher, dass er so griffige Formulierungen wie "Aknehörner", "Fünfmannmucken", "Rotzkanne", "Eihunger", "Souvlakisonntag", "sexueller Bodensatz" und "Bumsgasthaus" in die Welt der Prosa einführte. Zudem hat der 1962 in Harburg geborene Strunk mit seiner autobiografisch gefärbten Versager-Story seine Heimat auf der literarischen Landkarte verankert. Den Phoenix-Gummiwerken, "dem weithin sichtbaren Wahrzeichen Harburgs", wurde mit der Operetten-Version von "Fleisch ist mein Gemüse" ein Denkmal gesetzt. In "Phoenix - wem gehört das Licht", das 2005 am Schauspielhaus Premiere hatte, mimte Strunk seine eigene Mutter. Das Singspiel ist ein Baustein aus einer Kette an Zweit-, Dritt- und Nebenverwertungen, die der Erfolg des Romans nach sich zieht. "Fleisch ist mein Gemüse"-Memorabilia vom Schlager-Soundtrack bis zur Grillschürze gehören mittlerweile zum Angebot von Hamburger Szene-Läden. Die Bedeutung seines Heimat-Stadtteils "am falschen, dem südlichen Ufer der Elbe" subsumiert der Ich-Erzähler wie folgt: "Es gibt Orte, die sollte man früh verlassen, wenn man noch etwas vorhat im Leben."

Strunk hat den Sprung über die Elbe geschafft und zog nach Winterhude. Obwohl der klassisch ausgebildete Musiker selbst einst im Studio für Howard Carpendale und Michy Reincke die Background-Beschallung lieferte, hat er sich aus dem toten Winkel der Dienstleistungsmusik herausmanövriert. Nicht nur mental, indem er seine Geschichte als "eine Art Beschäftigungstherapie" nach seinem 40. Geburtstag aufschrieb. Sondern auch optisch, indem er sich vom Pickelface zum Dandy wandelte. Auf der Premierenparty zum "Fleisch ist mein Gemüse"-Film lehnte Strunk, das graue Haar gestylt, im Anzug mit Sonnenbrille am Tresen, während auf der Bühne ein Tiffanys-Aufguss in den alten Pink-Panther-Sakkos "Hello Dolly" und "An der Nordseeküste" intonierte. Die Stanzen von Bandleader Gurki sind längst zu geflügelten Worten des Partysmalltalk avanciert: "Jaaa, liebe Freunde! Swingtime is good time, good time is better time."

Doch der Witz brüllt den Leser in "Fleisch ist mein Gemüse" nicht immer so an wie dieser miniplifrisierte Gute-Laune-Kasper. Den teils bis zur Unkenntlichkeit heruntergedimmten Humor fand Strunk in selbst produzierten Songs und Hörspielen, vor allem aber bei dem Telefonscherz-Trio Studio-Braun. Rocko Schamoni, Jacques Palminger und er zwangsphilosophierten mit spontan angerufenen Menschen über Mariacron-Werbung und Flippers-Karten. Die Namen der Humor-Aktivisten - alles Pseudonyme. Heinz Strunk, eine Kunstfigur.

Unter seinem bürgerlichen Namen Mathias Halfpape kandidierte er bei der Hamburger Bürgerschaftswahl 2008 als Spitzenkandidat für Die Partei. Heinz Strunk als Bürgermeister? Warum auch bescheiden sein. Wie heißt es so schön in "Fleisch ist mein Gemüse": "Der Mensch ist kein Beilagenesser."