Hamburg. Waren Sie heute schon bei Ihrer Bank? Oder will sich der Anlageberater sogar persönlich mit Ihnen treffen? Dann lieber erst mal abwarten.
Manche Kunden sind auf solche Leute gar nicht mehr gut zu sprechen. Alfred, Manfred und Bernie etwa. Ihr Banker hat die drei Rentner um ihre Ersparnisse gebracht. Alfred (Olaf Kreutzenbeck), ehemaliger Gemüsehändler, zeigt seinen Leidensgenossen die Alternativen auf: „Dagegen klagen oder sich damit abfinden!“ Oder doch den dritten — illegalen — Weg wählen und den Anlageberater kidnappen, um sich das Geld von ihm zurückzuholen?
Mit Alfreds Waldhütte, ein kurz vor Abriss stehendes Häuschen im Grünen, ist der Ort für „Die Geiselnahme“ gefunden. Dort hecken die drei „D & A“-Kunden — das „D“ steht für doof, das „A“ für alt — bei Bier und Schnaps den Rache-Coup aus. Doch andere sind schneller: Derweil die Alten noch ihren Rausch ausschlafen, lässt der ebenfalls betrogene Zuhälter Ronaldo (Tim Grobe) sein bestes Pferd im Stall namens Alicia (Alexandra Kamp) den Banker Mönchmeier (Dietmar Horcicka) in einer Schubkarre hereinbringen. Eingerollt in einen Teppich, gefesselt und geknebelt. Und mit dem Auftauchen des Pärchens vom Kiez gewinnt die anfangs recht betuliche „Geiselnahme“ spürbar an Tempo, sehr zur Freude der Premierenbesucher in den Kammerspielen.
Eine satirische Wirtschaftskomödie hat Hans Scheibner zu seinem 60. Autorenjubiläum mit der „Geiselnahme“ geschrieben. Und die Rache des kleinen Mannes, sie hat an diesem Abend gleich mehrere Gesichter, das lustigste in Publikumsliebling Tim Grobe: Der Lude flucht, tobt („Haben die Nutten jetzt auch schon Burn-out?“) und droht. Um nicht völlig auszurasten, lässt er sich von seiner Dirne sicherheitshalber neben der Geisel am Pfosten festbinden, entpuppt sich hinter seiner dunklen Sonnenbrille aber alsbald als recht unterbelichtet. Denn bei der Online-Rückabwicklung des Geschäfts in sechsstelliger Höhe erweist sich Alicia mit PIN und TAN als deutlich cleverer als ihr „Muckel“.
Das Spiel wird immer absurder, teils sogar anarchisch, ohne jedoch in völligen Klamauk auszuarten. Regisseur Hanns Christian Müller lässt den immer noch am Pfosten gefesselten Banker mit den drei Rentnern etwa Scheibners Lied zum Thema „Vertrauen“ singen. Der Anlageberater holt sich im wahrsten Sinne des Wortes eine blutige Nase. Doch nachdem er sich seiner Fesseln entledigt hat, versucht er sogleich, seine Geiselnehmer einzuwickeln, um sie am Laptop zum Kauf von Derivaten und zum sogenannten Leerverkauf von Weizen in Millionenhöhe zu bewegen. Banker-Darsteller Horcicka kann so nicht nur seiner Rolle ungeahnte Konturen geben. Auch das Bild, wie sich Anlageberater und Zuhälter annähern, um erneut miteinander ins Geschäft zu kommen, spricht Bände.
„Wo ist eigentlich die Nutte?“, fragt sich Ronaldo schließlich. Als solche ist Alexandra Kamp mit dem alten Manfred (Detlef Heydorn) und dem Luden-Geld zwar nach Mallorca durchgebrannt. Als eine Art Kassandra, vielmehr als Rachegöttin („Ich bin das Ende!“), taucht sie indes wieder auf. Die Banken wanken, und die Waldhütte, von Beatrice von Bomhard (Ausstattung) als stimmige Kulisse eingerichtet, droht in sich zusammenzustürzen. Doch auch bei der „Geiselnahme“ gibt es noch Zeichen und Wunder — Brechts „Dreigroschenoper“ lässt grüßen. Ist ja in diesem Fall alles nur Theater.
„Die Geiselnahme“ 4.7.–21.7., Do/Fr/Sa, 20 Uhr, So 19 Uhr, Kammerspiele, Hartungstr. 9–11, Karten: T. 4133440; www.hamburger-kammerspiele.de
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