Sänger Charles Bradley kommt auf den Kiez. Seine Auftritte sind keine bloßen Konzerte. Sondern Musik gewordene Lebenserfahrung, Erweckungserlebnisse.

Als Charles Bradley vergangenen August im Gruenspan auftrat, war die Menge im restlos ausverkauften Saal von Anfang an nass geschwitzt. Draußen Sommer, drinnen Euphorie. Konzerte des Funk- und Soulsängers, der 1948 in Florida geboren wurde, sind keine bloße Frontalbeschallung von der Bühne herab. Sie sind Fleisch und Musik gewordene Lebenserfahrung. Eine Mark und Knochen bewegende Lektion, wie sich Schmerz, Zweifel und Liebe in Songs und Performance umwandeln lassen. Und nicht zuletzt sind Bradleys Shows ein großer Dialog mit dem Publikum. Nicht umsonst nennt sich der Mann „Der schreiende Adler des Soul“. Denn seinen Gesang scheint er aus den tiefsten Tiefen seiner Seele auszustoßen. Zugleich hebt er sich mithilfe der Musik über erlebtes Leid hinweg.

Vor 50 Jahren hatte Bradley sein musikalisches Erweckungserlebnis im legendären Apollo-Theater in Harlem, als er James Brown live sah. Es sollte jedoch bis 2011 dauern, bis Bradley seinen Durchbruch feiern konnte. In jenem Jahr veröffentlichte das Brooklyner Label Daptone Records, das sich der Pflege des alten, erdigen Soul verschrieben hat, das Album „No Time For Dreaming“. Auf der Platte verarbeitete Bradley Stationen und Emotionen seines Lebens. Als Teenager von zu Hause ausgerissen. Quer durch die USA gereist. Sich mit kleinen Jobs durchgeschlagen. Die Mitglieder seiner ersten Band für den Vietnam-Krieg einberufen. Sein Bruder ermordet. Bradley selbst starb fast aufgrund einer Penicillin-Allergie.

In den 90er-Jahren kehrte er zu seiner Mutter nach New York zurück und trat unter dem Namen „Black Velvet“ als James-Brown-Imitator auf, wobei ihn Daptone entdeckte. Die engagierte Plattenfirma publizierte im April auch sein zweites Album „Victim Of Love“.

Vor Kurzem kehrte der Soul-Veteran ins Apollo-Theater zurück. „Die Bühne ist meine Heimat“, sagte er im Anschluss. Ein Satz, der bei vielen Künstlern wie eine Floskel klingt, bei Bradley jedoch durch und durch glaubhaft ist. Am Mittwoch kommt er nun erneut ins Gruenspan. Und Musikfans sollten sich das seelenvolle Spektakel nicht entgehen lassen. Nicht zuletzt wegen der grandiosen Bühnenanzüge, die Bradley vorzuführen pflegt. Im vergangenen Jahr umarmte der Sänger am Ende seines Hamburg-Konzerts viele glücklich strahlende Menschen. Tränen standen ihm in den Augen angesichts der Zuneigung, die ihm die Fans entgegenbrachten. Ob Bühnenschweiß oder Publikumsschweiß war da längst egal.

Charles Bradley Mi 19.6., Einlass: 19.00, Gruenspan (S Reeperbahn), Große Freiheit 58, Eintritt: 25,- zzgl. Gebühren; thecharlesbradley.com