Der Bargteheider Dietrich von Horn erzählt in seinem zweiten Roman vom Aufwachsen im Nachkriegsdeutschland. Ein Buch, das man auch eine „Stakkato-Autobiografie“ nennen könnte.

Hamburg. Glück, stellt der Erzähler beim zärtlichen Blick in die Vergangenheit fest, Glück war es, „an einem warmen Sommertag am Ostseestrand den Nachmittag ereignislos verstreichen zu lassen“.

Ist das nicht immer noch so? Das Paradies auf Erden: das süße Nichtstun , bei dem einem die Sonne auf den Pansen scheint. Nun interessiert den Autor des Buches „Immer is’ was“ nicht wirklich, was denn so grundsätzlich wichtig, wünschenswert und glücksversprechend ist. Nein, es geht ihm nur um den Menschen, der er einstmals war, und deswegen taucht er tief ein in die fernen Gestade der Kindheit, der Jugend und der jungen Jahre eines Mannes, der in Schleswig-Holstein aufwächst und seine Sozialisation und biografische Prägung in der Nachkriegszeit erfährt. Eine Jugend in Eckernförde, so könnte Dietrich von Horns Buch auch heißen.

Ein Buch, das man auch eine „Stakkato-Autobiografie“ nennen könnte. Von Horn pflegt einen Erzählstil des miniaturhaften Collagierens, wie er ihn bereits in seinem Debüt „Aber sonst ist eigentlich nicht viel passiert“ ins Werk setzte. Die lakonisch formulierte Episode ist sein Markenzeichen. Der pensionierte Bargteheider Hauptschullehrer von Horn gewann Anfang 2012 den Romanwettbewerb des Abendblatts („Das Abendblatt sucht den besten unveröffentlichten norddeutschen Roman“) und krönte damit seine späte Berufung zum Autor. Erzählte von Horn im Erstling noch vom skurrilen Alltagsverhalten größtenteils niedlicher Vorstädter, findet er jetzt seinen Stoff in der eigenen Vita. Und auch das gelingt vortrefflich – sieht man mal von dem ein oder anderen Kalauer zu viel ab, mit dem die Figuren dieser stark gerafften Lebensbeschreibung das einordnen, was da laut Buchtitel eben „immer is’“.

Der pensionierte Lehrer gewann 2012 den Romanwettbewerb des Abendblatts

Der 1944 geborene Erzähler wächst mit seinem älteren Bruder bei der alleinerziehenden Mutter auf, eigentlich lebt die Familie in Berlin. Der Vater unternimmt, bevor er im Krieg fällt, eine letzte Handlung als Familienoberhaupt und weist die Mutter an, vor den drohenden Bombenangriffen nach Dresden zu fliehen. Eine Kulturstadt sei das, ohne Industrie, da werde man vor den alliierten Bombern sicher sein. Wie die Geschichte lehrt, war dem nicht so. Weshalb die Unbotmäßigkeit der hochschwangeren Mutter dem Erzähler das Leben rettete: Sie ging nach Norddeutschland, nicht nach Dresden, weil sie nicht wollte – auf keinen Fall – dass ihre Kinder Dialekt sprachen. „So bin ich wahrscheinlich der einzige Mensch auf Erden, der dem Sächsischen sein Leben verdankt“, resümiert von Horn. Eine gute Pointe.

Überhaupt, die Mutter: Sie ist der Gegen- und Mitspieler des Heranwachsenden, und sie hat es nicht leicht mit diesem Zeitgenossen, der mit staunenden Augen die Welt betrachtet. „‚Warum heißt der denn Nordstern?‘ ‚Na, weil er immer im Norden steht.’ ‚Und warum steht der immer im Norden?‘ ‚Oh Junge, frag nicht so viel. Du machst einen ja ganz meschugge.‘ ‚Wenn man am letzten Stern vorbeigeflogen ist, was kommt dann?‘ ‚ Nichts!‘ ‚Nichts? Nichts ist doch auch was.‘ ‚Das stört einen großen Geist nicht, und einen kleinen geht’s nichts an‘, sagte Mutter.“

Launisch hurtet der Erzähler durch die Jahre, er macht die Ellipse zum Prinzip und packt die Zeit doch ungeniert am Schlafittchen. „Das ist ja hier ein Krach wie in einer Judenschule“, blökt sein Mathelehrer. Von Horn lässt solche mentalitätsgeschichtlich aussagekräftigen Szenen unkommentiert stehen, seine Hauptfigur ist ein sensibler und immer nur halb beteiligter Beobachter, der doch ein typischer Repräsentant seiner Generation ist. Ein neues Beatles-Album ist auch in Eckernförde ein Ereignis. Zum „Love&Peace“-Festival nach Fehmarn fährt der junge Dietrich im Jahr 1970 genau so selbstverständlich, wie er wechselnde Liebeleien anbahnt und aufgibt. Als er eine Freundin besucht, pennt er wegen deren strenger Vermieterin im Auto.

Und als 1967 einige Tage nach dem Mord an Benno Ohnesorg auf der Anti-Schah-Demonstration in Berlin Kanzler Kiesinger in Eckernförde aufschlägt, wird der mit „Mörder, Mörder“-Rufen bedacht. Diesmal benutzt kein Polizist seine Waffe: „Manchmal ist die Provinz eben doch gelassener als die Metropole“. Dietrich von Horn gelingt es in diesem trotzigen und selbstironischen Bildungsroman, zugleich vom Aufruhr des Privaten als auch von der deutschen Geschichte zu erzählen. Am Ende von „Immer is’ was“ ist der Held Lehrer in Bargteheide. Ein zu laxer, wie sein autoritärer Direktor immer wieder moniert. Bei den Frauen kommt er besser an: Prinz Eisenherz gewinnt das Herz seiner goldhaarigen Königin des Lichts, weil der „in Norderstedt zu langweilig ist“.

Dietrich von Horn: „Immer is’ was“ Verlag Ch. Schroer. 155 S., 16,99 €