Theresita Colloredo hat mit David Gravenhorst das Libretto zur Oper „Vom Ende der Unschuld“ verfasst, die als Auftragswerk des 34. Kirchentags am 2. Mai in Hamburg ihre Uraufführung erlebt.

Hamburg. Wer sich mit der Sprach- und Theaterkünstlerin Theresita Colloredo zu einem Gespräch verabreden möchte und von ihr zwecks Terminabstimmung eine Visitenkarte in die Hand gedrückt bekommt, der glaubt im ersten Moment, sie habe sich womöglich in ihrer Handtasche vergriffen und anstelle ihrer eigenen versehentlich eine Karte herausgeholt, die sie selbst von jemand anderem bekommen hat. Denn statt einer womöglich mit Familienwappen verzierten Visitenkarte mit dem schön aufrauschend altadlig klingenden achtsilbigen Namen Theresita Colloredo in Goldprägedruck liest man in zarten, roten Buchstaben nur zwei schlichte Wörter: Sita Lieben.

Sita – das erschließt sich rasch als Kurzform des Vornamens. Aber Lieben? Da beides in Großbuchstaben dasteht, könnte man die auf der Rückseite unbedruckte Karte für einen Akt verknappter schriftlicher Performance halten und das zweite Wort als Imperativ lesen: Sita lieben. Amüsanter Gedanke, dass jemand umhergeht und auf diese etwas strenge Weise um Zuneigung ersucht. Aber natürlich Quatsch. Lieben ist der Familienname, Theresita Colloredo trägt ihn seit ihrer Heirat 1996 mit einem gewissen Christoph Lieben-Seutter, den ihm Näherstehende auch alle nur Lieben nennen.

Bislang war Sita Lieben in Hamburg allenfalls als gelegentliche Begleiterin ihres Mannes, des Generalintendanten der Elbphilharmonie, bei offiziellen Anlässen oder Konzerten in der Öffentlichkeit zu erleben. Jetzt richtet sich das allgemeine Interesse auf sie selbst, genauer: auf ihr Alter Ego Theresita Colloredo. Denn als diese hat sie gemeinsam mit dem Schauspielkollegen und Autor David Gravenhorst das Libretto zur Oper „Vom Ende der Unschuld“ verfasst, die als Auftragswerk des 34. Deutschen Evangelischen Kirchentags am 2. Mai in Hamburg ihre Uraufführung erlebt.

Dass Frau Colloredo nicht aus Hamburg stammt, teilt sich in ihrer sanft wienerisch eingefärbten Sprachmelodie mit, auch in einem Wort, das gleich im ersten Satz des Gesprächs in einer Sonnenstunde auf Bodos Bootssteg an der Alster fällt. Sie spricht von ihrem Auftrag beim „heurigen Kirchentag“, was kurz an österreichischen Wein denken lässt, aber nur diesjährig meint. Ihr Schreib-Partner David Gravenhorst gehört der Kulturabteilung des Kirchentags an, und als im Kirchentagspräsidenten Gerhard Robbers die Idee heranreifte, eine Oper in Auftrag zu geben – Robbers dachte ursprünglich gar an so etwas wie „Tommy“ von der Rockband The Who –, kam Gravenhorst mit dem Vorschlag, er könne das Libretto gemeinsam mit Frau Colloredo verfassen. Denn die hat bereits die Texte zu drei Kinderopern der österreichischen Komponistin Elisabeth Naske geschrieben und arbeitet gerade an einer gemeinsamen vierten Oper.

Manchmal zwei Wochen an einem Satz gesessen

Wie geht das, Schreiben zu zweit, zu einer Musik, die es noch nicht gibt? „Wir haben uns zweimal die Woche getroffen und Wort für Wort alles, was jeder für sich zu Hause geschrieben hatte, auseinandergenommen“, erzählt Frau Colloredo. „Manchmal haben wir zwei Wochen lang an einem einzigen Satz gesessen, bis wir am zwingenden Wortlaut angekommen waren.“ Dieser sprachliche Rigorismus imponiert, und Colloredo kann seine Notwendigkeit gut erklären. Denn die Geschichte, die die Oper verhandelt, bezieht sich wohl auf „Motive aus dem Leben und Denken des deutschen Theologen und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer (1906–1945)“, wie es im Untertitel der Oper heißt. Bonhoeffer selbst aber kommt als Figur nicht vor.

„Wir haben uns Fixpunkte aus seinem Leben herausgegriffen, die dramatisch interessant sind“, sagt die Librettistin. Die Frage war dann: Welche Figuren braucht man, um zu diesen Konstellationen zu gelangen? Bald habe sich die Beziehung zwischen einer Bonhoeffer nachempfundenen Figur namens Heman und seiner Schwester Germa als Gravitationszentrum der zu erfindenden Geschichte herauskristallisiert. „Anhand dieser Personen sind die anderen überprüfbar. Und wenn die Personen stimmen, dann haben sie auch ihre eigene Sprache.“ Womit Theresita Colloredo den hart erarbeiteten Zauber benennt, der, wenn er will, Bühnen- und Romanautoren bei der Konstruktion ihrer Erfindungen zu Hilfe kommt: Dass irgendwann die Figuren sich selbst zu schreiben beginnen, das Reißbrett der Ideen und Haltungen, die sie verkörpern, verlassen, und zu nachfühlbaren Identitäten aus Fleisch und Blut werden.

Nach dem Abitur in New York Straßenarbeit gemacht

Doch wie die meisten Autoren als Alleinbrüterin still im Kämmerlein vor sich hin zu dichten, das kann und will Theresita Colloredo nicht. „Das Gegenüber wird immer wichtiger“, sagt sie. Dabei hatte alles in ihrem Leben bislang ein Gegenüber. Nach dem Abitur war sie ein Jahr lang in New York und hat unter der Anleitung eines Franziskanerpaters Straßenarbeit gemacht. Später studierte sie in Wien Sozialarbeit, dann war sie auf einer Schauspielschule, wo sie jeden Freitag ein kleines Dramolett abliefern musste, was Schreiblust und -fähigkeit in ihr erweckte.

„Das hat mich dramaturgisch mehr geschult, als ich dachte.“ Nach einer weiteren Ausbildung half sie in Krankenhäusern als Clown die Laune der Kranken, manchmal Todkranken zu heben. „Mein perfektester Job“, sagt sie. Aber als sie ihr zweites Kind bekam, konnte sie nicht mehr genügend vom Leid der kranken Kinder abstrahieren, was man muss, will man ihnen einen Moment Unbeschwertheit schenken. Nun studierte Theresita Colloredo noch Germanistik: „Das hat meinen Geschmack entwickelt“, sagt sie.

„Hauptberuflich bin ich bei meiner Familie“

Den Wechsel von Wien nach Hamburg 2007 fand Theresita Colloredo, inzwischen Mutter dreier Töchter, „super. Ich wollte Veränderung. Den Kindern haben wir das zugetraut. Ich habe hier Verwandte und wusste, dass mir die Stadt gefallen würde. Und mein Mann war begeistert von dem Job. Das wollte ich nicht bremsen.“ Dass ihr Mann seit Jahren von einer fundamentalen Widrigkeit gebremst wird, weil der ihm zugedachte Arbeitsplatz, die Elbphilharmonie, nicht fertig werden will, hat die Hierseinsfreude offensichtlich kaum schmälern können.

Muss sie ihn trösten, wenn er mal so richtig frustriert ist über die jahrelange Verzögerung der Bauarbeiten und das ganze Hickhack? „Nein, das macht er schon selber.“ Sie seien ein gutes Team, sagt Theresita Colloredo, die in jedem Moment des Gesprächs keine andere war als Sita Lieben; die freundliche, prüfende, warmherzige, kluge Gefährtin eines wichtigen Mannes in der Stadt, die sich die Freiheit nimmt, als Frau an seiner Seite ein erfüllendes künstlerisches Eigenleben zu führen. Und der man zugleich aufs Wort glaubt wenn sie sagt: „Hauptberuflich bin ich bei meiner Familie.“