Reggae-Barock und Jazz: Mit allzu leichtgewichtigem Trio geigt Nigel Kennedy in der Laeiszhalle. Noch bevor er den ersten Ton spielte, stieg die Sympathietemperatur im übersichtlich gefüllten Saal.

Hamburg. Dieser süße kleine Mann mit der Ananasfrisur, er ist wirklich nicht zu fassen. Er wankt auf die Bühne mit dem Schritt eines Seemanns, der nach Wochen auf dem Schiff erstmals festen Boden unter die Bühne bekommt. Die Geige baumelt von der Linken, die rechte Hand ballt er zur weichen Faust und wirft sie in einer sonderbaren Flugbahn ins Publikum. Es sieht aus wie torkeliges Wohnzimmerkugelstoßen.

Das wird Nigel Kennedy an diesem langen Abend ungefähr hundertmal tun. Nach jedem Song aufs Neue, immer wieder. Und vorher drückt er die Faust sacht an die ebenfalls zu Fäusten geballten Hände seiner drei Mitspieler. „Fist bump“ nennen Baseballspieler diese Geste, sie soll ein Respektbeweis sein. Obama, weiß Wikipedia, benutzt sie auch.

Noch bevor Kennedy den ersten Ton gespielt hat, steigt die Sympathietemperatur im übersichtlich gefüllten großen Saal der Laeiszhalle um die entscheidenden paar Grad, die es braucht, um aus einer künstlerischen Darbietung in der Öffentlichkeit ein Gemeinschaftserlebnis für alle zu machen. Kennedy scherzt und flirtet mit dem Publikum, sein Bonvivant-Gesicht strahlt vor Freude und Vergnügen. Und dann spielt er. Bach, so war es angekündigt, in der ersten Konzerthälfte, anschließend Material um und bei Fats Waller. Beim Präludium zur Partita E-Dur BWV 1006 treibt Kennedy sich mit stampfenden Füßen ins gewünschte Tempo. Wenn er spielt, schließt er die Augen, und legt den Kopf auf der Geige ab wie auf einem Ruhekissen. Das sieht hingebungsvoll aus, nach Einssein mit dem Instrument. Wie im Jazz kommt als drittes Solostück die Ballade, hier ist es das Andante aus der Sonate Nr. 2 a-Moll. Ein durchgehend mehrstimmig angelegtes Stück, dessen Doppelgriffe Kennedy sauber spielt, auch die Stimmverläufe hält er klar auseinander. Den ganzen Satz streicht er ätherisch zart, und die Zuhörer lauschen ihm mucksmäuschenstill. Im Klassikkonzert würden sie bestimmt husten.

Zwischen den Sonatensätzen jammt er wenig erheblich mit seinen Kumpels an Bass, Snare Drum und Akustikgitarre. Erst das Allegro aus der Sonate Nr. 2 spielen sie dann als arrangierte Quartettnummer zusammen, als sei’s ein Reggae. Bach mit Rastazöpfen, das geht in Ordnung. Doch obwohl Plexiglaswände die Musiker auch akustisch eng aneinanderrücken lassen, ist das minimalistische Set-up des guten Wenigen zu viel. Der Sound ist zu dünn. Bald vermisst man den hellen Klang eines Beckens, dem Bass fehlt es an Punch, vor allem hat der Gitarrist Rolf Bussalb unverstärkt zu wenig Tonsubstanz, als dass er Kennedy klanglich Paroli bieten könnte. Und seine solistischen Einfallsreserven sind leider schneller erschöpft, als der Abend lang ist.

Durch die Jazznummern („How Can You Face Me Now?“, „Viper’s Drag“ oder, etwas lahm arrangiert, „Take Five“) swingt Kennedy sich mit Verve, da ist nichts eckig oder hüftsteif nach Klassikerart. Umso mehr wünscht man ihm solistisch potentere Partner. Diese Tourband besteht aus Wasserträgern.

Doch die Leute lieben Nigel, weil Nigel die Leute liebt. Er kann kalauern, sich in einem Witz verzetteln, alles egal. Er spricht in einem auf halbes Tempo gedrosselten Englisch, damit es auch möglichst jeder versteht. Er gibt Liebeserklärungen an Hamburg und an den FC St. Pauli ab, an drei der Damen in der ersten Reihe. Der Abend wird lang und länger. Doch in all dem Allotria liebt Nigel Kennedy seine Geige gottlob immer noch am allermeisten. Riesenjubel.