Das Drama der Familie: Taiye Selasis Roman gilt zu Recht als sensationelles Debüt. Am Sonnabend liest die Autorin in Hamburg. Autorin wurde von Toni Morrison entdeckt.

Hamburg. Zwei Eltern aus Afrika, der Vater ein hochbegabter Chirurg aus Ghana, die Mutter aus Nigeria, vier schöne, talentierte Kinder, die in den USA aufwachsen – um diese Menschen dreht sich Taiye Selasis Debüt – „Diese Dinge geschehen einfach so“. Es ist ein betörend schön geschriebener Roman über eine Familie, die ein gemeinsames Schicksal zusammenrücken lässt und die von schrecklichen Verletzungen auseinander gesprengt wird. Eine Familie, mit der wir mitleben, mitfiebern, mitleiden, so wie mit allen großen Familien der Weltliteratur. Eine Familie, in der man einander lieben will, aber es nicht immer schafft. In der man die besten Absichten hat und doch so vieles falsch macht.

Wohin gehören wir? Wo fühlt man sich zu Hause? Reichen Bildung, Fleiß und Können, um in einer fremden Kultur zu reüssieren? Solche Fragen stehen im Mittelpunkt von Taiye Selasis Roman, der als literarische Sensation gehandelt wird und gleichzeitig in 15 Ländern erscheint. Diesen Menschen geht es darum, ihre Identität aus verschiedenen Quellen zu erfinden. Manches gelingt, vieles scheitert an alten Machtansprüchen, Konkurrenzverhältnissen und Ideologien. Zählen Kategorien wie schwarz und weiß noch in einer globalisierten Welt? Wie funktionieren Demütigung und soziale Ausgrenzung heute?

Die Autorin, die ihr Alter nicht nennt (sie soll 33 Jahre alt sein), wurde von Toni Morrison entdeckt, der Literaturnobelpreisträgerin. Selasi ist selbst eine Weltbürgerin, so wie ihre Romanhelden. In London geboren und in den USA aufgewachsen, lebt die Tochter zweier Ärzte aus Ghana und Nigeria, die eine Zwillingsschwester hat, heute in Rom. Sie hat Jugendjahre in der Schweiz und in Spanien verbracht, Latein, klassische Musik und Internationale Beziehungen an Elite-Universitäten studiert, spricht einige lebende Sprachen, spielt Cello und Klavier.

In dieser Welt des gehobenen Bürgertums spielt auch ihr Roman, der uns mühelos zwischen Boston und Accra hin und her führt, uns teilhaben lässt, am amerikanischen Krankenhausalltag, an den Mythen der Yoruba, am Geschmack von Essen, an Hitze, Missbrauch, Geschwisterliebe und -hass, an falschen Wohngegenden und hässlichen Anschuldigungen, kurz, an allem, was das Leben aufregend und abwechslungsreich macht. Selasi schildert dieses Leben in so reichen Tönen, mit so viel Detailreichtum, aber auch Härte, dass man unweigerlich beim Lesen in die Familiengeschichte hineinschlüpft und kaum wieder von ihr lassen kann. Sie bietet viele unterschiedliche Identifikationsfiguren – und das, obwohl diese polyglotten, flexiblen Heimatlosen scheinbar so wenig mit uns, die wir in einem Land leben, in dem man sich über die doppelte Staatsbürgerschaft Gedanken macht, gemeinsam haben.

Taiye Selasis Roman beginnt mit dem Tod von Kwaku Sai, einem Ausnahme-Chirurgen aus Ghana, dessen Vater noch in einer Buschhütte lebte. Kwaku macht an der amerikanischen Ostküste Karriere, seine Frau Fola ist seine große Liebe. Fola stammt aus Nigeria, hatte eine weiße Großmutter und einen Vater, der sie abgöttisch liebte, aber das Leben nahm keine gute Wendung. Fola lässt ihr Elite-Studium an einer US-Uni sausen, hat mit Kwaku vier Kinder – Olu, der älteste ist ernst, verantwortungsvoll und wird später ein ebenso erfolgreicher Chirurg wie sein Vater werden. Kehinde und Taiwo sind das super schöne, super begabte Zwillingspärchen, von denen der Bruder, Kehinde, ein berühmter Künstler wird, der irgendwann auch versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden und Taiwo, die Schwester, ihre sich glänzend anbahnende Karriere aufgibt, um ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann anzufangen. Taiwo hat so viel Wut in sich. Anders die Nachzüglerin Sadie, die unter Bulimie leidet, von der Mutter verhätschelt wird, sich aber lieber der Familie ihrer weißen Oberklasse-Freundin anschließt.

Als die Kinder noch klein sind, ist es eine Vorzeige-Familie, in der jeder sein Bestes gibt. Doch dann wird Kwaku genötigt, eine alte Frau zu operieren, die man eigentlich nicht mehr retten kann. Und ihre Familie, die seinem Krankenhaus sehr viel Geld spendet, verlangt ein Opfer. Das Opfer ist Kwaku. Und in Folge dann seine Familie. Der Vater verlässt sie aus Scham, will bald darauf zurückkehren, aber es ist zu spät. Die stolze Fola hat schon den Haushalt aufgelöst und ist weggezogen. Irgendwann geht Kwaku nach Afrika zurück. Frau und Kinder leiden ihr Leben lang unter dem Verlust des alten Lebens.

Der Roman beginnt mit der Schilderung von Kwakus Tod, früh am Morgen in seinem afrikanischen Haus. Man lernt schnell, dass auch er den Verlust seiner Familie nie überwunden hat. „Sechzehn Jahre später steht er nach vorn gekrümmt da, die Hände auf den Knien, die nackten Füße im Gras, halb keuchend, halb lachend über das, was passiert ist, wie es passiert ist: Das gebrochene Herz, vor dem er weggelaufen ist, hat ihn eingeholt. Endlich.“

Der zweite Teil schildert, wie Kinder und Mutter, die nach einem Streit mit Sadie ebenfalls nach Ghana gegangen ist, wieder zusammenkommen. All die Verletzungen, die man sich zugefügt hat, all die Unzulänglichkeiten, mit denen man sich arrangieren muss, sie fließen erzählerisch in das Wiedersehen ein. Kehinde und Taiwo, die einst symbiotisch verbundenen Zwillinge, sind durch einen finsteren nigerianischen Onkel so sehr traumatisiert und einander entfremdet worden, dass Kehinde, der ein berühmter Künstler wurde, lebensuntüchtig ist und Taiwo, die Hochbegabte, alles sausen lässt, was ihr Sicherheit bietet.

Das erzählt Selasi mit ebenso viel Gefühl für Genauigkeit und Strenge wie das Schicksal Olus, des Ältesten, der immer Verantwortung zeigen wollte und der dabei verlernt hat, zu lieben. Und Sadie, die Jüngste, die ihren Vater kaum kennen gelernt hat, ist zerrissen, zwischen der Verbundenheit zur Familie und dem Willen, sich neu zu erfinden. Untröstlich sind sie alle. Und sie alle lernen, sich und das Leben zu akzeptieren. Weil es sowieso immer weitergeht. Und weil Untröstlichkeit das Schicksal ist, das alle Menschen tragen.

Ein großes, leicht zu lesendes Buch, das viel Reichtum bereithält. So etwas hat man lange nicht mehr gelesen.

Taiye Selasi: „Diese Dinge geschehen nicht einfach so“ Aus dem Englischen von Adelheid Zöfel, S. Fischer Verlag, 398 Seiten, 21,99 Euro

Die Autorin liest am 20.4., 19 Uhr, im Tropen-Aquarium Hagenbeck, 7 Euro, www.vattenfall.de/lesetage oder T. 01805 969000123