Der neue Zuschauertyp ist jung und nutzt TV-Angebote im Internet. Bisher fallen bei der Messung der TV-Marktanteile Zuschauer, die online gucken, durchs Raster. Das soll sich nun ändern.

Hamburg. Till Spieker besitzt schon lange keinen Fernseher mehr. Warum auch, denn die „Tagesschau“ kann er online im Livestream oder bei Zattoo schauen, einem Anbieter für Internetfernsehen. Er muss dafür nicht einmal zu Hause sein – das Smartphone und der Tablet-PC machen es möglich. Binnen weniger Klicks kann er von unterwegs auf die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern zugreifen. „Reguläres Fernsehen gucke ich höchstens bei Freunden“, sagt der 27 Jahre alte Hamburger Student. Spieker steht für einen neuen Zuschauertyp: Er ist jung, männlich und nutzt TV-Angebote im Internet.

Laut einer Studie des Marktforschungsinstituts Ipsos besuchen bereits die Hälfte aller 25- bis 35-Jährigen regelmäßig die Online-Mediatheken der TV-Sender. Bei der bisherigen Quotenmessung fallen sie aber durchs Raster. Das soll sich nun ändern: Die Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF), die seit 1988 für die Ermittlung der Fernsehquoten verantwortlich ist und in der alle größeren deutschen Fernsehsender vertreten sind, will die 5000 Haushalte, deren TV-Konsum Basis für die Ermittlung der Fernsehmarktanteile ist, um 20.000 Online-Haushalte ergänzen. Die traditionelle Fernsehquote und die Online-Quote sollen noch in diesem Jahr zu einem gemeinsamen Wert addiert werden.

Im Gegensatz zum Messverfahren für konventionelle Fernseher, die mit einem Messgerät verbunden sind, erfolgt die Online-Messung komplett digital. In beiden Fällen muss sich jedes Haushaltsmitglied an- und abmelden. Auf die PCs und Laptops der teilnehmenden Haushalte wird eine Software installiert, die sekundengenau ermittelt, welche TV-Bilder gerade über den Bildschirm laufen. „Wir hoffen, so die detaillierte Messung von Bewegtbild-Angeboten weiter ausbauen zu können“, sagt Matthias Wagner, Sprecher der Technischen Kommission der AGF. „Dabei verschließen wir uns auch nicht vor Bewegtbild-Angeboten, die nicht von klassischen TV-Sendern stammen.“ Damit meint er das Angebot von Bewegtbild-Portalen wie etwa YouTube. Welche Portale an der Quotenmessung teilnehmen werden, steht zwar noch nicht fest. Marktführer YouTube dürfte wohl dabei sein. Die technische Realisierung soll künftig über ein Messprogramm erfolgen, das die Portalbetreiber in ihre Webplayer integrieren. Mittelfristig will die AGF auch mobile Medien in die Quotenmessung einbeziehen. „Die Messung von Smartphones und Tablet-PCs ist für das kommende Jahr geplant“, sagt der AGF-Technikbeauftragte Wagner. „Allerdings gibt es bislang noch keine fertigen Konzepte. Auch ob es eine Mess-App geben wird, steht noch nicht fest.“ Wie wichtig eine Anpassung des Messverfahrens an die Sehgewohnheiten der neuen Zuschauergeneration ist, zeigt das Beispiel der mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten NDR-Serie „Der Tatortreiniger“. Der TV-Marktanteil des Formats hielt sich zwar in überschaubaren Grenzen. Die Folgen „Ganz normale Jobs“ und „Spuren“ waren aber 2012 die erfolgreichsten Angebote der NDR-Mediathek. Dank der Online-Quotenmessung kann künftig verhindert werden, dass Sendungen wegen schlechter TV-Marktanteile abgesetzt werden, obwohl sie ein riesiges Publikum im Internet haben. Das ist auch im Sinne des Studenten Spieker. Er schaut besonders gern das Arte-Popkulturmagazin „Tracks“ – und zwar in der Online-Mediathek des Senders. Wie er nutzen viele Zuschauer diesen Service. Denn im herkömmlichen Fernsehen läuft „Tracks“ nachts nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit.