Pascal Finkenauer entdeckt auf seinem selbst betitelten Album die flüchtige Schönheit des Nachtlebens

Hamburg. Knarzende Gitarrenakkorde, treibender Rhythmus, eine vibrierende Stimme, die durch Mark und Bein geht: „Ich bin die ganze Nacht gegangen/Unter mir ist Samt,/und in den Venen spült es Ratten an den Strand.“

Das ist metaphorisch gewagt, und es spricht heftig berührt vom eigenen Ich – hier singt ein Leidensmann und Existenzialist, der sich vor uns ausbreitet mit allen Konsequenzen: „Ach, Schwester, wie geht es dir eigentlich?/Ich seh’ mich fast gar nicht mehr/und wenn, dann nur von Weitem und verzerrt/sind die anderen/wenn sie schlafen.“ Es ist nicht die „Schwester“, um die es hier geht, nein, nur wieder das eigene kleine, große Selbst, der Hauptdarsteller im eigenen Film.

Von ihm singt der Hamburger Pascal Finkenauer auf seinem neuen Album, das dieser Tage erscheint, es ist sein fünftes inzwischen. Wenn das Verschwinden des Musiker-Egos der Pop-Trend der Gegenwart ist, dann steuert dieses „Pascal Finkenauer“ betitelte Werk deutlich gegen diese Strategie. Finkenauer, Jahrgang 1977, ist der Anti-James-Blake: Bei ihm jaulen die Gitarren, der Rhythmus groovt lässig um tänzelnde Basslinien und stolzen Gesang; alles herrlich altmodisch. Der Engländer James Blake dagegen gilt ja aktuell noch immer als größter Hype der Populärmusik, auch auf seinem neuen Album „Overgrown“ blubbern die Songs in flüchtigen Blasen. Kaum sind sie da, sind sie auch schon wieder weg.

Finkenauer zelebriert den Untergang, er kehrt das Inneren nach außen

Die hochbrisante Mischung aus Dubstep, Elektro und Soul unterlegt die verfremdete Stimme des Wunderknaben, er lässt sein Ego unter den Sound tauchen. Der kühlen, verführerischen Schönheit Blakes setzt Finkenauer mit seinen Songs, die die reine Lehre der Rockmusik ausbuchstabieren, Blut, Schweiß und Tränen entgegen. „Wäre ich Maschine/Ich wüsste immer, was ich will/Aber ich bin Fleisch und Blut“, heißt es in einem Song. Finkenauer kehrt das Innere nach außen, man darf das persönliche Drama, das in Zeilen wie diesen aufgeführt wird, auch pathetisch finden: „Ich weiß noch nicht/Wie es mit mir weitergeht/Wie es sich am Abgrund lebt/Ich bin am Ende/Also tanzt auf dem Rest meiner Reste.“

Finkenauer zelebriert den eigenen Untergang, aber zum Masochismus gesellt sich die Lust an der Zerstörung. „Alles muss brennen, und die Idioten laufen im Dreieck“ – gute Laune geht anders. Man kann sich gut vorstellen, wie Finkenauer, Typ einsamer Großstadtcowboy, über den Kiez zieht, weil er einer alten Liebe hinterhertrauert oder wie alle auf der Suche nach dem wahren Augenblick ist. Als die neuen Songs entstanden, war er viel im Nachtleben unterwegs. Was er dort entdeckte, ist die düstere Schönheit der der Sonne abgewandten Seite der Geschichte.

Es hängt halt immer davon ab, „in welchem Licht man steht“, und im Falle von Finkenauer beleuchtet es einen Empfindsamen, der derbe in die Saiten hauen kann. Aufgenommen wurde „Pascal Finkenauer“ in nur zwei Sessions im Gaga-Tonstudio. Manchmal spielt Finkenauer, der 2009 beim Bundesvision Song Contest Rheinland-Pfalz vertrat, nur auf der Akustikgitarre („Müdigkeit“), dann wieder klingen die Gitarren im Feedback noisy und laut; da darf man an The Jesus & Mary Chain oder Interpol denken. Wobei man sagen muss, dass der desillusionierte, aber nicht wirklich unglückliche Gestus von einem Midtemposong wie „Brennende Autos“, der von einem Rock-’n’-Roll-Ausbruch eine nur minimale Kühlung erfährt, auf lange Strecke der glaubhaftere Bewusstseinszustand für einen Mittdreißiger ist. Weltschmerz ist eigentlich voll Twentysomething, aber wenn er von Pascal Finkenauer in solch druckvollen Songs besungen wird, dann entwickelt er doch die alte Sogkraft. In den besten Momenten ist der Schmerz ja euphorisch, weil er zärtlich immer auf einen neuen Morgen hofft.

Pascal Finkenauer: „Pascal Finkenauer“ (Trocadero)