Seit zehn Jahren ist Daniel Karasek im Dreispartenhaus Intendant. Am Wochenende hatte „Clavigo“ Premiere

Kiel. Staatsdichter Clavigo (Felix Zimmer) brennt vor Leidenschaft. Er liebt seine Marie (Jennifer Böhm) glühend. Noch heißer ist er allerdings auf einen Ministerposten am spanischen Hof. Und da könnte sich seine Marie als französische Migrantin schnell als Klotz am Bein auf der Karriereleiter erweisen. Also hört Clavigo auf die bösen Einflüsterungen seines Busenfreundes Carlos (diesmal nimmt der ihn gedoppelt in die Zange, verkörpert von Marius Borhoff und Marko Gebbert). Clavigo verstößt seine Geliebte. Schon beim ersten Mal fällt diese ein ums andere Mal in Ohnmacht, weil sie es nicht zu fassen vermag. Doch als Clavigo, die Moralniete im Nadelstreifen, nach Intervention ihrer Brüder (einer mehr als ursprünglich vorgesehen, hier Oliver E. Schönfeld als maskierter Buenco und Pina Bergemann als maskierte Marie-Schwester Sophie) einen zweiten Anlauf zur Ehe mit Marie beendet, bricht er ihr das Herz.

Im Kieler Schauspielhaus lässt Nachwuchsregisseurin Ivna Zic das Stück nicht im obligatorischen Sterben und Morden enden, sondern im Choral „Waldesnacht“ nach Paul Heyse, gefolgt von einem letzten Schrei Maries. Zeitgleich mit diesem bricht das Bühnenportal oben einen halben Meter aus der Verankerung und droht, die Besucher in den ersten Reihen des Kieler Schauspielhauses zu erschlagen. Dieser Dernier cri macht die Panik der Marie persönlich nachvollziehbar.

Energiegeladen, packend und aktuell in eine abstrakte Szene gesetzt hat Zic den Goethe-Klassiker, mit einem homogenen jungen Ensemble, das engagiert aufspielt. Hier klappt im monochrom schwarzen Bühnenbild einfach alles: eine multifunktionale Hauswand aus dem Boden heraus, eine Tür aus der Wand, ein Gewächshaus als symbolische Zelle, in der Marie sich zunächst abschottet, zusammen, wie das Spiel der Protagonisten miteinander und auf dem Klavier (Clavigo: „Ich bin Klaviergo“) am Bühnenrand.

Der Kieler Generalintendant Daniel Karasek, Sohn des Literaturkritikers, kann mit der Premiere einen weiteren Erfolg im Schauspiel verbuchen, das er seit zehn Jahren leitet. Von Jahr zu Jahr erfolgreicher. In der laufenden Saison wird das Theater voraussichtlich die Marke von 240.000 Besuchern überschreiten, noch einmal 9000 Zuschauer mehr als im letzten Jahr. Verantwortlich für den künstlerischen Höhenflug ist vor allem das publikumsgeschmacksfreundliche Opernrepertoire, das dennoch wie das Schauspiel das künstlerische Risiko nicht scheut. Immer wieder machen junge Talente in Kiel ihre ersten Schritte und verzeichnen erste Erfolge wie jetzt Ivna Zic mit ihrem „Clavigo“.

Das Programm für die kommende Saison verspricht auch den aktuellen Zulauf in den Schatten zu stellen. Für Hamburger Opernfreunde könnte erneut nicht nur die Fahrt nach Lübeck, sondern auch die nach Kiel verlocken. Zumindest zur Sommerproduktion, Giuseppe Verdis „Der Troubadour“ als Freilichtaufführung auf dem Rathausplatz, im Verdi-Jubiläumsjahr in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln. Die Inszenierung des Intendanten Daniel Karasek hat am 17. August Premiere. Die Saison beginnt mit „Jenufa“ von Leos Janácek am 28. September in der Regie von Arila Siegert (auf Tschechisch). Nach der Premiere von „Orpheus in der Unterwelt“ von Jacques Offenbach am 9. November (Regie und Bühne: Michaiel Dijkema) geht es in Kiel Schlag auf Schlag. „Madame Butterfly“ von Giacomo Puccini setzt Matthias von Stegmann zum 14. Dezember in Szene. Richard Wagners „Tristan und Isolde“ folgen am 25. Januar 2014 in einer Inszenierung von Daniel Karasek. Und Adriana Altaras steuert am 15. März 2014 „Die lustigen Weiber von Windsor“ zum Programm bei. Im Ballett erwarten die Besucher nach dem „Schwanensee“-Auftakt am 12. Oktober eine Faust-Choreografie (5. April 2014), gleichfalls von Ballettdirektor Yaroslav Ivanenko.

Das Schauspiel startet mit Shakespeares „Othello“, inszeniert vom Intendanten (27. September), bietet dann unter anderem die „Liebelei“ von Arthur Schnitzler, Richard O’Briens „The Rocky Horror Show“ und „Nathan der Weise“ von Gotthold Ephraim Lessing in der Regie von Jan Steinbach.