Erst fehlt es an Vertrauen - und am Ende auch noch am guten Stil. Die Ablösung der “Spiegel“-Chefredakteure in dieser Woche ist nur einer von vielen spektakulären Personalwechseln in Hamburg.

Als "Spiegel"-Geschäftsführer Ove Saffe am Montag vor die Redaktion des Nachrichtenmagazins trat, gab es für ihn eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Er hätte eine Ehrenerklärung für seine Chefredakteure Georg Mascolo und Mathias Müller von Blumencron abgeben können. Ebenso gut hätte er verkünden können, der Verlag habe sich von den beiden getrennt - im besten Einvernehmen, versteht sich. Nichts von dem geschah.

Am Freitag zuvor hatte das Abendblatt berichtet, der "Spiegel" bereite die Ablösung seiner Chefredakteure vor. Auf eine entsprechende Anfrage reagierte eine Verlagssprecherin schon damals ausweichend. Es handele sich um eine Spekulation, die ihr Haus nicht kommentieren wolle. Ein klares Dementi oder aber eine klare Bestätigung wären schon zu diesem Zeitpunkt für alle Beteiligten bessere Antworten gewesen. Aber da es am Freitag vergangener Woche noch keinen formellen Gesellschafterbeschluss gab, ist die hinhaltende Antwort der Sprecherin zumindest nachvollziehbar.

Während des darauffolgenden Wochenendes hätten die "Spiegel"-Gesellschafter Zeit genug gehabt, einen Beschluss herbeizuführen. Sie taten es aus unerfindlichen Gründen nicht. Und so gab es von Saffe am Montag weder eine Ehrenerklärung noch die Verkündung der Trennung. Stattdessen verwies er auf den fehlenden Gesellschafterbeschluss, nicht ohne zu erwähnen, dass es Gespräche mit den Anteilseignern gebe, an deren Ende Veränderungen in der Chefredaktion stehen könnten. Später soll Saffe gegenüber den Ressortleitern Klartext geredet haben: Man werde sich von Mascolo und Müller von Blumencron trennen. Und so geschah es auch - einen Tag später.

Guter Stil ist das nicht. Wenn die bevorstehende Trennung von einer Führungskraft vor der Zeit durchsickert, gibt es für das betroffene Unternehmen an sich nur eine Möglichkeit: einen goldenen Handschlag, und zwar sofort. Alles andere würde alle Beteiligten nur unnötig beschädigen. Seltsamerweise wird gegen diese Regel in der Medienbranche immer wieder verstoßen. Als vor einem guten halben Jahr der damalige Gruner + Jahr-Vorstandsvorsitzende Bernd Klaus Buchholz abgelöst werden sollte, ging der Trennung ein Artikel im "Manager Magazin" voraus, in dem Führungskräfte der G+J-Muttergesellschaft Bertelsmann unter dem Schutz der Anonymität wild über Buchholz herzogen. Anschließend fand sich nicht ein einziger Bertelsmann-Manager, der den G+J-Mann gegen die zum Teil abstrusen Vorwürfe öffentlich in Schutz nahm. Immerhin soll Buchholz, der anschließend noch mehrere Tage im Amt war, mit stolzen zehn Millionen Euro abgefunden worden sein.

Bemerkenswert ist auch der Fall des ehemaligen "Spiegel"-Chefredakteurs Stefan Aust, der im Herbst 2007 durch Zufall von seiner bevorstehenden Ablösung erfuhr: Ein Nachfolgekandidat der damaligen Geschäftsführung erzählte einem Freund Austs von dem Angebot, der sich augenblicklich mit dem damaligen "Spiegel"-Chef in Verbindung setzte. Aust musste danach noch bis Anfang Februar 2008 Blatt machen. Wegen der ihm vom "Spiegel" angebotenen Abfindung gab es noch eine juristische Auseinandersetzung, bevor man sich außergerichtlich einigte.

So unterschiedlich die Beispiele auch sind, zeigen sie doch eins: Wenn Führungskräfte ihren Hut nehmen müssen, geschieht dieses selten in herzlicher Verbundenheit. Das betrifft nicht nur die Medienbranche. Als Anfang des Jahres der Deutschland-Chef von Philips, Andreas Wente, abgelöst wurde, verbreitete der niederländische Konzern gerade einmal eine dürre Mitteilung: "Andreas Wente, 58, Vorsitzender der Geschäftsführung der Philips Deutschland GmbH und Chairman von Philips DACH (Deutschland, Österreich und Schweiz), beendet nach 30 Jahren Unternehmenszugehörigkeit seine Tätigkeit für Philips und geht in den Ruhestand", hieß es darin. Nicht einmal die übliche Floskel "Wir danken Herrn xy für seine Verdienste ..." war in dem Text zu finden. In einer betriebsinternen Mitteilung hieß es lediglich, Wentes Ausscheiden geschehe "aus persönlichen Gründen". Nach Abendblatt-Informationen hatte er sich mit dem Unternehmen nicht auf einen neuen Vertrag einigen können. Mit gerade einmal 58 Jahren wurde Wente offiziell in den Ruhestand verabschiedet.

Wente ist nur einer von vielen. Nach einer Studie des internationalen Beratungsunternehmens Booz & Company besetzten die größten Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz im Jahr 2011 jede sechste Spitzenposition neu. Gegenüber 2010 hatte sich die Fluktuationsquote verdoppelt (siehe Kasten). "Man besorgt sich ein Rennpferd, und wenn das nicht mehr funktioniert, holt man sich ein neues. Wir nähern uns den Verhältnissen bei Bundesligatrainern an", sagt etwa der Frankfurter Headhunter Andreas Halin. Der Stil bei der Entlassung von Führungskräften habe sich geändert, weil man sich weniger moralisch und ethisch verpflichtet fühle, alte Spielregeln einzuhalten, sagt er.

"Wenn es nicht mehr passte, war es früher üblich, dass man sich zusammensetzt und Lösungen sucht. Personelle Veränderungen wurden über Monate vorbereitet. Heute geschieht so etwas viel kurzfristiger", sagt Halin. Nach seiner Ansicht gibt es nicht nur einen Grund dafür, dass beim Stühlerücken in deutschen Chefetagen die Sitten verrohen. Ein wesentlicher Grund dafür ist: Es ist leichter geworden, Führungskräfte zu entlassen und durch neue zu ersetzen. Der Nachfolger steht meistens schon in der Drehtür parat. "Man vermeidet den mühseligen Weg, indem man einfach Fakten schafft", sagt Halin.

Mit einem Knall endete beispielsweise die Karriere von Paul Lerbinger. Im April 2011 hatte der damalige Aufsichtsratsvorsitzende Hilmar Kopper quasi im Alleingang den ehemaligen Citygroup-Manager auf den Chefsessel der HSH Nordbank gehoben. Im Oktober 2012 stieß er ihn wieder herunter - auch im Alleingang. Die Eigentümer der maroden Bank, Hamburg und Schleswig-Holstein, informierte Kopper erst, nachdem er sich entschieden hatte. Kopper dankte Lerbinger für "den unermüdlichen Einsatz", es klang wie "er war stets bemüht". Die begleitende Erklärung der Länder war dann ein richtiger Schlag in Lerbingers Magengrube. "Eine erfolgreiche Restrukturierung erfordert einen handlungs- und durchsetzungsfähigen Vorstand, der für Stetigkeit und Stabilität bei der Etablierung des neuen Geschäftsmodells sorgt", hieß es da. Lerbinger schrieb man diese Eigenschaften offenbar nicht zu. Also wurde er entlassen.

So vielfältig wie die Art und Weise, in der Führungskräfte abgeschoben werden, sind auch die Gründe, die dazu führen. Sie können firmeninterner Natur sein, oder von neuen Markterfordernissen hervorgerufen werden. Mitunter fühlt sich ein Aufsichtsrat auch durch öffentlichen Druck gezwungen zu handeln, oder durch die Entwicklung an den Kapitalmärkten. "Wenn man sich anschaut, mit welchen Vorschusslorbeeren mitunter neue Unternehmensvorstände an den Börsen bedacht werden, lässt sich leicht ausmalen, wie stark Aktien auch wieder fallen können, wenn es mal nicht mehr so läuft."

In der Regel erfolgt der Bruch erst, wenn es gar nicht mehr anders geht, meint der Hamburger Unternehmensberater Torsten Schumacher. "Die Ursache des Konflikts, liegt meist weit zurück und hätte vielleicht durch klärende Gespräche sogar gelöst werden können. Stattdessen bleibt es unausgesprochen, und der Konflikt staut sich weiter auf, bis es zum endgültigen Bruch kommt", sagt Schumacher, der seit 20 Jahren Manager berät und Vorträge über gute Mitarbeiterführung hält.

Er vertritt die These, dass in der mittelständischen Wirtschaft häufig sogar zu lange mit dem Rauswurf gezögert wird. "In familiengeführten, mittelständischen Unternehmen wird die Entscheidung häufig aus einer Art Rücksichtnahme nicht gleich getroffen. Personalentscheidungen sind nun mal schwierig, Entlassungen am schwierigsten", so Schumacher. Dabei seien Trennungen ein verständlicher Vorgang. "Es ist doch natürlich, dass ein Unternehmen sich von einer Führungskraft, die nichts mehr zum Wohl des Unternehmens beiträgt, oder notwendige Veränderungen nicht mitgeht, und dadurch dem Unternehmen schadet, trennen muss", sagt er.

Dass so etwas nicht immer im Konflikt geschehen muss, zeigt ein Gegenbeispiel - auch aus der Medienbranche. Der Generationswechsel in der Chefredaktion des "Stern" wurde sorgfältig und von langer Hand vorbereitet. Zum 1. Juli 2011 kam der damalige Chefredakteur des Magazins der "Süddeutschen Zeitung", Dominik Wichmann, als Stellvertreter des Chefredakteurduos Thomas Osterkorn und Andreas Petzold zum "Stern". Dort wurde er sorgsam aufgebaut und zu Beginn dieses Jahres selbst Chefredakteur. Ende April werden Osterkorn und Petzold aus der Chefredaktion ausscheiden. Diesen stilvollen Personalwechsel hatte noch Bernd Buchholz initiiert.