Die Miniserie “Verbrechen“ startet im ZDF. Kein Krimi im handelsüblichen Sinne erwartet den Zuschauer am späten Sonntagabend.

Der Mann steht in einer Blutlache. Erschöpft lässt er die Axt fallen. Anschließend putzt er sich heraus wie für ein Vorstellungsgespräch und ruft die Polizei an: "Ich hab Ingrid klein gehackt." Dieser einsame Moment erzählt im Grunde schon die ganze Geschichte des Films. Es ist die erste Szene von Fähner, Auftakt der sechsteiligen Miniserie "Verbrechen" nach dem Bucherfolg von Ferdinand von Schirach. Edgar Selge spielt mit großer Radikalität den Arzt im Ruhestand, der keinen anderen Ausweg sieht, als zur Waffe zu greifen, um endlich Ruhe zu haben vor den Demütigungen seiner Ehefrau. Ein Hausdrache in geblümter Kittelschürze, der ihn laufend ankeift. Er rieche schlecht, sei unordentlich, ein Idiot. Der ganz gewöhnliche Terror des Alltags.

Kein Krimi im handelsüblichen Sinne samt Leiche nach zweieinhalb Minuten erwartet den Zuschauer am späten Sonntagabend im ZDF. Sondern schroffe Einsamkeitsstudien und filmische Miniaturen zwischen Vulkanausbruch und Poesie. Edelkrimis, die sich abheben von öffentlich-rechtlicher Konsenssoße. Im Mittelpunkt stehen Normalbürger und deren zuweilen aberwitzige Straftaten. Die Abgründe der menschlichen Natur, die oft auf den vermischten Zeitungsseiten in ein paar Zeilen abgehandelt werden. Die einzige Konstante ist der Berliner Strafverteidiger Friedrich Leonhardt, verkörpert von Josef Bierbichler, feinfühliger Experte für schweigende Monolithen, die sich ein wenig mühsam durchs Leben bewegen. Leonhardt ist ein Mann mit zusammengekniffenen Augen, denen nichts entgeht und die jedem Blick standhalten können. "Ein Anwalt will nicht immer die Wahrheit wissen" lautet das verstörende Motto der "Verbrechen"-Geschichten, in denen von Schirach den Anwaltsalltag fiktional aufgearbeitet hat. Auch Leonhardt, der in den Filmen präsenter ist als der namenlose Erzähler in der Buchvorlage, fühlt sich nicht der vermeintlichen Wahrheit verpflichtet. Er weiß: Man muss kein Verbrechen begangen haben, um schuldig zu sein. Und man kann ein Verbrechen begehen, ohne Schuld auf sich zu laden. Um diesen Zwiespalt kreist das Buch, kreisen die Filme, die ihre Figuren bis zum Ende ernst nehmen und sie nicht bei erstbester Gelegenheit fallen lassen.

Wo Schirachs Storys sich durch einen messerscharfen Stil und lakonischen Ton auszeichnen, kommt das TV-Pendant greller, populärer daher. Das Bild friert ein, wird grobkörnig, verpixelt, eine blutige Axt saust dem Zuschauer entgegen. Diese offen zur Schau getragene Freude an Splattereffekten konterkariert die Eindringlichkeit kammerspielartiger Szenen, die ganz dem Anwalt und seinen Mandanten gehören, einer bekifften Jugendgang, einem Schafschlitzer und eben dem tyrannisierten Leichenzerstückler.

Produzent Oliver Berben hat für "Verbrechen" großartige Schauspieler verpflichtet. Jan Fedder, Thomas Thieme, Vladimir Burlakov, die die Kunst beherrschen, Ungesagtes herbeizurufen, die Fantasie des Zuschauers zu beflügeln. "Verbrechen" ist eine ambitionierte Serie, die es wundersamerweise ins deutsche Fernsehen geschafft hat.

"Verbrechen " Sonntag, 22.00 Uhr, ZDF