Die Osterfeiertage sind vorbei, entspannt sollte man im Alltag und im Arbeitsleben aber trotzdem sein. Größer, schneller, weiter war gestern.

Hamburg. Wir leben in einer Zeit des Umdenkens und der permanenten Selbstkritik. Es geht darum, den Kopf über Wasser zu halten - und den Jüngeren beizupulen, dass es zum ersten Mal in der Geschichte des erfolgsverwöhnten Nachkriegswesteuropas der nächsten Generation nicht besser als der jetzigen gehen wird. Größer, schneller, weiter, mehr war gestern.

Manche schreiben jetzt über den selbstbezogenen Homo oeconomicus und seinen allein auf wirtschaftlichen Erfolg angelegten Lebensentwurf (siehe das Buch "Ego" von Frank Schirrmacher), und die üppige Ratgeberliteratur setzt dem schon länger Glücksversprechen und neue Rechnungen entgegen, die das Zusammenspiel von Arbeit und Leben betreffen: "Work-Life-Balance" heißt das dann. Raus aus der Knechtschaft des Arbeitslebens, das ist die Devise. Sie äußert sich auch in Buchtiteln wie "Hört auf zu arbeiten! Eine Anstiftung, das zu tun, was wirklich zählt" und "Wie viel ist genug? Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens", die dieser Tage erschienen sind.

Weniger ist die Devise, Reduktion, Bescheidenheit. Thomas Sedlacek und David Orrell fordern sie in ihrem Gesprächsbändchen "Bescheidenheit" von den Wirtschaftsbossen, und man ist geneigt zu sagen: ziemlich zeitgemäß. Die Mahnungen, die ein "So geht's nicht weiter" betreffen, verpuffen aber wahrscheinlich ziemlich schnell, denn zwar hört jeder gern das Plädoyer für eine Befreiung vom beruflichen Joch. Ins eigene Handeln übersetzt wird das jedoch eher selten.

Die Arbeitsplätze werden unsicherer, das lähmt den guten Willen, schlechte Zeitbudgets umzuwandeln. Trotzdem ist Gelassenheit die Grundtugend des Augenblicks. Sie hilft nicht nur gegen den Lebenshilfewahn, sondern viel grundsätzlicher auch, wenn alle "Krise!" schreien und von Selbstoptimierung reden. Denn Gelassenheit ist eine Haltung, die sogar antrainiert werden kann. Durch Meditation, Yoga, Fußreflexzonenmassage.

Nun sei mal dahingestellt, ob wir wirklich in einer derart erschöpften und überforderten Gesellschaft leben, die nach Ausgeglichenheit, Fassung und Lässigkeit verlangt - das ist eine Typfrage. Die Gelassenheit als Ideal verdient grundsätzlich ein Comeback. Sie ist das perfekte Gegenstück zur lauten Gegenwart, sie ist - das Pathos ist beabsichtigt - die Basis, mit der sich manches überhaupt erst ertragen lässt.

Gelassenheit hat etwas mit Verzicht zu tun. Wer gelassen bleibt, der gibt sich nicht der Er- und Aufregung hin; der bleibt im emotionalen Gleichgewicht, weil er ablässt von einem Eindringen in die Sache, um die es sich dreht. Gelassene schauen als Passive den Aktiven zu. Gelassenheit ist, in einem Wort, eine Zurückhaltung. Die Wonnen des Überdrehtseins, der leidenschaftlichen Beschäftigung mit einem Umstand, der Unruhestand der Nervosität und die Aufregung des hochgejazzten Augenblicks vereinigen ganz eigene Qualitäten auf sich, sie befördern eine Steigerung des Lebensgefühls - sie brauchen jedoch manchmal eine Pause.

Gelassenheit ist gut, wenn sie nicht in Gleichgültigkeit übergeht. So verstanden auch die Mystiker um Meister Eckhart diese Bewusstseinshaltung. Eine religiöse Dimension hatte die von Anfang an, wie Thomas Strässle in seinem kenntnisreichen und gut formulierten Essay "Gelassenheit. Über eine andere Haltung zur Welt" (Hanser Verlag) darlegt. Im Gottesglauben, so Meister Eckhart, müsse der Mensch sich selbst lassen. Und erdgebundener formuliert, vom Eckhart-Schüler Heinrich Seuse: Der gelassene Mensch "hat einen ruhigen Lebenswandel, in dem die Dinge ohne sein Zutun durch ihn fließen, und er ist ruhig in seinen Gedanken".

Halten wir fest: Die Gelassenheit stellt die Vereinigung von Besonnenheit, Souveränität, Selbstgewissheit und Milde dar. Sie ist eine mitunter schwere Übung, an der wir im grauen Alltag gerne scheitern. Denn Gelassenheit kann sich das Gewand der Ignoranz, der Apathie und der Unempfindlichkeit überziehen. Gelassen ist oft auch der Spießbürger mit seiner Unbeweglichkeit und der im Vorgärtchen tief verbuddelten Neugier. Buchautor Strässle erklärt den überlegten Charakterzug der positiv verstandenen Gelassenheit mit Schopenhauer als eine Distanz, aus der der gelassene Mensch sich selbst betrachtet. Eine Teilhabe am (eigenen) Leben aus einer von Zeit zu Zeit reflektierten Haltung also, die, so ergänzen wir, mit einer gewissen Portion Selbstironie noch ertragreicher wird.

Obwohl es dem gelassenen Menschen ja gerade nicht um einen Ertrag geht; dann hätte das Gelassensein wieder etwas von Zwang und unbedingtem Wollen. Wer sich etwa von den technischen Neuerungen gejagt fühlt, wer keine Lust auf "Dauerinformiertwerden" (Strässle) hat, dem sei der Modus der Gelassenheit ebenfalls empfohlen. Technikfeindschaft ist das Gegenteil von Gelassenheit, sie ist Besessenheit.

Robert Walsers Gedicht "Gelassenheit" darf sich mancher an seine Bürowand heften: "Seit ich mich der Zeit ergeben,/fühl' ich etwas in mir leben,/warme, wundervolle Ruh'. Seit ich scherze unumwunden/mit den Tagen, mit den Stunden,/schließen meine Klagen zu./Und ich bin der Bürd' entladen,/meiner Schulden, die mir schaden,/durch ein unverblümtes Wort:/Zeit ist Zeit, sie mag entschlafen,/immer findet sie als braven/Menschen mich am alten Ort."