Der traditionsreiche Jazzclub in Eimsbüttel schließt zum 30. Juni, die Betreiber hören aus Altersgründen auf und wollen keine Nachfolger.

Hamburg. Im Straßenbild wird die Zäsur, die manche Jazzfans als Amputation empfinden, fast überhaupt nicht auffallen. Der Laden liegt ja sowieso unter der Erde, sein Eingang weit jenseits der Häuserfront hinter einer Toreinfahrt. Doch selbst das an der Hauswand befestigte und auf den Bürgersteig hinausragende Schild, vor Jahrzehnten von der Brauerei gestiftet, mit den Worten Birdland und Jazz-Live unterm Bierbrauerlogo, weiß auf grün, soll einstweilen hängen bleiben. "Es wird halt nur nicht mehr beleuchtet sein", sagt Dieter Reichert. Mit seiner Ehefrau Heidi ist er der Gründer und Betreiber des Birdland, des bekanntesten Jazzlokals der Stadt, dessen Metalltür die beiden nach fast 28 Jahren zum 30. Juni für immer schließen wollen.

Für immer? Die Eheleute Reichert sind massiv müde von ihrem Hobbykeller der improvisierten Musik. Er hat ihnen viel gebracht - Arbeit, Laufereien, Kosten, "enorm viel Bürokram" (Dieter Reichert), 120 Aktenordner Vergangenheit in Papierform, und, bitte, nie zu vergessen, eine Menge unvergesslicher Konzertabende. Nur Geld sei nie hängen geblieben in all den Jahren, musste es auch nicht.

Schließlich ist das Birdland, aufwendig schallisoliert im Souterrain eines Wohnhauses an der Gärtnerstraße 122 gelegen, das den Betreibern gehört, ein Vereinslokal. Es ist der mietfrei überlassene Treffpunkt der Jazz Federation Hamburg e.V., die sich schon bei ihrer Gründung 1985 nur zu dem Zweck zusammenfand, eine über regelmäßige Mitgliedsbeiträge finanzierte Trägerschaft für anspruchsvollen Live-Jazz in Hamburg sicherzustellen. Solange die beiden Reicherts arbeiteten - Dieter als Architekt, Heidi als Rechtsanwältin -, ging die viele Stunden fressende Freizeitbeschäftigung für sie noch in Ordnung. "Aber ich bin jetzt dreiundsiebzigeinhalb", rechnet Dieter Reichert vor, "die Kräfte lassen nach. Die 30 schaffen wir im Birdland nicht mehr."

Für die kleine Hamburger Jazzszene ist die Nachricht von der nahenden Schließung des Clubs eine mittlere Katastrophe. Dass man hier am Wochenende zu bezahlbaren Preisen Jazz von internationalem Rang hören konnte, war ja nur die etwas mondänere Seite der Medaille. Die regional viel glänzendere war, dass der Laden bei allen Abstrichen, die mancher hinsichtlich der behäbig-gediegenen, holzvertäfelten Einrichtung machen mochte, über Jahrzehnte der wichtigste Treffpunkt für junge und erfahrene Jazzmusiker in Hamburg war. Ein Lernort par excellence. Mittwochs und donnerstags ließ sich bei freiem Eintritt auf stets gut besuchten Sessions für Sänger und Instrumentalisten die Kunst des kollektiven Zusammenspiels nach dem flexiblen Regelwerk der improvisierten Musik erproben - unverzichtbare Ergänzung für die akademische Ausbildung tagsüber an der Hochschule oder in anderen Lehrinstituten der Musik.

Dieser künstlerisch-soziale Treffpunkt fällt vom Sommer an ersatzlos weg, und das Birdland wird in eine Existenz überführt, die an die der seit Jahren stillgelegten Fleisch- und Wurstwarenhandlung Brammann an der Grindelallee 38 erinnert. Die Innenausstattung ist komplett erhalten und wird sorgfältig gepflegt, doch Kundenverkehr findet nicht statt. Null Ware in den Auslagen, hinterm sauber geputzten Tresen steht niemand. Ein solcher Phantomladen, der jederzeit den Betrieb wieder aufnehmen könnte, soll auch das Birdland sein. Die Söhne Ralph, 43, und Wolff, 40, beide Berufsmusiker und aktive Unterstützer der elterlichen Liebhaberei - der eine macht das Booking, der andere trommelt die Musiker für die Sessions zusammen -, wollen das Birdland nicht selbst weiterführen. Die Eltern haben ihnen auch kräftig davon abgeraten. Trotzdem: "Die Söhne können mit dem Laden machen, was sie wollen. Sie müssen mich nur raushalten", sagt Reichert senior. Gelegentliche Veranstaltungen hält er durchaus für möglich. Da bräuchten die Söhne dann bloß das Schild zur Straße wieder anzuknipsen.

Reichert hat ein Blatt Papier mitgebracht, auf dem peinlich genau aufgelistet ist, welche finanzielle Unterstützung die Kulturbehörde dem Birdland seit 1985 hat zukommen lassen. Die Gesamtsumme von 126.934 Euro ergibt, geteilt durch 28 Lebensjahre des Clubs, einen durchschnittlichen monatlichen Betrag von 377,78 Euro. "Die institutionelle Förderung, die wir immer wieder erbeten haben, wurde uns nicht gewährt", klagt Heidi Reichert und will doch nicht jammern und klagen. "Von der Behörde hieß es immer: Ihr seid keine Institution, ihr seid Musikwirtschaft." Auffallend knapp fällt denn auch die Kondelenzbekundung der Kulturbehörde aus: "Die geplante Einstellung des Betriebs des Birdland nimmt die Kulturbehörde mit großem Bedauern zur Kenntnis." Die Entscheidung der Betreiber, deren große ehrenamtliche Verdienste die Behörde rühmt, führe zu einem "herben Verlust für Hamburgs Musiklandschaft". Die Stadt bündelt ihre Jazz-Energie inzwischen hauptsächlich in der Subventionierung der drei Festivals Elbjazz, Überjazz und Jazz open Hamburg und gibt von 2013 bis 2015 pro Jahr 100.000 Euro, damit die Plattenindustrie hier drei Jahre lang ihren Echo Jazz verleiht.

Das Jazzbüro Hamburg, die Interessenvertretung der Jazzmusiker der Stadt, erinnert in einer Stellungnahme zum Birdland-Aus an die Geschichte des stets mühevollen privaten Engagements für den Jazz in Hamburg, vom Onkel Pö über Dennis Swing Club und das Circle bis zum Stellwerk. Und wagt den Vergleich zu anderen Städten wie München, Köln oder Berlin, wo die jeweiligen Spielstätten kommunale Förderung erhielten. "Wenn viel Geld für die Austragung des Echo Jazz in die Hand genommen wird, sollte auch der Boden, auf dem der Jazz in Hamburg wächst, eine Düngung erfahren."

Für die Reicherts käme eine solche Wachstumshilfe auf jeden Fall zu spät. Sie wollen nicht mehr, und sie wollen auch um Gottes willen keinen Pächter in ihrem Keller. Entsprechende Angebote, sagen sie, seien völlig zwecklos.