Auf seiner neuen Platte “Der Mensch lässt nach“ fragt sich Schorsch Kamerun, wie es sich in Zeiten der Krise aufrichtig leben lässt.

Hamburg. Es ist wichtig, das neue Soloalbum von Schorsch Kamerun zu hören. Und es ist anstrengend. Sehr sogar. Weil der Hamburger Kulturaktivist, der dieses Jahr 50. Geburtstag feiert, die Realität weder flauschig weich spült mit den Mitteln des Pop noch distanziert überhöht mit dem Duktus der Theorie. Nein. Auf seiner neuen Platte "Der Mensch lässt nach" fragt sich Kamerun, wie es sich aufrichtig leben lässt angesichts von Renditeempfehlungen und Schuldenuhr, von Kriegsgebieten und Globalisierung, von Hochstapelei und "Übereigendarstellerei", wie einer der 14 Songs benannt ist. Und er tut es mit einer Sprache, die ihre Wurzeln bei jenen hat, um die es geht: den Menschen.

Kamerun, der mit seiner Agitprop-Band Die Goldenen Zitronen seit fast drei Jahrzehnten Politik und Privates kommentiert, bringt sein kritisches Bewusstsein seit rund zehn Jahren verstärkt als Regisseur auf die Theaterbühnen des Landes. Seine neuen Songs wiederum sind Kondensate von Gesprächen, die er für seine Inszenierungen von Hamburg bis München, von Leipzig bis Köln mit ganz unterschiedlichen und ganz normalen Bewohnern der Städte geführt hat. Seine Methode, um diese Aussagen zu verdichten, ist die Montage. Zu einem Sound, der mit seinen Stör- und Alltagsgeräuschen am ehesten dem experimentellen Jazz zuzuschreiben ist, proklamiert Kamerun gewohnt nervös bis genervt, mitunter aber auch dunkel beschwörend.

Bereits der erste Song "Ich meine ich weine" zeigt Kameruns Technik des Demaskierens und Überforderns eindrucksvoll. "Ich weine um Japan und um meine Ernährung/Ich weine um Ägypten/Scheiß Steuererklärung", heißt es da. Der Wutbürger, er muss ständig empört und betrübt sein. Mediale und persönliche Nachrichten überlappen sich. Was ist relevanter: die Niederlage des Fußballclubs oder Bomben auf Kabul? Stets muss der Einzelne sich (und sein Smartphone) synchronisieren. Oder, wie Kamerun in einem anderen Stück feststellt: "Man hat mich angestellt/Und nicht mehr ausgemacht." Kein Wunder, dass er erschöpft ist, der Mensch, dass er nachlässt. Ganz so, wie der Albumtitel besagt.

Schorsch Kamerun "Der Mensch lässt nach" (erschienen bei Buback Tonträger)