Simone Youngs konzertante Aufführung von “Rienzi, der Letzte der Tribunen“ ist ein Kompromiss. Die Sänger entschädigten aber für vieles.

Hamburg. "Feigheit vor dem Stück" wäre eine überdrastische Formulierung. Aber sehr schade bleibt es, denn eine jetzt verpasste, einmalige Gelegenheit wäre es schon gewesen: Da hat die Hamburgische Staatsoper die zehn anerkannt großen Wagner-Opern nicht nur im Bestand, sondern setzt sie ab Mai zur Feier des 200. Geburtstags auch en bloc auf ihren Spielplan. Und ausgerechnet der frühe "Rienzi", jenes pompös übergewichtige Sorgenkind aus Rom also, mit dem - nicht nur laut des späteren Wagnerianers Hitler - "es" begann, findet "nur" konzertant statt; als Massenauflauf in der Laeiszhalle, deren Akustik diesem Frontal-Ansturm aus Stimmen, Chor und Philharmonikern nicht immer gewachsen war. Einige Bühnenmusiken und Chöre wurden aus Platzmangel in die Garderoben-Foyers verbannt und sorgten von dort aus für die Spezialeffekte.

Keine Inszenierung also, keine hoffentlich kritisch clevere Auseinandersetzung mit diesem Stoff, der einen Helden ganz alter Schule ins Rennen schickt, von dem sich - bei aller Verstaubtheit - vielleicht doch noch einiges lernen ließe für zeitgemäßes Nachdenken über Fragen zu Macht und Moral. Zu viel Aufwand, zu teuer, zu wenig Substanz, hieß es dazu. Der Sonderling mit den dröhnend schlechten Manieren musste leider draußen bleiben bei der Familienfeier.

Eines der Probleme mit dem trotzdem lohnenden Stück, das am vorzeitigen Ende begeistert, aber nicht ekstatisch gefeiert wurde: Diese wegweisende Zumutung des frühen Wagners hat durchaus Qualitäten, es gibt nur etwas zu viel davon, um dem späteren Wagner, dem Gesamtkunstwerker gerecht zu werden. Der überehrgeizige Komponist, der es allen zeigen wollte, war hier noch nicht ganz bei sich und wollte die Tinte einfach nicht halten. Er war jung und brauchte den Ruhm. Auch nach drastischen Strichen, die den Fünfakter auf handliche drei Stunden Spieldauer verdichteten, war der römische Historienschinken in Simone Youngs Konzert-Version immer noch fingerdick geschnitten und entsprechend sättigend.

Doch wenn überhaupt nichts Szenisches passiert, kein Machtkampf verfeindeter Adelsgeschlechter vor dem Auge des Publikums toben darf und niemand kampfeslustig kurzschwertwedelnd durchs Dekor läuft, wirken die Nummern und Ensembles noch statischer, als sie, gefangen in den Grand-Opéra-Konventionen, ohnehin schon gedacht sind. Ein brennendes Kapitol, dahingeraffte Handlungsträger, Vorgeschmack auf das viel spätere "Götterdämmerung"-Finale, das Tutti dreht ein letztes Mal auf und durch - und dann stehen nur etliche Menschen in schöner Abendgarderobe an der Rampe und warten besinnlich auf den Schlussakkord wie andere am Jungfernstieg auf die Feierabend-S-Bahn? Für Wagnerianer mit Hang zu formschön gestalteten Apokalypsen ist diese Magerquarkvariante nicht mal nur der halbe Spaß.

Wie man's macht mit dem "Rienzi", der bekanntlich gern als beste Oper des späteren Wagner-Feindbilds Meyerbeer verhöhnt wird, man macht's verkehrt? Kann man so auch nicht sagen, denn Generalmusikdirektorin Simone Young hatte für ihren bedauerlichen Kompromiss zur Entschädigung einige Sänger engagieren lassen, die den Phantomschmerz der fehlenden Inszenierung deutlich linderten.

Allen voran und weit voraus war der österreichische Tenor Andreas Schager, der die Titelrolle als sehr sportive Herausforderung ansah und bei jedem seiner kräftezehrenden Einsätze ungebremst ins Forte ging, mochte es um ihn herum auch noch so laut zugehen. Was sehr, sehr oft der Fall war. Wer so singt, darf gern im Kostüm an die Dammtorstraße wiederkommen.

Schagers Rienzi nahm man - so ziemlich als einzigem der Herren - auch ab, dass hier nicht nur eine Partie ordnungsgemäß vom Notenblatt abgesungen wurde, sondern dass ein Charakter aus Fleisch und Blut aus seiner Genre-Schablone wollte, rein ins pralle Bühnenleben, als Heldentenor ohne Furcht und Tadel. Dieser Rienzi klang in den wenigen hymnisch überhöhten Momenten, erst recht also im brutal spät kommenden, innigen Solo-Gebet im fünften Akt, schon wie ein entfernter, aber gleichgesinnter Lohengrin-Verwandter. Der euphorischste Applaus für ihn war hart verdient. Und auch Katja Pieweck holte mit dramatischem, klug dosiertem Sopran aus der Hosenrolle des Adriano heraus, was dort an Tiefe herauszuholen war.

Ricarda Merbeths Irene wirkte dagegen anfangs, als wollte sie sich mit ihrem Zuviel an Nachdruck für ein Brünnhilde-Casting bewerben, das gab sich im Laufe des Abends jedoch. Klein, fein und vielversprechend: Solen Mainguenés Kurzauftritt als Friedensbote am Bühnenrand. Beim mächtig ausholenden Chor, der hinter den Philharmonikern ins Klangbild wollte, musste man sich die Textverständlichkeit weitestgehend denken, mehr - also: weniger - ging wohl kaum in dieser Konstellation. Und nachdem Simone Young nach der sehr breitflächig ausgewalzten Ouvertüre mehr und mehr dazu überging, die gewollte Langatmigkeit nicht mit Langeweile zu verwechseln, wurde es eine Premiere, die um ihrer selbst willen dann doch im Langzeitgedächtnis bleiben dürfte.

Termine : 16./18.1., 19 Uhr, Laeiszhalle, Johannes-Brahms-Platz, Karten (4,- bis 79,- Euro) unter T. 35 68 68. Infos: www.staatsoper-hamburg.de