Ethnologe Thomas Hauschild erklärt, woher Santa Claus wirklich kommt: zwischen populären Brauchtümern und einer kulturellen Wanderung.

Hamburg. Wenn man in die Suchmaske von Google das Wort "Weihnachtsmann" eingibt, ploppen 8.770.000 Ergebnisse auf. Im Falle von "Santa Claus" sind es sogar 183.000.000 Hits - noch Fragen? Was die Popularität des Weihnachtsmannes angeht, wohl kaum: Der Kerl ist ein internationaler Superstar, und das nicht erst, seit wir vollkommen durchglobalisiert sind. Die Frage, wo er herkommt, lässt sich ebenfalls zunächst leicht beantworten. Vom Nordpol, dort fabriziert er die Geschenke für artige Kinder, und es warten auch seine Rentiere auf ihren Einsatz. Der Weihnachtsmann, der in Amerika Santa Claus heißt, ist ein freundlicher, alter Herr mit lustiger roter Mütze und ebenso rotem Gesicht. Er ist ja viel an der frischen Luft.

Dieser Weihnachtsmann ist, auf gewisse Weise, nicht nur der Geschenkeverteiler mit der tiefen Stimme und dem großen Sack, "der internationale Gott der Gabe", wie Thomas Hauschild ihn nennt. Er ist auch die größte Kommerzmaschine, die wir kennen, ein Held des Konsums. Aber das muss niemanden, auch nicht unbedingt wenn er ein strenger Christ ist oder ein bedenkenträgerischer Kapitalismuskritiker, von einer sentimentalen Anhänglichkeit an diese Figur aus unserer Kindheit abhalten. Thomas Hauschild zum Beispiel, den Berliner, der in Hamburg Volkskunde und Religionswissenschaft studierte, hat es jetzt noch mal ganz extrem zum Erfüllungsgehilfen vieler Kindheitswünsche getrieben. Als Ethnologe und Wissenschaftler will Hauschild natürlich wissen, woher der Weihnachtsmann wirklich kommt - als Erwachsener glaubt man nicht an die Mär vom Nordpol. Da stammt höchstens die Coca-Cola trinkende Werbefigur Santa Claus her.

Hauschilds Entdeckung, von der er in seinem Buch "Weihnachtsmann. Die wahre Geschichte" Zeugnis gibt, ist dazu angetan, den Ruhm des Weihnachtsmannes weiter zu mehren (wenn das überhaupt noch geht) und seiner weltumspannenden Bedeutung eine völkerverbindende Erdung zu geben: Der Weihnachtsmann nämlich ist nicht nur in allen Weltregionen bekannt, er ist noch nicht mal die Erfindung einer einzigen. Im Gegenteil hat er eine astreine Mischidentität, die ihre Ursprünge nicht nur im Abendland, sondern in den Weiten des Ostens hat. Die Migrationsgeschichte der legendenhaften Herkunft erzählt Hauschild in seiner kenntnisreichen Studie.

Er erweitert die Herkunftsgeschichte der Kultfigur beträchtlich, indem er tiefer gräbt, als die abendländischen Wurzeln reichen. Die Winterfeste und Jahresendbräuche als germanische Hinterlassenschaften? Viel zu deutschtümelnd, engstirnig, ethnozentrisch: Dass die Legende von Nikolaus nicht (nur) heidnischen, sondern christlichen Ursprungs ist, lernt jeder im Religionsunterricht. Der historische Sankt Nikolaus lebte im vierten Jahrhundert nach Christus in der griechischen Stadt Myra, die heute Demre heißt und in der türkischen Provinz Antalya liegt. Die Figur des Nikolaus steht mit der des Weihnachtsmannes in enger Verwandtschaft, weshalb die Spurensuche in der christlichen Heiligengalerie nur folgerichtig ist.

Über Jahrhunderte hinweg war der heilige Nikolaus die beliebteste unter den christlichen Heilsfiguren, man findet bei ihm das Motiv des Schenkens: Er ist, kurz gefasst, eine großzügige Gebergestalt, von dem unzählige Wundergeschichten kursieren. Am wichtigsten ist vielleicht die Legende von der Spende der Mitgift. Ein Nachbar des Nikolaus will aus purer Not seine Töchter in die Prostitution schicken. "Als das Sanct Nicolaus hörte, entsetzte er sich über die Sünde; und ging hin und band einen Klumpen Goldes in ein Tuch und warf ihn des Nachts heimlich dem Armen durch ein Fenster ins Haus und ging heimlich still wieder fort" - so heißt es in der Überlieferung. Ein weiser Mann beschenkt uns, er kommt nachts.

Darüber hinaus trat dieser historische Nikolaus als Beschützer auf, besonders auch der Kinder. Nikolaus ist ein Held mit übernatürlichen Kräften, der gegen Armut, Korruption und Kriminelle vorgeht - und der im Winter, in der Zeit der größten Not, besonders verehrt wurde. In Mitteleuropa prägten sich Nikolausbräuche im bürgerlichen Zeitalter aus, und in Russland gibt es mit "Väterchen Frost" einen freigiebigen Bruder des Kinderbescherers.

So weit, so bekannt und in vielen, vielen Ritualen, Motiven und Feiern (Knecht Ruprecht, Nikolaus, Heiligabend, Christkind, St. Martin) fester Bestandteil der abendländischen Kultur. Im zweiten Teil seiner umfassenden und jahrelangen Recherche erschließt der Forscher Hauschild dann unbekanntes Gebiet, und da wird es wirklich spannend. Man könnte sich nämlich, bildlich gesprochen, den Weihnachtsmann durchaus mit asiatischen Gesichtszügen vorstellen. Zumindest, das weist Hauschild nach, hat er Verwandte in China und in der Mongolei, sagenhafte Gestalten, deren Fähigkeiten, Wirkung, Bedeutung und Aussehen dem europäisch-amerikanischen Typus auf faszinierende Weise ähneln. Es sind gütige, mythische Wesen wie der "Gott des langen Lebens", der in China Shou Xing heißt, der einer Legende nach einem Jungen das Leben rettet, der selbst ein Kindergesicht und einen langen Bart hat und gerne mit Hirsch auftritt. In den mongolischen Erzählungen gibt es einen "Weißen Alten", der sich in das Geflecht aus Motiven und Bildern einfügt, das wir mit dem Weihnachtsmann verbinden.

Und der ist also in Wahrheit Chinese? Immerhin ist der "Gott des langen Lebens" älter als Sankt Nikolaus, sein erstmaliges Wirken wird auf das vierte Jahrhundert vor Christus datiert. Und es gibt in China einen Witz, in dem Santa Claus und Shou Xing als "Mitarbeiter derselben Firma" bezeichnet werden. Dem Volks- und Religionswissenschaftler Hauschild gelingt, und das durchaus absichtlich, mit seinem west-östlichen Vergleich populärer Brauchtümer ein schlagender Beweis für die kulturelle Wanderung und rituelle Durchlässigkeit. Anders gesagt: Alles hängt mit allem zusammen, und "wir" unterscheiden uns von "denen" viel weniger, als man denkt. Und in Hauschilds Worten: "Ich bin zufrieden damit, dass ich den Wahn einer ureigenen Identität, dem ewigen Streit um Santa, dem kulturstolzen Ausschluss der Fremden aus 'unseren' Festen das Bild eines Geflechts gegenüberstellen kann, in dem Santa und der Weihnachtsmann neben vielen anderen stehen."

In Berlin übrigens, daran erinnert er gleich am Beginn eines Buches, habe man vor der Schoah gemeinsam "Weihnukka" gefeiert, eine Mischform des christlichen Weihnachten mit dem jüdischen Lichterfest Chanukka. Der Weihnachtsmann überschreitet Grenzen, immer wieder.

Thomas Hauschild: "Weihnachtsmann. Die wahre Geschichte". S. Fischer. 384 S., 19,99€