Alle Jahre wieder wird man von missratenen Kostümfilmen heimgesucht. Neuestes Beispiel: königlich-bayerische Monarchie-Soap “Ludwig II.“

Hamburg. Im Kino-Sortiment sind die Kostümfilme der Winterwochen meistens das, was Themen- und Best-of-Alben für die Musikbranche sind: schlimme Dinge. Ganz schlimme. Sobald die Abende kürzer werden und die Adventszeit mit ihren freien Stunden naht, will Rod Stewart unbestraft Tannenbaum-Klassiker singen, die einem Blondinensammler wie ihm nun wirklich nicht zustehen. Oder das Bing-Crosby-Abziehbild Michael Bublé meldet sich mit noch mehr nostalgisch verswingten Evergreens als Weihnachtsmännchen vom Dienst zurück. Selbst Scheußlichkeiten wie die "Songs"-Sammlung des Ex-Tenors Placido Domingo sollen mit auf den Gabentisch, als Zumutungs-Geschenk für den, der schon fast alles hat, aber so etwas ganz bestimmt nicht will. Und während ansonsten Backenbärte, Gamaschen und Gehröcke im Kostümfundus der Traumfabrik Kino zustauben, weil Computer diese Requisiten in jeder gewünschten Menge viel günstiger liefern könnten, wird einmal alle Jahre wieder die ganz große Historiengemälde-Zeitmaschine angeworfen. Sie soll das Publikum auf den letzten Metern des Jahres spezialeffektfrei, aber pompös bebildert ins späte 19. Jahrhundert transportieren.

Nur dort gibt es sie noch, die guten Geschichten, mit aufschlagpflichtiger Überlänge oder wie bei den kürzlich geradezu hysterisch erwarteten Tolkien-Drillingen aus Neuseeland gleich mehrteilig. Nur dort findet man die großen Charaktere, die tragischen Dramen von dauerhafter Bedeutung, will das ansonsten so gegenwärtige Genre Film uns einreden.

Zwar werden auch in den rasanten Blockbuster-Produktionen der Sommermonate sonderbare Kostüme und Frisuren getragen, bestes Beispiel dafür sind die immer wieder neu kombinierten Superhelden-Rudel diverser Comic-Verfilmungen. Doch da ein James Bond mit seinen 50 Kino-Dienstjahren noch weit vom Mindestalter für Klassiker entfernt ist und sein Hauptdarsteller zudem regelmäßig dem Zeitgeist neu angepasst wird wie ein Maßanzug, bleibt nur der Griff ins Regal der Klassiker. Die kennt jeder, und wer sie nicht kennt, weil sie nicht aus seiner Welt stammen, bekommt durch den musealen Beigeschmack den trügerischen Eindruck vermittelt, es handle sich von vornherein um etwas Besseres, weil diese Geschichten ja eben nicht vom Drehbuch-Fließband stammen. Solche Filme soll man auch nicht mal eben am Feierabend bei Cola-Humpen und Eimer-Popcorn wegsehen, die soll man geruhsam und ohne Stress an den Feiertagen genießen. Wie einen guten Wein oder wie das gute Buch, zu dessen Lektüre man sonst ja leider viel zu selten kommt.

Tolstois "Anna Karenina" also, mit Ballkleidern und viel Pelz statt irgendwas mit "Transformers". Oder Charles Dickens' Bildungsroman "Große Erwartungen", der es mit der Kinderbuch-Utopie "Die Tribute von Panem" oder jugendlichen Blutsaugern aufnehmen soll; und ab dem 26. Dezember nun also "Ludwig II." im echten Kino statt Batman auf Blu Ray. Der dunkle Ritter aus Gotham wird vom kleinen, nicht weniger neurotischen Prinzchen aus München abgelöst. Diese Vorstellung mag ein Auslöser für die wahnwitzige Idee gewesen sein, nach O.W. Fischer und Helmut Berger einen weiteren Kino-Kini über die Leinwand irrlichtern zu lassen.

Passend zu diesem Ehrgeiz gestaltet sich das Scheitern einer überopulenten, untergelungenen Produktion aus deutschen Landen. Ihre Selbstüberschätzung kann es mit Michael Ciminos Western-Marathon "Heaven's Gate" von 1980 aufnehmen, der das Hollywood-Studio United Artists mit in den Abgrund riss. Dass Viscontis tragisch abgedankter Märchenkönig Helmut Berger, angelockt von einer Abwrackprämie des Boulevards, demnächst ins RTL-"Dschungelcamp" gehen will, um australische Kerbtiere zu verzehren, ist eine Ironie des Schicksals, die ein Dostojewski wohl nicht viel perfider hinbekommen hätte.

Nach einer so schrecklich netten Bildungsbürger-Familie wie den nobelpreisveredelten "Buddenbrooks" von Thomas Mann anno (2008 von Heinrich Breloer gut gemeint, aber fade gemacht) soll dieser Film in 130 sehr langen Minuten dem Rest Deutschlands erklären, warum es in Bayern einen zunehmend spinnerten König gab, dem Wagners Opern lieber waren als Wummen für den nächstbesten Krieg gegen kunstfeindliche Saupreußen. Am Ende spukt das Lohengrin-Groupie Lud-wig II. wie der späte Michael Jackson in Fantasieuniformen durch seine Neverland-Ranch, der er den Namen Neuschwanstein gegeben hatte und die Modell stand für das Magic Castle des erzkapitalistischen Disney-Imperiums. Schon beim ersten Nachdenken über solche kulturhistorischen Querverweis-Möglichkeiten kann einem ganz anders werden.

Beim zweiten Nachdenken wird aber auch klar, woraus das eigentliche Problem der meisten dieser schlimmen Weihnachtszeit-Kostümfilme besteht: aus der mangelnden Glaubwürdigkeit der immer gleichen Gesichter, die als Dekorationsmaterial und Zuschauerköder durchs Bild geschoben werden, und dem unseligen Drang zum epischen Format. Mit Ironie und Pop-Bewusstsein darf man hier eher nicht rechnen. Auf Sofia Coppolas hübsche Idee, Kirsten Dunst als Marie Antoinette an Macarons der Pariser Luxus-Patisserie Ladurée knabbern zu lassen, während im Hintergrund die 80er-Band Bow Wow Wow "I Want Candy" trällert, würde ein gewissenhafter deutscher Kostümfilm nie kommen. Da hat unbedingte Detailtreue zu gelten, da wird nichts gezwirbelt oder gezaubert. Außerdem, bei aller Liebe: München ist nicht Los Angeles, und das entsprechende Personal hat leider ebenfalls kein internationales Format.

Wer die unausweichliche Veronica Ferres in "Ludwig II." vermisst, hätte sie vor wenigen Tagen in der ZDF-Version von "Der kleine Lord" besichtigen können. Auch das ein weiteres schlimmes Vergehen, verkleidet als Klassiker.

Was bleibt also, am Ende, als Trost, als Rettungsanker in der Tristesse der falschen Bärte und der viel zu vielen Kostüme, als schönstmögliche Bescherung? Bruce Willis im etwas anderen Weihnachts-Klassiker "Stirb langsam", nur echt mit reichlich Haupthaar und dem Schlusschor aus Beethovens Neunter. Ein John McClane braucht keine Nerz-Umhänge und keine Karnevalsorden. Ihm reicht ein verschwitztes Unterhemd und eine Knarre.

Uns auch.

Eine Filmkritik zu "Ludwig II." lesen Sie im hier.