Bei den neuen Weihnachtsalben steht Süßliches von John Travolta, Olivia Newton-John und Thomas Anders neben fein Arrangiertem aus Skandinavien.

Hamburg. Weihnachten verhält sich der Gefühlshaushalt des sozialen Umfelds oftmals so wie ein frisch verschneiter Garten. Zu Beginn sieht alles ebenmäßig und harmonisch aus. Doch wenn der Zauber zu schmelzen beginnt, treten häufig nicht beseitigte Altlasten zutage. Vielleicht hilft in diesem Jahr ein Griff in die große Kiste der neu erschienenen Weihnachtsalben, falls der Haussegen schiefhängt, der Baum krumm steht oder die Gans quer liegt.

Die größte therapeutische Wirkung unter den Festtags-CDs dürfte 2012 wohl das Album "This Christmas" von John Travolta und Olivia Newton-John besitzen. Wer die beiden "Grease"-Stars in überambitionierter Eintracht auf dem Cover sieht, der fragt sich: Welche selig machenden Substanzen sind in den Kaffeetassen, die sie so absichtlich unprätentiös in die Kamera halten?

Und wer nur lange genug über den Bildern des Booklets meditiert (er mit Santa-Claus-Mütze, sie mit Rentiergeweih, beide die Zähne schön) und dazu die süßlich-swingenden Versionen von "Baby It's Cold Outside" oder "White Christmas" aus den Boxen rieseln lässt, der dürfte bald nur noch einen Gedanken haben: Ein saftiger Streit kann ja auch mal ganz heilsam sein. Denn: So viel aufgesetzte Freude ist selbst zu Christi Geburt nur schwer zu ertragen.

Wem aber dieses eine Album nicht ausreicht, um familiäre Konflikte herbeizusehnen, dem sei das deutsche Kitsch-Pendant empfohlen: "Christmas For You" von Thomas Anders klingt noch mehr nach Glasur, das Artwork ist noch bildbearbeiteter. "Um einen authentischen Eindruck zu vermitteln, wie ich mein Weihnachtsfest verbringe, ließ ich mich privat zu Hause an meinem Kamin in weihnachtlicher Atmosphäre fotografieren", verkündet der Ex-Modern-Talking-Sänger. Das Fazit: Thomas Anders trägt Heiligabend Smoking und sitzt sehr steif auf einem offensichtlich unbequemen Stuhl, hat aber ebenfalls die Zähne schön.

Beistand im akustischen Puderzuckerland kommt ausgerechnet aus einer Ecke, die in Gedanken seit Jahrzehnten mit Wölkchen-Tapeten und Engel-Postern ausgekleidet ist. Die Rede ist von: "Kuschel-Rock". Die diesjährige Christmas-Edition liefert immergrüne Songs von Pop bis Klassik. Und eine Kollektion, die Künstler wie Hurts, Aretha Franklin, Johnny Cash und das Prager Film Symphonie Orchester ("Drei Nüsse für Aschenbrödel"!) vereint, birgt zumindest nicht Gefahr, bereits vor dem Festmahl komatös zu wirken.

Mit Abstand die größte Geschmackssicherheit (und somit gewiss die bestmögliche Ausgeglichenheit) bieten 2012 jedoch die Skandinavier. Vielleicht kennt man sich im Norden einfach besser mit winterlichen (und emotionalen) Landschaften aus. Auf "God Jul - A Scandinavian Christmas" interpretieren Musiker wie Fjarill, Nils Landgren und Bugge Wesseltoft Weihnachtshymnen ihrer Heimat. Vielleicht liegt es am fremden Zungenschlag, vielleicht an den sparsamen Arrangements, aber die Stücke atmen eine aufrichtige Andacht, die die Gemüter tatsächlich zur Ruhe kommen lassen dürfte.

Wem das aber zu besinnlich daherkommt, der kann sich - wie einst Maria und Josef bei der Herbergssuche - auf unkonventionellere Pfade begeben. Der Sampler "Christmas Rules" versammelt Aufnahmen von Winterklassikern, die von Stars der Folk- und Rock-Szene eingesungen wurden. Rufus Wainwright intoniert mit Sharon Van Etten ein verschlafenes "Baby, It's Cold Outside". Calexico versieht "Green Grows The Holly" mit Mariachi-Charme. Das sorgt für erdigen Charme an der Krippe.

Und wenn alle Geschenke ausgepackt und alle Verdauungsschnäpse getrunken sind. Wenn also die Stimmung eventuell schon etwas "drüber" ist, wie man so sagt, könnte die Zeit gekommen sein für Helge Schneider. Sein vor 20 Jahren produziertes Hörspiel "Weihnachten bei van den Bergs" ist neu aufgelegt worden. In den Skizzen rund um einen Durchschnittsheiligabend finden sich gute Sätze, um den familiären Frieden wiederherzustellen. Etwa: "Komm rein jetzt hier, wir wollen feiern!"