Künstler, Musiker und Tänzer bieten beim neuen Krass-Festival in Kampnagel Innenansichten aus dem “migrantischen Leben“.

Kampnagel. Die drei Tänzer umkreisen auf der Kampnagel-Probebühne ihre Kollegin Sihan mit einer schwarzen Stoffbahn und vermummen sie. "Das Tuch muss genau über dem Kopf liegen", korrigiert die Choreografin AnDy Dorawa. Sie probiert mit dem Regisseur Branko Simic und dem Autor Nikola Duric das biografische Theaterstück "Ghetto Blaster". Grinsend sagt Azad: "Sie sieht aus wie ein Teufel." Das Bild erinnert aber auch an eine Frau im Tschador oder an eine eingekleidete Tote ... Die szenische Collage aus Tanz, Text, Musik und Video-Interviews eröffnet heute das von Simic mit Kunstwerk und Kampnagel organisierte Kulturcrash-Festival Krass.

Alle an der "Ghetto Blaster"-Produktion Beteiligten sind Hamburger mit sogenanntem "migrantischen Hintergrund". Das Ganze basiert auf ihren Erfahrungen als mehr oder wenig erkennbare "Ausländer". Die arabischstämmige Sihan spricht sehr offen über den Konflikt zwischen unterschiedlichen Kulturen. Seit sie sechs Jahre alt ist, lebt sie in Deutschland und ist auch Deutsche. "Aber viele von uns leben ein Doppelleben", sagt sie. "Zu Hause leben sie in einer von den Eltern mitgebrachten Kultur. Die sind traditionsbewusst, oft auch dickköpfig, und denken wie früher." Ihre Kinder aber wachsen in unserer Welt auf. "Das gibt Konflikte. Aber meine Eltern und ich, wir reden darüber, kommen uns entgegen und lernen voneinander." Da hat Sihan Glück.

Die Gruppe kennt sich vom Hip-Hop-Tanzen und ist vertraut mit dessen Basics, wie Azad erklärt. "Wir gehen aber sehr frei damit um, wollen nicht perfekt sein, sondern erzählen davon, was wir tun und wie wir leben." Genau darum geht es Simic in seinem künstlerisch geformten Projekt, wie er betont. "Wir nehmen uns den Platz und die Zeit, zu sagen, was wir denken, und nicht das, was Leute über uns denken, die uns nicht kennen." Im Programm des Festivals will er Innenansichten des "migrantischen Lebens" aus persönlichen Perspektiven vermitteln und auch in die Konfrontation gehen. "Wir haben keine falsche Scheu vor Konflikten und benützen für unsere Auseinandersetzungen relevante zeitgenössische Kunstformen." Keine Folklore, kein Sozialprojekt, sondern Kunst und ein Blick in die Zukunft: "Die Integrationsdiskussion in der Politik ist rückschrittlich und sinnlos", findet Simic. Die jüngere Generation der 16- bis 20-Jährigen sei integriert, auch wenn es Probleme gebe. "Aber wir müssen die Entwicklung einer neuen Identität bewusst machen. Sie ist nicht problematisch und als eine Chance durch kulturellen Reichtum zu begreifen."

Der neue Rassismus beunruhigt den Regisseur, der seit 20 Jahren in Hamburg lebt. "Das Festival soll eine Plattform sein, unsere Erfahrungen zu vergleichen und Formen des postmigrantischen Theaters zu testen."

Im Programm - von der Kulturbehörde mit 13 000 Euro gefördert und unterstützt durch die Hamburgische Kulturstiftung und Alfred-Toepfer-Stiftung - präsentiert Simic Projekte über den interkulturellen Crash in verschiedenen Formaten. Der Dokumentarfilm "Wadim" (6.12., 19 Uhr, Alabama-Kino) zeigt das Schicksal eines Jugendlichen, der sich das Leben nahm. Die "Stationen der deutsch-türkischen Migration im Film" beleuchtet Martina Priessner in ihrem Vortrag (8.12., 18.30 Uhr, kmh). In einer Lesung mit Konzert stellt sich Danko Rabrenovic als "Der Balkanizer" (7.12., 21 Uhr, kmh) vor. Das Ballhaus Naunynstraße gastiert mit "Schnee" (7./8.12., 20 Uhr, k2) nach Motiven aus Orhan Pamuks gleichnamigem Roman in der Fassung und Inszenierung von Hakan Savas Mircan. Als seinen Geheimtipp bezeichnet Simic den Autor, Musiker und Performer Damir Avdic mit seinem radikalen Anti-Ethno-Happening (14.12., 21 Uhr, k4) und zitiert programmatisch für das Festival Heiner Müller: "Aktualität der Kunst ist morgen".

"Krass. Das Kulturcrash-Festival" Mi 5.-Sa 15.12., Kampnagel (Bus 172/173), Jarrestr. 20, Karten zu 5,- bis 12,-, Festivalpass zu 25,-/erm. 12,- unter T. 27 09 49 49; www.kampnagel.de

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