Der neue Kriminalroman des Münchner Autors Friedrich Ani ist ein großer Wurf, in dem sein Kommissar langsam und tastend ein Geheimnis lüftet.

Wenn Tabor Süden in einem Wirtshaus sitzt und kein Bier trinkt, dann ist die Welt aus dem Gleichgewicht geraten. Das Kännchen Kaffee jedenfalls und die Tasse, die vor ihm stehen, empfindet er als "Geschirr eines gemeinen Gottes", wie Friedrich Ani in seinem Kriminalroman "Süden und das heimliche Leben" schreibt. Nach zwölf Jahren als Kommissar auf der Vermisstenstelle der Münchner Kripo arbeitet Süden jetzt für eine Detektei, und noch immer spürt er jenen Menschen nach, die verschwunden sind von einem Tag auf den anderen. Die ausgestiegen sind aus einer Welt, deren Zumutungen ihnen unerträglich geworden sind.

So wie es offenbar bei Ilka Senner der Fall ist, die als Kellnerin in eben jenem Wirtshaus gearbeitet hat, in dem Süden vor der keinen Trost spendenden Tasse sitzt. Niemand kann sich ihr Verschwinden erklären, die Wirtsleute nicht, die Stammgäste nicht, alle reden sie, keiner sagt etwas, Süden schweigt.

Sein Schweigen ist Südens schärfste Waffe, er schweigt, bis die Menschen es nicht mehr ertragen können und zu erzählen beginnen. So schaut Süden hinter ihre Masken, hinter ihre kleinen Tarnungen, die sie sich aus Angst vor der Wahrheit und dem Leben zugelegt haben. Er schaut in ihre stickigen Zimmer, in ihre gardinenbehängten Verstecke, in ihre bescheidenen Verliese, deren Mauern nur scheinbar Schutz bieten vor dem Draußen.

Langsam und tastend kommt Süden hinter das Geheimnis, das die verschwundene Kellnerin umgibt, die in naher Zukunft eigentlich das Gasthaus leiten sollte, da die Wirtsleute sich aufs Altenteil zurückziehen wollten. Es ist die Geschichte einer großen Scham, die sich Süden offenbart. Eine Geschichte, die Friedrich Ani auf sensibel einfühlende Weise erzählt, sorgsam die Charaktere zeichnend und die Spannung dramaturgisch geschickt schürend.

Mehr als ein Dutzend Bücher hat der Münchner Ani bereits mit dieser im deutschsprachigen Kriminalroman singulären Figur geschrieben, viermal wurde der dafür mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet. Für das Drehbuch zur Verfilmung von "Süden und der Luftgitarrist" erhielt Ani 2010 zudem den Adolf-Grimme-Preis, für das Drehbuch zu "Das unsichtbare Mädchen" in diesem Jahr den Bayerischen Fernsehpreis.

Es sind diese intimen Beobachtungen, jene tiefschürfenden, beiläufig gesetzten Beschreibungen von Seelenzuständen und ein Humor, der manchmal den Schrecken ummantelt und ihn fast versöhnlich macht, weshalb Friedrich Ani ein großer Kriminalschriftsteller ist. Es gibt unter den deutschen Autoren wenige, die an ihn heranreichen, Jan Costin Wagner vielleicht oder Heinrich Steinfest. "Süden und das heimliche Leben" ist ein weiterer Beleg für diese Mutmaßung. Den Kaffee im Übrigen lässt Süden kalt werden und bestellt dann doch ein Helles. Alles gut also. Wenngleich nicht für jeden in diesem herausragenden Kriminalroman.

Friedrich Ani: "Süden und das heimliche Leben". Knaur, 207 S., 8,99 Euro