Die unvergleichlich vielseitige Jazz-Interpretin Dee Dee Bridgewater und ihr Quartett begeisterten in der Altonaer Fabrik.

Hamburg. Was für eine Erscheinung! Keine Haare auf dem stolzen, schönen Kopf, dafür eine riesige Brille, die sie fortwährend auf- und wieder absetzt. Die langen Beine enden in Cowboyboots und sind unablässig in Bewegung, mal Pferdetritt, mal Ballerinaschritt. Dee Dee Bridgewater braucht Auslauf bei der Arbeit. Diese Sängerin bewegt sich mit archaischer Eleganz, halb Schamanin, halb reifes Showgirl.

Obwohl sie weder komponiert noch textet, zählt Dee Dee Bridgewater, 62, nicht nur zu den großen Interpretinnen, sondern auch zu den großen Schöpferinnen des Jazz. Sie macht sich das Material aus dem Great American Songbook derart unverwechselbar zu eigen, dass ein von ihr gesungener Standard mühelos zig andere Versionen desselben Lieds verdrängt. Das im Arrangement ihrer vier Begleitmusiker gründlich dekonstruierte "Besame Mucho" etwa verwandelte sie zu einem bewegenden Gebet an den Eros und an die Liebe. Zweimal drei und einmal zwei Viertel, trocken hingetupft vom Bassisten Stefan Lievestro, Spurenelemente von Akkorden auf dem Klavier (Edsel Gomez), ein Hauch von Schlagzeug (famos: Kenny Phelps) und reduziert Melodisches auf dem Saxofon (Craig Handy), mehr brauchte es nicht. Der Song wurde leicht wie ein Kokon; alles Gestalt gebende befand sich in der Hülle. Darin hatte Dee Dees zwischen Flüsterton und Bluesgeheul in allen Schattierungen changierende Stimme viel Platz.

Im Verlauf des beinahe zweieinhalbstündigen Programms entwickelte sich zwischen den Künstlern und dem zunehmend enthusiastischer regierenden Publikum der Fabrik einer bemerkenswerte Energie. Dee Dee sang kaum mehr als ein Dutzend Songs, doch jeden einzelnen zerlegte sie in die Spektralfarben des Gefühls. Ihre über mehrere Oktaven reichende Stimme gehorcht ihr blind. Abbey Lincolns Hohelied "The Music Is The Magic" fand in ihr eine ebenbürtige Erbin. Auch Lieder aus dem Songbook Billie Holidays wie "Lady Sings The Blues", "Good Morning, Heartache" oder "Glod Bless The Child" klangen in Dee Dees ureigener Sprache nach Botschaften aus einem großen, der Freiheit gewidmeten Leben.