Die “Verteidigung der Missionarsstellung“ von Wolf Haas ist kunstvolle Literatur, bei der man als Leser ungemein viel Spaß haben kann.

Hamburg. Intelligenz und Komik sind eine unschlagbare Kombination. Im Leben und in der Literatur. Wolf Haas ist so ein Roman gelungen, eine kluge, witzige Geschichte, die den Lesern zu einigen Geistesblitzen verhilft, um ein paar Seiten später den Figuren wieder einen überraschenden Dreh und dem Leser neues Vergnügen zu bereiten. Dieser Roman-im-Roman, der viele Geschichten aus vielen Perspektiven erzählt, ist abwechslungsreich und verblüffend. Am Ende ist nichts so, wie es am Anfang schien, und man ist bestens unterhalten. Der österreichische Schriftsteller und gelernte Werbetexter, der mit seinen sieben populären und kauzigen "Brenner"-Krimis hintergründig-komische Gesellschaftskritik betrieb und dem mit "Das Wetter vor 15 Jahren" ein blitzgescheiter Bestseller in Prosa gelang, zeigt nun mit seinem Roman "Verteidigung der Missionarsstellung" ein amüsant-verführerisches Glanzstück. Er erzählt von einem Schriftsteller namens Wolf Haas, der über seinen Freund und ehemaligen Zimmernachbarn Benjamin Lee Baumgartner einen Liebesroman, ein Reiseabenteuer, ein verrücktes Sprachspiel, ein virtuoses, komisches Experiment an Wirklichkeitsverdrehung schreibt. Die Handlung ist verschachtelt, wechselt gelegentlich in die Ich-Perspektive, aber man folgt sehr gerne und angeregt dem zügigen Erzähltempo.

Baumgartner ist ein eher harmloser, aber leicht entflammbarer Mann, verliebt sich im Laufe der Jahrzehnte immer dann, wenn irgendwo auf der Welt eine Seuche samt der dazugehörigen Hysterie ausbricht - 1988 ist es der Rinderwahn, 2006 die Vogelgrippe, 2009 die Schweinepest und 2011 EHEC. Liebe, so viel steht fest, macht den Kopf verrückt.

Haas jongliert in seinem Roman mit Sprach- und allerlei Verwechslungsspielen. Selbst die Typografie nimmt er in Mithaftung bei seiner ausgefuchsten literarischen Entstehungsgeschichte: Da laufen Buchstaben um die Ecke, mal ist alles in chinesischen Schriftzeichen gesetzt, mal winzig klein, mal in Versalien, im Paisley-Muster, mit Noten, es steht nur ein einziges Wort auf einer Seite oder ein einziger Satz, der von oben links nach unten rechts läuft. Und wenn es heißt, "Sie sagte nichts", dann steht "nichts" als Wort allein auf einer Seite. Die Optik interpretiert gleichsam das Geschehen.

Doch Haas' Text ist nicht verwirrend oder nervig experimentell. Er liest sich locker, kommt leichtfüßig rüber und verblüfft und amüsiert mit immer neuen Einfällen und unglaublichen Geschichten. Irgendwann schwirrt dem Leser der Kopf - nicht vor Unruhe, sondern vor Glück über so viel Einfallsreichtum, unerhörte Begebenheiten und die Erfindung eines Genres, in dem die fiktiven Figuren mit dem Autor Haas Zwiesprache halten und immer wieder neue Purzelbäume schlagen. Wolf Haas nimmt seine Leser mit auf 238 Seiten geistreiches Spiel, als sei das alles eine kinderleichte Sache.

Ist es auch, denn der Plot entfaltet sich mühelos und ist gar nicht so kompliziert. Die Geschichte beginnt 1988 in London, wo gerade der Rinderwahn ausgebrochen ist und Benjamin Lee Baumgartner eine hübsche Burger-Verkäuferin mit dem Verzehr von Rindfleisch beeindrucken will. ",Verrate mir bitte nicht deinen Namen', sagte Benjamin Lee Baumgartner", steht am Anfang des Romans. Und dann auch fast am Ende wieder. Dort heißt es: "Ich finde, wenn man erst einmal den Namen weiß, ist der Zauber zerstört." Und zwischen diesen beiden Sätzen entfaltet sich der brillant hintergründige Text.

Der junge Benjamin aus dem bayerischen Simbach ist der Sohn einer Hippie-Mutter, die ihm erzählt, er sei das Produkt einer Affäre mit einem nordamerikanischen Indianer und sein Name gehe zurück auf einen berühmten Hopi-Forscher, der sich mit der Frage beschäftigt hat, wie Sprache unser Denken beeinflusst.

Baumgartner hat kurz vor seinem Burger-Flirt in Schottland auch eine Touristin erobert. Später erfährt man, dass eine der beiden Damen seine Frau wurde, die er fortan nur "die Baum" nennt. Jahre später, als ihr Mann von seiner Arbeit als Übersetzer nicht rechtzeitig aus Peking zurückkehrt, weil dort die Vogelgrippe ausgebrochen ist (und weil er sich in eine holländische Kollegin verliebt hat, die unter Erkältungssymptomen leidet), klagt "die Baum" Wolf Haas ihr Leid und bittet, in seinem Arbeitszimmer übernachten zu dürfen. Dort hatte der Schriftsteller Haas ein Pornogedicht an die Wand gekritzelt, "Die Verteidigung der Missionarsstellung". Jetzt schämt er sich dafür, denn er ist heimlich in "die Baum" verliebt. So kommt der Roman zu seinem Titel.

Immer wieder unterbricht Haas seinen Text quasi mit "Regieanweisungen". Da heißt es dann "nächste Woche schnell 50 Seiten Lebensgeschichte zusammenschustern" oder "Streichen oder ordentlich erklären, so dass man's versteht". Nichts davon passiert, aber wir bleiben dran an der Geschichte, wenn Benjamin in New Mexico nach seinem Indianervater sucht, stattdessen dort wieder eine Burger-Verkäuferin findet, die möglicherweise seine Tochter ist, und wenn er als weltweit erstes Opfer der Schweinegrippe registriert wird. 2011 verliebt sich Benjamin in eine Norddeutsche, zieht ihretwegen nach Bienenbüttel und arbeitet auf einer Sprossenfarm. Ah, wir erinnern uns, da war doch was mit EHEC.

Später erzählt Baumgartner das alles seinem Freund Haas, der daraus ein Buch machen soll. Buch machen? Am Ende begegnet Wolf Haas eine Reiterin, die ihm zuruft: "Ich lese gerade Ihr Buch", und sie kennt schon alle Einzelheiten, die dem Leser aus diesem Roman vertraut sind.

Ein schöner Unsinn ist das alles, wunderbar geschrieben und verführerisch bis zum Ende. So viel Spaß beim Lesen hat man selten.

Wolf Haas: "Verteidigung der Missionarsstellung" Hoffmann und Campe, 239 S., 19,90 Euro