Die “brand eins“-Gründerin und -Chefredakteurin gilt als Frau mit Power und Charme, als hervorragende Schreiberin und Rechercheurin.

Sie hat es geschafft. Dieses verflixte dreizehnte Jahr nach dem erstmaligen Erscheinen des ungewöhnlichen und vielfach preisgekrönten monatlichen Wirtschaftsmagazins "brand eins" im Eigenverlag. "Was ist dran an diesem Jahr?", fragt sie zurück. A sei sie nicht abergläubisch und B seien doch die ersten fünf Jahre viel schwieriger gewesen. Jetzt liegt die Auflage konstant bei knapp 100.000. "Junge, offene Leser zu zwei Dritteln", sagt sie stolz - Gabriele Fischer, die Chefredakteurin dieses gegen den Strich traditioneller Wirtschaftsmagazine gebürsteten Heftes.

Von Stammlesern wird es heißgeliebt, von Fachleuten hoch gelobt, von Kritikern als zu feuilletonistisch abgelehnt. Allein an dem Essay von Wolf Lotter in jedem Heft scheiden sich schon die Geister. Quälende Besinnungsaufsätze versus pointierte literarische Themenannäherung heißt es. Solche Polarisierungen liebt Gabriele Fischer. Das brauche ein Heft. "Wir müssten den Mann sonst erfinden."

Wir sitzen auf dem Domplatz. Die heutigen Redaktionsräume von "brand eins" im Pressehaus der "Zeit" am Speersort links im Blick. Geradeaus die ehemaligen Redaktionsräume des Spiegel Verlags, in dem mit dem "Manager Magazin" alles begann, und schräg rechts die Brandstwiete, in der eine energiegeladene, hoch motivierte und eingeschworene Redaktion das erste Heft im Eigenverlag nach vielen Rückschlägen aus der Taufe hob.

Und sind so mittendrin in Gabriele Fischers Herzensanliegen und ihrem Leben zugleich. "Brand eins" - Wirtschaft unter einem anderen Blickwinkel erzählt. Verquickt mit Kultur und Gesellschaft. Und immer dem Menschen im Zentrum. "Sie sind doch ein ökonomisches Wesen und ich auch", sagt sie. "Wir alle." Und zieht einen großen Bogen durch die Luft. Wir gehen rüber ins Balzac an der Rathausstraße. Um bei Cappuccino, Caffè latte, Cookies und Natas in Ruhe das Ganze in den Griff zu kriegen. Diesen Job, den sie für den grandiosesten hält, den sie sich je vorstellen konnte, und in dem sie hundertprozentig glücklich ist. Mal abgesehen von den paar Tagen im Monat, an denen sie auch mal einen trüben Tag hat. Wie gut, denn sonst könnte man glatt das Grausen kriegen. Vor so viel Perfektion. Gabriele Fischer wird von Kollegen und all denen, die ihr auf dem dornigen Weg zu "brand eins" begegnet sind, hoch gelobt. Sie gilt als Frau mit Power und Charme, als hervorragende Schreiberin und Rechercheurin. Als autark, selbstbewusst und außergewöhnlich. Voller Begeisterungsfähigkeit und Leidenschaft. Handwerklich spitze. Chapeau! Sagt einer ihrer Ex-Chefs. "Ja, toll", sagt Gabriele Fischer knapp. "Soll ich jetzt zickig sein wegen des Gegengewichts?" Lacht. Streicht sich die an ihrem Augenwinkel tanzenden Krissellocken hinters Ohr. Ungeduldig und unprätentiös.

Ein Stadtfotograf kommt vorbei, bremst am Tisch, möchte ein Foto machen. Nein, ganz bestimmt nicht, sagt sie entschieden. Das sei ja eine interessante Form von fahrender Wirtschaft. Polaroidfotos vor Ort verkaufen. Wittert eine neue Geschichte dahinter. Ihr Liebstes überhaupt. Geschichten aufspüren, mit Menschen reden, mit guten Freunden zusammensitzen, Weltenläufe diskutieren, über Geschichten reden und sie aufschreiben. Hobby und Leben zugleich. Mal abgesehen davon, dass sie auch mit Wollust faulenzen könne. Auf der Couch liegen, DVDs gucken inklusive Tränen vergießen, wenn es um Pferdegeschichten geht. Ihr Großvater habe Pferde gezüchtet, und immer wenn sie zu Besuch kam, war das Pferd verschwunden, das er ihr gerade geschenkt hatte. Drum.

Und so hüpfen wir hin und her. Vom Berufs- ins Privatleben. Eng miteinander verschmolzen. Ein bombastischer Ring an ihrer rechten Hand fällt ins Auge. Der Ehering? Nein, aber ein Geschenk ihres Mannes, mit dem sie seit 20 Jahren in einer Wochenend-Ehe lebt. Zwischen Hamburg und Bremen pendelt. Was gut funktioniert für zwei, die jeder für sich auch gern mit sich selbst allein sein können. Der Ring ist der mittlerweile dritte Aufguss. Der erste verloren, der zweite zerbrochen, der dritte endlich weniger filigran und sehr haltbar. Wie längere Ehen eben, sagt sie lakonisch.

Nach fünf Jahren Studium in Freiburg folgte Gabriele Fischer ihrem Mann nach Bremen. 14-Stunden-Schichten als Autovermieterin am Flughafen, ein Volontariat bei der "Rotenburger Kreiszeitung", Besuch der gerade gegründeten Journalistenschule in Hamburg, der späteren Henri-Nannen-Schule. "Eine Schauspielschule, eine Glitzerwelt", sagt sie, "das muss man heute wirklich sagen. Sehr irreal - wie Führerschein machen und nicht fahren lernen." Nach dem allerersten renommierten Journalistenpreis geht sie zum Entsetzen aller zum "Osterholzer Kreisblatt". Zurück in die Provinz! Für Gabriele Fischer zurück ins wahre Leben. 24 000 Einwohner, 8000 US-Soldaten, die ihre Einheit "Hell on Wheels" nennen, die auslaufende 68er-Bewegung, aufkommende Anti-US-Demonstrationen, Schützengilde mit Orden, Soldaten in Kampfanzügen, Kinderchor und Farbbeutel. "Der ganze Kosmos", sagt sie begeistert. Grandiose, großartige Jahre! Mehr durch Zufall landet sie beim "Manager Magazin". Wird eingesetzt für Geschichten, die der damalige Chefredakteur seinen ernsthaften jungen Leuten nicht zumuten mag: Qualitätsweine, landwirtschaftliche Großbetriebe, Frauen in Führungspositionen "84 noch 'ne relativ neue Idee". Wird stellvertretende Chefredakteurin.

Nach ihrer Zeit als stellvertretende Chefredakteurin entwickelt sie dort gemeinsam mit einem Redaktionsteam das Wirtschaftsmagazin für junge Leute "Econy". 1998 kommt es auf den Markt. Steht für Aufbruchsgeist, Spaß, Respektlosigkeit. Für eine neue innovative Zielgruppe. Für New Economy. Millionenschwere Unternehmen werden in Gartenlauben und Garagen geboren. Junge, kreative, risikofreudige, flexible Akteure mischen den Markt auf. Die Stans - wie sie bei ihr heißen. Doch noch vor Erscheinen des dritten Heftes kriegt der Spiegel Verlag kalte Füße. Das Heft wird eingestellt. Die Redaktion steht auf der Straße. Mit einer entflammten Gabriele Fischer an der Spitze. Empört, dass man ihr, dieser eingeschworenen Crew mit der ganz eigenen Arbeitskultur, den Boden unter den Füßen so mir nichts dir nichts wegzieht.

Sie kauft dem Verlag die Rechte und das Konzept ab. Sitzt heulend mit ihrer Mannschaft vorm Rechner und startet neu durch. Im September 1998 geht das erste "Econy"-Heft im Eigenverlag an die Kioske. Zwei Monate später ist die Euphorie verflogen: Konten leer, Banken stellen sich quer, ein Finanzier muss her. Der Wirtschaftsfachverlag FVW steigt ein und wieder aus. Die Redaktion versackt im Rotwein bei Gabriele daheim, der Ehemann kommt als seelische Stütze aus Bremen angereist: eine Neugründung nimmt Formen an - "brand eins". Zusammengefügt aus der Adresse der ersten Redaktionsräume in der Brandstwiete Nummer 1 und dem Hintersinn, dass brand internationals auch für Marke steht. Gesellschafter werden gefunden. Dank Gabriele Fischers Charme als Klinkenputzerin? Das lehnt sie strikt ab. Sie seien dem Charme der Heftidee erlegen.

Auch besonderen Mut habe sie nicht. O nein! Als sie ihre Eigentumswohnung als Sicherheit für einen Kredit einsetzte, hatte sie schlaflose Nächte. Zurück nach Rotenburg hätte sie immer gekonnt. Das sei ihr sicher gewesen. Himmel, Sonne, Luft gebe es schließlich überall. Und kämpferisch - o nein, auch das nicht. Empört sei sie gewesen, wütend, dass finanzielle Erwägungen einen Traum zerschlagen können! Ihren Traum! So nun nicht. Du kannst doch einen einmal eingeschlagenen Weg nicht einfach an der ersten heiklen Kurve abbrechen. Den müsse man zu Ende gehen. Schritt für Schritt. Und es sei doch normal, wenn man auch mal auf die Schnauze falle. Sie sei kein Jammerer, lebe mit und in der Realität.

Dann wirft sie ihr iPod an. Flucht leise, weil es so schneckig die Titel aufruft. Ein embryonaler Axolotl taucht auf dem Display auf. Rührend und verletzlich anzusehen. Gabriele Fischer streicht sanft drüber. Wir reden noch ein bisschen über ihren Mann Olaf. Von Horoskopen. Er Fisch, sie Wassermann. Eine teuflische Paarkonstellation. Doch da gebe es ja zum Glück noch das chinesische Horoskop. Drache und Ratte. Ideal, einfach ideal. Selbst wenn man nicht an den ganzen Hokuspokus glaube. Im Balzac Café werden langsam die Tische hochgeklappt. Wir gehen lachend zurück zum Domplatz und reden und reden und reden ...