Das Landgericht verurteilt die Ex-NDR-Fernsehspielchefin zu einem Jahr und zehn Monaten Haft auf Bewährung.

"Ich bin mir sicher, dass meine Mandantin mit diesem Urteil gut leben kann", sagte der Anwalt Gerd Benoit am Montagmittag mit Blick in die hohen Gänge des Hamburger Landesgerichts im zweiten Stockwerk. Doris Heinze versteckte ihr Gesicht hinter einer dunklen Sonnenbrille und wendete sich von den Fernsehkameras ab. Ihr Leben wird in Zukunft ein anderes sein als das schillernde Dasein, das sie viele Jahre als eine der mächtigsten Frauen der Fernsehbranche geführt hat. Und auch ein anderes als das des schwarzen Schafes unter öffentlicher Dauerbeobachtung, das in den vergangenen drei Jahren ihr Schicksal war. Vielleicht wird Doris Heinze sogar glücklich werden in ihrem kleinen Einfamilienhaus in Nordstrand, vielleicht wird sie nach ihrem Debüt "Höhere Gewalt" einen weiteren Kriminalroman schreiben.

Fest jedenfalls steht: Die ehemalige Fernsehspielchefin des NDR, die ihrem Arbeitgeber mehrere Drehbücher unter Pseudonym untergeschoben hatte, die entweder von ihr selbst oder ihrem Ehemann stammten, ist zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Doris Heinze muss also nicht drei Jahre ins Gefängnis, wie es die Oberstaatsanwältin Cornelia Gädigk vergangene Woche in ihrem Plädoyer gefordert hatte. Dies war der Moment, in dem Heinze, die in den insgesamt 13 Verhandlungstagen sehr gefasst gewirkt hatte, in Tränen ausbrach. "Bestechlich bin ich in meinem ganzen Leben nicht gewesen, das passt nicht zu mir", sagte die Angeklagte.

Doch, sie war bestechlich. Zumindest in den Augen der Richter unter dem Vorsitz von Volker Bruns, die Heinze der Bestechlichkeit und des Betrugs in Tateinheit mit Untreue überführt sahen. Erschwerend kam hinzu, dass es sich bei Doris Heinze sehr wohl um eine Amtsträgerin handelte und nicht, wie es Heinze-Anwalt Benoit herunterzuspielen versucht hatte, um eine drittklassige Angestellte beim Sender. Das Gericht folgte damit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der einst den ehemaligen Sportchef des Hessischen Rundfunks, Jürgen Emig, als Amtsträger verurteilt hatte. Er hatte mehr als eine Million Euro veruntreut und war 2008 vom Landgericht Frankfurt zu zwei Jahren und acht Monaten Haft verurteilt worden. Insofern scheint das Urteil gegen Heinze verhältnismäßig zu sein. Schließlich schädigte die ehemalige Fernsehspielchefin den NDR nur um einen fünfstelligen Betrag, den sie mittlerweile zurückgezahlt hat. Dennoch will Oberstaatsanwältin Gädigk eine Berufung prüfen.

Denn es ging bei diesem Verfahren ja nicht nur um den messbaren finanziellen Schaden: Rund 7,5 Milliarden Euro erhalten die öffentlich-rechtlichen Sender jährlich - Geld, das ihnen nicht gehört. Geld, von dem sich Doris Heinze, die mitangeklagte Produzentin Heike Richter-Karst und Heinzes Ehemann Claus Strobel dennoch problemlos bedienen konnten. Das Heinze-Urteil ist auch ein Plädoyer für die kulturelle und gesellschaftliche Verantwortung der gebührenfinanzierten Sender.

Mit dem Urteil - Ehemann Strobel erhielt wegen Beihilfe eine Geldstrafe von 3240 Euro, Produzentin Richter-Karst von 2100 Euro - endet nicht nur ein seit dem 5. Juli sich zäh hinziehender Prozess, sondern endgültig die sogenannte Ära Heinze - drei Jahre, nachdem die "Süddeutsche Zeitung" die kriminellen Machenschaften der NDR-Mächtigen aufgedeckt hatte. Ein gut funktionierendes System, wie Doris Heinze es sich mit ihren Mitstreitern aufgebaut hatte, wird es künftig in dieser Form nicht mehr geben. Der NDR hat einen Anti-Korruptionsbeauftragten eingesetzt, Pseudonyme werden nun grundsätzlich offengelegt.

Der Fall Doris Heinze erzählt viel über ein System, in dem Einzelne so mächtig werden konnten, dass niemand, der weiterhin in der Branche beschäftigt werden wollte, sich traute, ihr Tun infrage zu stellen. Wohl auch deshalb saßen im Publikum nicht nur zahlreiche Pressevertreter, sondern auch Drehbuchautoren, Produzenten, Sendermitarbeiter. Der Name Doris Heinze wird wohl noch sehr lange ein Synonym bleiben für die Korruptionsanfälligkeit einer Branche, über die vor Gericht immer wieder der Satz fiel, in ihr "sei alles möglich".

"Ich wollte nur gute Filme machen" - auch das war ein Satz, der häufig zu hören war, als ginge es in diesem Prozess im Kern um eine Qualitätsdebatte. "Der zweite Blick", "Fast ein Volltreffer" und "Dienstage mit Antoine" heißen drei dieser vermeintlich guten Filme, die von Marie Funder oder Niklas Becker verfasst wurden - jenen Scheingestalten, hinter denen in Wahrheit das Ehepaar Heinze/Strobel steckte.

Mit Geschichtenerzählen haben die Angeklagten ihren Lebensunterhalt verdient. Und je länger man diesem Prozess beiwohnte, desto mehr entstand der Eindruck, dass ihnen die Geschichten und das wahre Leben durcheinander geraten waren. Es scheint, als hätten sie, allen voran Doris Heinze, die der Richter in der Urteilsbegründung als "treibende Kraft" bezeichnete, schlicht ignoriert, dass man vielleicht Drehbuchfiguren munter herumschieben, nicht aber Regeln außer Kraft setzen kann, die einem nicht passen.

Die Bühne für die Geschichten der Doris Heinze wird künftig eine eher kleine sein. Sie dürfte so aussehen wie die des Schokoladenmuseums Chocoversum am Messberg, die ihr am 10. August, dem Abend des fünften Prozesstages, als Podium diente. Da las sie hier vor 30, vielleicht 40 Zuhörern aus ihrem Krimi "Höhere Gewalt". Für eine Frau, deren Filme einst Millionen sahen, ist das kein großes Publikum. Aber Doris Heinze schien dankbar für diesen Abend zu sein. Ein glückliches Lächeln umspielte ihre Lippen. Vielleicht freute sie sich über den sehr freundlichen Applaus des Auditoriums, vielleicht über die Lektorin, die kurz zuvor die hohe Qualität ihres Buches gelobt hatte. Vielleicht aber war sie nur froh, als Person des öffentlichen Lebens eine neue Rolle gefunden zu haben - auch wenn diese Rolle eine vergleichsweise bescheidene bleiben dürfte.