Der Rückblick auf das Filmfest Hamburg 2012 mit vielen ausverkauften Vorstellungen und erstklassigen Dokumentationen, Krimis sowie Kinderfilmen

Hamburg. Fatih Akin beim Filmfest, das hat Tradition. Man denke nur an die umjubelte "Soul Kitchen"-Premiere nebst rauschender Party vor drei Jahren. Doch diesmal hatte der Hamburger bei seinem erneuten Heimspiel keinen Gute-Laune-Film, sondern eine Doku im Programm: "Müll im Garten Eden" über ein an der türkischen Schwarzmeerküste errichtetes Mülldepot und seine katastrophalen Auswirkung auf Umwelt und Dorfbewohner.

Ein starkes Stück, das mal fassungslos macht, mal wütend und manchmal, ob der dümmlichen Ignoranz der Behörden und Deponiebetreiber, zum Schreien komisch ist - wenn die Konsequenzen nicht so lebensbedrohlich wären. "Ich bin ein ungeduldiger Mensch", erklärte Fatih Akin im gut gefüllten Cinemaxx 8, "Aber ich habe gelernt, dass man mit Geduld alles erreichen kann." Alles vielleicht nicht, aber einen guten Film nach fünf harten Jahren Arbeit. Und der ist am 3. Oktober noch einmal im Passage-Kino zu sehen. Hingehen!

Eine Empfehlung, die sich für "Du hast es versprochen" leider nicht geben lässt. Der Mysterythriller von Alex Schmidt ist überraschungsfrei inszeniert, mittelmäßig gespielt und leidet unter einem Drehbuch, das außer den üblichen Genreklischees wenig bietet. Dass "Du hast es versprochen" mit Unterstützung von RTL Nord zum Filmfest ins Cinemaxx 1 gebracht wurde, passt. Dieser Gruselquark hat maximal Fernsehformat.

Was ist das bitteschön für ein Film, bei dem die Erwachsenen am Ende die Tränen aus den Augen wischen und die Kinder wild applaudieren? Ein großartiger, so viel steht fest. "Kauwboy" des niederländischen Regisseurs Boudewijn Koole, mit dem das Kinderfilmfest Michel dieses Jahr eröffnete, erzählt eine einfache Geschichte auf sehr ungewöhnliche Weise.

Der zehnjährige Jojo findet ein aus dem Nest gefallenes Dohlenküken und päppelt es heimlich bei sich zu Hause auf. Er spielt dem Vogel Countrylieder vor, gesungen von seiner Mutter, an die nur Fotos und Tourplakate im Haus erinnern. Jeden Abend telefoniert er mit ihr, backt Geburtstagskuchen und singt in Endlosschleife "Happy Birthday", sehr zum Ärger seines Vaters - doch die Mutter bleibt verschwunden.

"Kauwboy" ist abwechselnd witzig und zutiefst traurig, handelt vom Abschiednehmen und Verliebtsein, von Verantwortung und Freundschaft. Als zehnjähriger Junge habe er selbst ein Vogeljunges aufgezogen, berichtet der Regisseur im ausverkauften Abaton (dort läuft der Film noch einmal heute um 11 Uhr) den Kindermoderatoren. Jojos Geschichte ist ein wenig auch seine - und für eine kurze Zeit auch die des Zuschauers, des glücklichen.

Dass Lars Becker im Rahmen des Filmfestes seine neueste Arbeit aus der "Nachtschicht"-Serie zeigt, hat bereits eine jahrelange Tradition. In diesem Jahr war der Hamburger Regisseur und Autor sogar mit zwei Filmen vertreten, deshalb lief die "Nachtschicht" im Programm außer Konkurrenz um den immerhin mit 30 000 Euro dotierten TV-Produzenten-Preis.

Um das Preisgeld bewirbt Becker sich indes mit "Die Geisterfahrer", einem Krimi, in dem Becker wie schon in vielen Filmen zuvor die Korruption in Polizei und Justiz thematisiert. Seine Hauptfiguren sind die beiden Rettungssanitäter Freddy (Tobias Moretti) und Emile (Fahri Yardim), die durch Zufall in die Machenschaften von Waffenschiebern geraten. Becker ist mit den "Geisterfahrern" ein erstklassiger Krimi mit den Qualitäten eines Film noir gelungen, zudem funktionieren die Buddys Moretti und Yardim als Paar perfekt. Vielleicht sollte sich Til Schweiger von Lars Becker zum Beispiel in Sachen Dialogführung Nachhilfe geben lassen.