Die Uraufführung von Angela Richters “Assassinate Assange“ basiert auf einer brillanten Theateridee, zerfasert aber heillos in der Umsetzung.

Hamburg. Putzig sehen sie aus, die Nerds in ihren flauschigen, weiß- und rosafarbenen Kostümen. Ernst blicken sie aus ihren Affengesichtern. Auf einem Paket lässt die Bühnenminimalistin Katrin Brack, Expertin für poetisch mit Nebel oder Konfetti gefüllte Leere, eine projizierte Flamme lodern. Enthält es explosives Material? Gewissheiten, die Mächtige bedrohen und Staatengefüge zum Einsturz bringen können? Vergleichbar den Vormenschen am Monolithen in Stanley Kubricks "2001 - A Space Odyssey" lagern die Primaten hier um das Feuer des Wissens und der Wahrheit. Und wie die Filmaffen ein Bewusstsein vom Werkzeug als Waffe erwerben, könnte man auch die Revolution des Internets deuten. Da steckt Sprengstoff drin.

Auf der hinteren Leinwand erscheint der Text eines Telefonats. Er sei schlecht drauf, spricht Julian Assange matt durch den Hörer. Da hätten sie etwas gemeinsam, antwortet die Regisseurin Angela Richter. Darauf Assange: "Willkommen in meinem Leben." Um die strittige Existenz des von den einen heiligengleich verehrten, von den anderen als Staatsfeind erbittert gejagten WikiLeaks-Mitbegründers sollte es gehen in der Uraufführung von "Assassinate Assange" auf Kampnagel.

Die Idee war brillant, der Hype im Vorfeld gigantisch. Schließlich hatte Richter zu außergewöhnlichen Recherchemaßnahmen gegriffen, ein Gruppen-Essen mit Assange bei Ebay ersteigert, ihn mehrfach in seinem Exil in der ecuadorianischen Botschaft in London besucht und die steile These entwickelt: "Den Nerds gehört die Zukunft", sprich, Teilchenphysiker und Computerhacker wissen als Einzige, wo es langgeht in unserer unübersichtlichen Welt. Wenig davon wird auf der Bühne sichtbar.

Das Netz mag chaotisch sein, aber auch diese Aufführung zerfasert ohne klare Stoßrichtung zwischen Dokumentation und ihrer Verfremdung changierend in Nebenschauplätzen und Exkursen. Die hin- und hertänzelnden Affen, fünf Darsteller inklusive Regisseurin und einige Statisten, ahnen allmählich etwas vom Bösen in der Welt. Yuri Englert spricht, die Finger auf der Tastatur, Worte des Gejagten "People are strange, when you're Assange", leitet über in den fast gleichnamigen Song der Band The Doors und beklagt die Abhängigkeit von weiblicher Loyalität.

Ein gefühltes Drittel des Abends dreht sich um die Vorwürfe wegen "minder schwerer Vergewaltigung", sexueller Nötigung und sexueller Belästigung, den die Darstellerinnen Melanie Kretschmann und Iris Minich episch auswalzen müssen, sich festkrallend an der vergleichsweise wenig erhellenden Frage, ob der Beschuldigte nun während zweier offenbar einvernehmlicher Sexualkontakte ein Kondom - vorzeitig (!) - abgestreift hat oder nicht.

Der Text ist im Internet zugänglichen Verhören der schwedischen Anklägerinnen entnommen, die den Verdacht nahelegen, dass es in Wahrheit um ganz andere Dinge ging. Wir hören, dass Assange offenbar ein Don Juan war, erfahren aber zu wenig über seinen Denkkosmos. Nur als der Affe Assange auf Frage Nummer 162 (von 300, die Richter ihm stellte) antwortet, beklagt er die "massenhafte Standardisierung des Menschen" und erklärt, dass der Anspruch totaler Transparenz der Enthüllungsplattform als Mittel gegen die Uniformität der Nachrichten zu verstehen sei. Er spricht von Scheinrealität und von solchen (wie ihm), Hackern, die Trollen gleich im Schattenreich der Gesellschaft vegetierten.

Davon hätte man gerne mehr gehört, mehr über die Projektionsfläche Assange und über Schwarmverhalten. Doch immer diffuser und wirrer entwickelt sich der Abend. Eine Hardcore-Feministin applaudiert Interpol per Brief für deren - sexuellen - "Fahndungserfolg". Kretschmann gibt in einem Monolog Augenzeugenberichte von Gräueltaten im Irak-Krieg wieder, am Ende wird Saddam Husseins Gehirn in einen Uterus verpflanzt. Versatzstücke ohne Verbindung, die auch formal unentschieden zwischen Spielszenen und performativen Elementen verharren. Ein Stoff, der das Zeug zum Theaterereignis gehabt hätte: verschenkt.

Angela Richter: Assassinate Assange bis 30.9., jew. 19.30, Kampnagel, Jarrestraße 20-24; www.kampnagel.de