Franz Wittenbrinks neuer Liederabend “Aida“ feierte am Wochenende am Schauspielhaus Premiere und wurde mit donnerndem Applaus gefeiert.

Hamburg. Wo sonst, wenn nicht auf einem Kreuzfahrtschiff können sich ein lebensmüder Wissenschaftler, zwei schrullige Schwestern mit einer Urne im Gepäck, eine pensionierte Museumsdirektorin in Pelzjacke, die in Gedichten schwelgt, ein alternder Banker, der seine Praktikantin geheiratet hat, die ihn nun "Foufou" nennt, ein zwielichtiger Russe, der wie Putin aussieht, eine traurige Köchin und ein hormongefluteter Steward begegnen? Sie jedenfalls bilden das Personal in Franz Wittenbrinks neuem Liederabend "Aida", der am Wochenende im Schauspielhaus Premiere hatte und mit donnerndem Applaus gefeiert wurde.

Brecht und Bach, Operette, Disco und Pop lässt Wittenbrink die komischen Käuze an Bord singen. Und sie singen großartig. Mit einem Medley aus "Hello Goodbye" von den Beatles, mit "Yes Sir, I Can Boogie" oder "That's The Way I like It" betreten die Reisenden das Deck des schicken Kreuzfahrtschiffs (Bühne: Alfred Peter), lassen sich Drinks servieren, genießen die Aussicht oder aalen sich im Liegestuhl. "Eine Reise ins Glück", juchzt das Ensemble etwas später zu Hawaii-Klängen, akustisch glänzend unterstützt von sechs Bühnenmusikern. Man möchte sich amüsieren, der Welt entfliehen, zumindest das Ehepaar - er 69 und ein Finanzhai, sie 21 und sehr blond. "Dein ist mein ganzes Herz", flöten Jürgen Uter und Anneke Schwabe einander an.

Doch auch der Steward, der ewig feudeln und bedienen muss, lechzt nach der Blondine und röhrt den Doors-Klassiker "Light My Fire". Henning Nöhren, der auf diesem Schiff die arme Wurst spielen muss, bringt die hinreißendsten Gesangseinlagen, ob er Robbie Williams' "Angels" perfekt performt oder, noch schöner, wenn er als singender Animateur die Reisenden mit eckigem Hüftkreisen und der Aufforderung "Nossa, Nossa" nachzusingen, vergeblich zum Gute-Laune-Bodystretch auffordert.

"Ja, das Meer ist blau, so blau" duselt mit Brecht/Weills "Matrosensong" die bildungsbeflissene Museumsfrau immer wieder. "Und das geht alles seinen Gang", könnte man ergänzen, denn am Ende funktioniert nichts mehr auf dem schicken Schiff. Weltuntergangslaune hat Tim Grobe als ein Schal tragender Wissenschaftler im Wim-Wenders-Look, der ein ums andere Mal vergeblich versucht, sich umzubringen. Strick und Plastiktüte, Gewehr und Messer - nichts hilft ihm auf dem Weg ins Jenseits. Dafür kann er immer noch wie ein Opernsänger Wagners "Die Frist ist um" singen oder mit Astor Piazzolla einen Tango vom Tod schmachten.

Grobe gehört zu jenen Schauspielern, bei denen man sich immer wieder wundert, wie fantastisch sie singen können. Später, wenn er als "Fluch der Karibik"-Pirat Jack Sparrow das Luxusschiff entert und die Blondine ganz kirre macht - ihr Ehemann ist im Deckchair eingeschlummert - konzentriert er sich kraxelnd und kämpfend wieder voll auf seinen Körpereinsatz.

Wunderbar auch Anne Weber, die ihre fast identisch aussehende blinde Schwester (Sandra Maria Schöner) zum Singen und Tanzen verführt oder auch mal piesackt, bevor die beiden Papas Asche aus der Urne im Meer verstreuen. Da hat sich das Kreuzfahrtschiff schon hoffnungslos verfahren, die Anlandung verpasst oder den Kapitän verloren. Der guten Stimmung tut das keinen Abbruch. Achim Buch spielt den Bilderbuchrussen, der schwermütige Balladen auf Schmalzig-Russisch vorträgt, der mit Pelzmantel, nackter Brust unterm Jackett und Toupet fast wie ein Putin-Doppelgänger aussieht, der die Deko vom Getränk verschlingt und das leere Glas hinter sich schmeißt. Ach, das reißt die pensionierte Gedichte schreibende und von Marlen Diekhoff gespielte Museumsdirektorin hin: "Was für ein Mann!" Sie hofft, ihn mit Worten wie "Tolstoi" und "Tschechow" zu ködern. Er schaut glasig und antwortet "Gazprom".

Marion Breckwoldt schert sich als resolute Köchin wenig um all die Affen an Deck und erklärt mit einem verschwurbelten Text von Esskritiker Jürgen Dollase etwas über Holunderblüteninfusion. "Für eine Nacht voller Seligkeit", swingt das Männer-Ensemble, und das Schiff steuert geradewegs in den Untergang. "Matrosen ohe, einmal muss es vorbei sein" weiß man als Zuschauer. Schade. Immerhin, es gab zwei Zugaben.

"Aida", 26., 29.9., 5.10. jew. 20.00 , Deutsches Schauspielhaus, Karten unter T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de

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